Köln – Zuerst ist da eine zitternde, weinerliche Stimme am Telefon zu hören: „Es ist etwas Schlimmes passiert. Ich hatte einen Unfall. Es ist jemand gestorben“, jammert eine scheinbar komplett verzweifelte Frau. Dann übernimmt sofort ein Herr das Gespräch, stellt sich als Polizeibeamter vor, bestätigt das Unfallgeschehen und mahnt. „Ihrer Schwiegertochter droht Gefängnis. Es sei denn, es wird schnell eine Kaution von 50 000 Euro hinterlegt.“
Die Polizei stellt derzeit wieder verstärkt sogenannte Schockanrufe fest, mit denen meist ältere Menschen um ihre Ersparnisse gebracht werden sollen. In sechs Fällen haben die Ermittler dieses Jahr bereits erfolgreiche Taten registriert, die Schadenssummen lagen zwischen 7000 und 25 000 Euro. „Jedes Opfer kannte die Betrugsmasche und war sich sicher, so etwas könne ihm selbst nie passieren. Es lässt sich schwer vorstellen, was die Anrufer emotional bei den Opfern auslösen können“, sagt Kommissariatsleiter Joachim Ludwig, der bei der Kölner Polizei seit Jahren Experte für Trickbetrug ist. Für die Täter ist das Telefon die Tatwaffe.
„Die Taten sind deutschlandweit zurückgegangen“
Dennoch hat sich die Lage leicht entspannt, die Zahl der betrügerischen Anrufe ist im vorigen Jahr stark zurückgegangen (siehe Kasten). Grund hierfür ist die Razzia der türkischen Polizei Ende 2020 in Callcentern in Izmir und Antalya, von wo aus die Täter täglich Hunderte Anrufe nach Deutschland führten und sich als Polizisten ausgaben. Einige Täter des Clans stehen derzeit in Izmir vor Gericht. Der Vorwurf: „Gründung einer Organisation zur Begehung von Verbrechen, Betrug, Geldwäsche von Vermögenswerten aus Straftaten“. In Köln läuft derweil der Prozess gegen einen Geldabholer, der nach seiner Festnahme ein Geständnis abgelegt hat.
Seit den Festnahmen und der Sicherstellung von millionenschweren Vermögenswerten durch die türkischen Ermittler sind die Nachahmer vorsichtig geworden. „Die Taten sind deutschlandweit zurückgegangen“, weiß Ludwig. Bis zu den Razzien hatten die Täter recht ungeniert in den sozialen Netzwerken mit ihrem Reichtum geprotzt – die Fahnder stellten unter anderem Gold und Diamanten sicher. Zwei der in der Türkei angeklagten Betrüger hatten zuvor noch im Video eines Berliner Rappers als Gangster posiert.
So gehen die Täter als „Europol-Polizisten“ vor
Derzeit greift vermehrt eine Tätergruppierung zum Telefon, die sich als Europol-Polizisten ausgeben, Englisch sprechen und vorgaukeln, das Geld der Opfer sei in Gefahr, weil Verbrecher an die Bankdaten gelangt seien. Dann werden die Angerufenen verleitet, die App „Anydesk“ zu installieren und Geld auf ein vermeintlich sicheres Polizeikonto zu überweisen. Doch die Software spiegelt den Bildschirm der Opfer, so dass die Betrüger alle eingegebenen Codewörter mitlesen können. Und weg ist das Geld.
Die Zusammenarbeit mit den türkischen Ermittlungsbehörden gestaltet sich zuweilen zäh. Aber erfolgreich. Die Kontakte laufen über die Polizei in München. „Unser Ziel ist es, Täter zu identifizieren und konkrete Taten nachzuweisen. Dadurch versetzen wir die Kollegen in die Lage, ein eigenes Strafverfahren einleiten zu können“, erklärt Joachim Ludwig. In der Vergangenheit hatten deutsche Behörden oftmals einen internationalen Haftbefehl gegen Täter erwirkt, die Türkei hatte die Verdächtigen jedoch nicht ausgeliefert. Nun sitzen die Betrüger in türkischen Gefängnissen.
Täter ändern im Laufe der Jahre ihre Methoden
Verfahren gegen festgenommene Trickbetrüger oder Geldabholer landen seit einigen Jahren auf dem Schreibtisch eines Kölner Staatsanwaltes, der sich in die Thematik eingearbeitet hat. „Die Spezialisierung auf bestimmte Delikte hat zugenommen. Dadurch lassen sich Strukturen und Zusammenhänge besser überblicken“, erklärt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Im Bereich Cybercrime gibt es inzwischen eine eigenen Dienststelle bei der Staatsanwaltschaft, ebenso für die Cum-Ex-Verfahren im Wirtschaftsbereich. Aber auch Kleinkriminalität wird inzwischen aus einer Hand bearbeitet und angeklagt.
Im Laufe der Jahre haben die Täter ihre Methoden verändert. Früher hatten die Betrüger stakkatohaft bei ihren Opfern angerufen und ständig den Druck erhöht. „Das Ziel war es, die Opfer nicht zur Ruhe kommen zu lassen“, erklärt Hauptkommissar Joachim Ludwig. In jüngerer Vergangenheit waren die Betrüger dazu übergegangen, ihre Opfer nach einem Anruf auf dem Festnetz zum Mobiltelefon zu lotsen und sie zum Teil zwei bis drei Stunden im Gespräch zu halten. So lange, bis ein Geldabholer vor der Tür stand.
„Es lässt sich schwer vorstellen, was die Anrufer emotional bei den Opfern auslösen können“
Neben kriminellen Familienclans haben auch Rocker vor sechs Jahren den Telefonbetrug als lukrative Einnahmequelle entdeckt, auch hier sitzen die Anrufer nach Kenntnissen der Polizei in der Türkei. In den Clans habe anfangs noch der Nachwuchs den riskanten Job der Geldabholer übernommen. Inzwischen inserieren die Täter bei Kleinanzeigen-Portalen und suchen „Kurierfahrer“.
Viele Opfer kannten vorher die Masche der Täter. Wussten, was der Enkeltrick ist und hatten von falschen Polizisten gelesen. „Viele sind sich sicher, dass ihnen selbst so etwas nie passieren kann. Es lässt sich schwer vorstellen, was die Anrufer emotional bei den Opfern auslösen können“, sagt Joachim Ludwig. Die Täter hätten nur ein Ziel: Ihre Opfer sofort aus der Fassung zu bringen und zu schockieren.