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„Die Stadt muss gegensteuern“Kölns Polizeidirektor über die Drogenszene am Neumarkt

Lesezeit 5 Minuten
Martin Lotz

Polizeidirektor Martin Lotz 

  1. Martin Lotz leitet bei der Polizei die Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz.
  2. Jens Meifert sprach mit ihm über Junkies und Dealer am Neumarkt und was sich ändern muss.

KölnWürden Sie jemandem empfehlen, nachts über den Neumarkt zu gehen?

Ich würde zumindest raten, wachsam zu bleiben und sich im Bereich des Hellen zu bewegen. Ich will niemandem Angst machen, aber der Neumarkt ist ein Brennpunkt und ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Er zählt bestimmt nicht zu den sichersten Plätzen in Köln.

Die Drogenszene ist dort seit Jahrzehnten zu Hause. Es gab im August einen beinahe tödlichen Messerangriff. Hat sich die Situation verschärft?

Die Kriminalität ist trotz unserer Maßnahmen konstant hoch. Wir arbeiten mit offenen und verdeckten Konzepten, wir haben einen Einsatztrupp, der sich speziell mit dem Neumarkt und den dortigen Phänomenen beschäftigt. Eine deutliche Verschärfung stellen wir nicht fest. Das Problem ist vielfältig. Es gibt eine Zunahme von Kleinstdrogenkriminalität, das geschieht eher im Schatten des Handels mit harten Drogen. Wir haben andere Plätze, wo mit weichen Drogen wie Marihuana gehandelt wird wie den Ebertplatz, am Neumarkt sind es die harten Drogen wie Heroin.

Das wird gekauft und konsumiert?

Ganz genau. Dass Konsum und Kauf örtlich so dicht beieinander liegen, ist eher untypisch. Und das liegt auch am Neumarkt und seinen besonderen Begebenheiten. Es gibt mobile Drogenkonsumräume, da ist das Gesundheitsamt, wir haben zudem eine ausgeprägte Obdachlosenszene, die das Ganze nicht einfacher macht. Die Zwischenebene der Kölner Verkehrs-Betriebe bietet Rückzugsräume, die Drogenkriminalität erleichtern. Auch oberirdisch könnte man räumlich sicher einiges anders gestalten und damit verbessern.

Zur Person

Martin Lotz ist seit 2018 Direktionsleiter Gefahrenabwehr und Einsätze. Der Leitende Polizeidirektor ist seit 2015 bei der Kölner Polizei. Zuvor ist er im Düsseldorfer Innenministerium sowie bei der Kriminalpolizei Bonn tätig gewesen. Der 57-Jährige lebt in Königswinter.

1500 Einsätze musste die Polizei in den ersten acht Monaten des Jahres am Neumarkt fahren, im Schnitt sind das sechs pro Tag. Es geht um Belästigung, Hausfriedensbruch, verdächtige Personen, Drogendelikte oder Körperverletzung.

Die Zahl der Festnahmen lag wie 2020 bei etwa 75.

Die Zahl der Personenkontrollen hat die Polizei deutlich ausgeweitet: 1880 waren es 2021 (840 im Vorjahreszeitraum). Die Zahl der Platzverweise stieg 2021 auf rund 750 gegenüber 350 in 2020. Die Zahl der Strafanzeigen stieg auf 328, im Vorjahr waren es 187 . (mft)

Was schwebt Ihnen vor?

Wir brauchen eine Belebung des Platzes, die Gesellschaft muss sich den Neumarkt wieder zurückholen, derzeit gehört er nur Teilen der Gesellschaft. Entweder schafft man eine neue Attraktivität, das wäre das effektivste, oder man schafft zumindest die dunklen Winkel und Rückzugsräume ab.

Man hat die Zugänge zu den unterirdischen Toiletten abgedeckelt und Treppen zu den Parkhäusern geschlossen. Hilfreich oder Verzweiflung?

Das sind Ansätze in die richtige Richtung. Parkhäuser sind ideal, um sich zu verabreden und dort Drogengeschäfte zu tätigen. So etwas muss stärker kontrolliert werden. Und es muss sauber gehalten werden. Wo Vermüllung einsetzt, entstehen Rückzugsräume. Man muss erkennen, dass die Obdachlosenszene das verstärkt. Die Menschen stehen nicht einfach am Morgen auf und hinterlassen alles sauber. Da wird in Eingänge uriniert, Kot und Müll hinterlassen. Das geht nicht. Da wird sich der so genannte Normalbürger nicht gerne aufhalten. Wir kennen diese Entwicklung auch aus anderen Großstädten, in Köln ist das unter anderem am Neumarkt seit vielen Jahren so. Die Stadt wäre gut beraten gegen zu steuern.

