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Entführungsopfer Erlemann in KölnTräume wie „Treibsand“ – unaufhörlich und brutal

Lesezeit 4 Minuten
Seine Entführung im Jahr 1981 hat Johannes Erlemann jetzt auch in einem Buch verarbeitet.Drei Millionen Mark Lösegeld wurden damals gezahlt.

Seine Entführung im Jahr 1981 hat Johannes Erlemann jetzt auch in einem Buch verarbeitet.Drei Millionen Mark Lösegeld wurden damals gezahlt.

Als Elfjähriger wurde Johannes Erlemann in Köln vom Fahrrad gerissen und in eine Kiste gesperrt. Zwei Wochen blieb er verschwunden. Ein Buch als Traumabewältigung.

Die Narben sind geblieben. Jene an den Handgelenken, deren Bewegungsfreiheit vor 43 Jahren zwei Wochen lang durch Handschellen minimiert war – die seelischen Blessuren ohnehin. Noch heute brennt im Schlafzimmer von Johannes Erlemann meist ein kleines Licht, zu große Finsternis wird er vermutlich nie mögen. Und nachts durfte sich keine Tür in seinem Rücken befinden, „sonst kamen die Albträume“. Wie „Treibsand“ seien diese Träume gewesen, unaufhörlich und brutal hätten sie ihn viele Nächte hinabgezogen und seines unruhigen Schlafs beraubt.

Für mich hat das Buch den höchsten Stellenwert. Niemand kann in Worte fassen, was damals unter der Erde passiert ist.
Johannes Erlemann

Am 6. März 1981, einem Freitag, hat sich das Leben von Johannes Erlemann für immer verändert. Mit dem Fahrrad war er von der elterlichen Villa im Hahnwald zu einem Spielwarengeschäft in Rodenkirchen gefahren, um seine Minitrix-Eisenbahn schätzen zu lassen. Beim „Stüssgen“ holte er noch schnell ein Glas Nutella, dann fuhr er zurück durch den Forstbotanischen Garten. Die drei Männer, die an einer der Bänke lungerten, kümmerten ihn nicht, er war schließlich fast zu Hause. Dann rissen ihn zwei Männerhände vom Rad und er bekam einen „triefenden Lappen mit beißendem Geruch“ ins Gesicht gedrückt. Es ist der Beginn des Entführungsfalls mit der bis heute größten Lösegeldforderung in Deutschland: drei Millionen Deutsche Mark.

„Befreit“ heißt Erlemanns Buch, das heute erscheint. Voriges Jahr waren der an den Originalschauplätzen entstandene Spielfilm „Entführt – 14 Tage Überleben“ und die Dokuserie „Lebenslänglich Erlemann“ im Fernsehen gelaufen. Für das Buch waren Autoren gesucht worden, die den Fall aufschreiben, doch am Ende brachte Erlemann selbst seine Empfindungen zu Papier. „Für mich hat das Buch den höchsten Stellenwert. Niemand kann in Worte fassen, was damals unter der Erde passiert ist. Das musste ich selbst machen“, stellt er fest. Denn die Entführer sperrten ihn in einen schmalen Bretterverschlag. Das Wort Opfer meidet er sehr bewusst, Erlemann bezeichnet sich lieber als „Überlebender“.

Vater Jochem Erlemann wird Präsident der Kölner Haie

Auch wenn es die drei Entführer im Prozess zu leugnen versuchten, Johannes Erlemann war natürlich kein Zufallsopfer. Als Finanzexperte mit kreativen Investmentideen hatte sein Vater Jochem ein Vermögen gemacht, der Familie gehörte neben der Villa im Hahnwald noch ein Jagdschloss im österreichischen Kühtai und ein Anwesen in Saint-Tropez, die regelmäßig mit dem Privatjet angesteuert wurden. Das Flugzeug mit der selbstbewussten Kennung „D-COOL“ durfte Johannes mit Schampus taufen.

Johannes Erlemann tauft den Familienjet

Johannes Erlemann tauft den Familienjet

Ohnehin rauschten bei Partys reihenweise die Wodkaflaschen über die Theke, Johannes hatte einen privaten Skilehrer. Und im Winter zog er seine Kumpels auf einem kleinen Enduro-Motorrad auf ihren Schlitten durch den Kölner Süden. Die Exklusivität seiner Jugend schildert Erlemann mit einigem Humor und kritischer Distanz. Spätestens als Jochem Erlemann 1976 Präsident der Kölner Haie wurde, gehörte die Familie zur Stadtprominenz. Doch auch die dunklen Kapitel wie die Verurteilung seines Vaters zu einer achtjährigen Haftstrafe wegen Betrugs, die schwere Krankheit seines Bruders und die späte Trennung seiner Eltern schildert Erlemann. Im Grunde ist das Buch vielfältige Vergangenheitsbewältigung.

Entführungsfall Johannes Erlemann: das Fahrrad von Johannes wurde in einem Gebüsch des Forstbotanischen Gartens gefunden, wo ihn einer der Entführer vom Rad gerissen hatte

Entführungsfall Johannes Erlemann: das Fahrrad von Johannes wurde in einem Gebüsch des Forstbotanischen Gartens gefunden, wo ihn einer der Entführer vom Rad gerissen hatte

Nahe des Eifeldörfchens Nideggen-Schmidt hielten die Entführer den damals elfjährigen Johannes Erlemann zwei Wochen in einer Kiste gefangen. Eingesperrt und gefesselt. Das Nutellaglas hatten die Kidnapper nicht bemerkt, es diente ihm als süße Notration. Die Dunkelheit, die beißende Kälte, das kriechende Getier im Bretterverschlag – all das ließ sich für Erlemann leichter verkraften als die Ungewissheit, ob er sein Gefängnis jemals lebendig verlassen wird.

Pokerspiel mit seinem Entführer

Das Buch und der Film bedeuteten für Erlemann eine riskante Reise in die Vergangenheit, bei der er sich seinen Erinnerungen und Gefühlen stellen musste. „Das war die Therapie, die ich nie hatte. Eine Konfrontationstherapie. Ich habe mich rund um die Uhr mit der Entführung beschäftigt und meine Vergangenheit auf diese Weise der Nacht entrissen“, erzählt er. An seine regelmäßigen Albträume hatte er sich gewöhnt wie an lästige Mücken, die nachts ums Bett surren. Warum er sich erst jetzt zu der Aufarbeitung entschlossen hat? „Es musste wachsen. Pathetisch gesprochen kommt es mir heute so vor, als hätte ich mich ein halbes Leben lang darauf vorbereitet“, schreibt er.

Bei aller Tragik strotzt der Entführungsfall von skurrilen Kuriositäten und hanebüchenen Ermittlungsmethoden der Polizei. Den Pokerrunden von Johannes mit einem der Entführer, dem Abtransport des Lösegeldes mit einem Schlauchboot durch den Kölner Randkanal, die verräterische Geldprasserei der Täter nach der Tat. Täterschreiben, die mit den Buchstaben „VaT“ unterzeichnet sind, was „Verein armer Teufel“ bedeuten soll, als den sich die Männer in der Gerichtsverhandlung später bezeichnen.

Bis zum Schluss zweifelt die Polizei, ob Familie Erlemann die Entführung nicht inszeniert hat. Als Johannes nach seiner Freilassung im Präsidium sein Martyrium erzählt, brüllte ihn der Ermittlungsleiter an: „Wir glauben dir kein Wort. Und jetzt sagst du uns endlich die Wahrheit.“ Später ließ ihn die Polizei wieder in eine Holzkiste klettern. Zur Tatrekonstruktion.