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Normales Geschäft: Eine Toilette ist mit Schwarzlicht ausgestattet. Auf und am Neumarkt werden harte Drogen wie Heroin verkauft und konsumiert. 

Beschreiben Sie doch mal den Arbeitsalltag ihrer Kollegen am Neumarkt.

Wir sind mal verdeckt unterwegs, mal offen. Die besten Erfahrungen haben wir mit polizeilicher Präsenz gemacht. Das führt zumindest zu einer Hemmung bei der Klientel, sich strafbar zu machen. Es hilft auch, wenn stets die gleichen Beamten kommen, damit sie bekannt sind. 15 Kollegen kümmern sich um die Lage, dazu die Polizei im Streifendienst und der Bezirksdienst. Mehr als fünf Polizisten sind Tag und Nacht am Neumarkt unterwegs. Auf dem Platz hilft eine harte Ansprache: ,Du hast Dich nicht an unsere Abmachung gehalten, also bekommst Du einen Platzverweis.’ Punkt, das wirkt. Strafanzeigen zu fertigen, führt allein nicht zum Ziel, das schreckt keinen mehr ab, zumal allein der Konsum nicht strafbar ist, aber natürlich fertigen wir die Anzeigen.

Was können Sie überhaupt erreichen?

Wir können nur versuchen, die Anzahl der Delikte zu reduzieren. Der Drogenhandel ist geprägt von Abhängigkeiten auf allen Seiten. Das ist wie eine Stadt für sich, und die will versorgt werden. So bitter das klingt. Wir können das Geschäft erschweren, aber wir kommen nicht an die Hintermänner dran oder können gar den Markt trocken legen.

Ist das nicht für die Polizisten furchtbar ermüdend?

Doch, das ist es. Jeder kann das auch nicht machen. Und auch nicht für immer.

Manche fordern eine Polizeiwache auf dem Neumarkt. Sie auch?

Nein, das ist ein Reflex: Wo Polizei ist, gibt es keine Kriminalität. Stimmt leider nicht. Direkt hinter unserem Polizeipräsidium, auf der Barcelona-Allee, finden Sie alles, was das Strafgesetzbuch hergibt. Es macht mehr Sinn, gemeinsam alles aufzubieten, was an Maßnahmen auf der Straße möglich ist.

Einige Anlieger sagen, zum Neumarkt kommt die Polizei schon gar nicht mehr.

Das stimmt nicht. Wie beschrieben, ist der Neumarkt ein Schwerpunkt unserer Arbeit, und wir sind mit unterschiedlichen Beamten in beachtlicher Menge tätig. Natürlich kann es vereinzelt andere Einsatzlagen in der Stadt geben, die uns zwingen, Prioritäten in der Einsatzwahrnehmung zu setzen.

Wie wichtig ist die Videobeobachtung?

Sehr wichtig. Was den Drogenkonsum angeht, ändert das wenig. Das nehmen die Konsumenten gar nicht mehr wahr. Aber es hilft bei Aufklärung oder Vermeidung von Straftaten wie Raub oder Körperverletzung. Wir sind schneller vor Ort, erkennen Täter oder können sehr schnell nachsetzen.

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Im Frühjahr haben Sie acht Wohnungen von Drogenhändlern am Neumarkt ausgehoben. Hatte das nachhaltige Wirkung?

Nein, die wachsen nach wie die Pilze. Die Drogen kommen irgendwo her, Kuriere bringen sie in Platznähe, teilweise werden sie Kleinstmengen in Wohnungen gebunkert. Wenn wir das rausbekommen, was schwierig genug ist, werden wir tätig. Aber damit legen wir den Drogenmarkt nicht trocken. Die dicken Fische sitzen woanders.

Tut die Stadt genug?

Sie nimmt das Problem nun ernst, das ist erfreulich. Das Besondere am Neumarkt ist seine Innenstadtlage. Aber wer nutzt ihn? Man erwartet hier doch städtisches Leben, Cafés und Angebote zum Beisammensein. Das ist für mich der Schlüssel, und da ist noch deutlich Luft nach oben.