Kölner NeumarktBrennpunkt mit grotesker Verkehrsführung – Geht das anders?
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Der Neumarkt könnte ein wunderbarer Innenstadtplatz sein.
Tatsächlich ist er ein Brennpunkt mit grotesker Verkehrsführung.
Geht das nicht anders?
Köln – Wer aus der südlichen U-Bahn-Passage zum Neumarkt hinauf steigt, läuft dem Elend in die Arme. Junkies und Dealer, die mehr oder weniger offen ihren Bedürfnissen nachgehen, stehen zwischen Einkaufenden, die auf die nächste Bahn warten. In Hauseingängen bereiten Abhängige schon mal den nächsten Schuss vor. Die Drogenszene am Neumarkt ist seit Jahrzehnten Teil dieses Platzes. Aber sie ist nicht das einzige Problem.
Seit einigen Jahren schwebt ein Traum über dem Platz, der Traum ist sogar schon visualisiert: Die Darstellung zeigt den Neumarkt nach Fertigstellung der Ost-West-U-Bahn, auf der Nordseite fahren keine Autos mehr. Bürger flanieren auf schier endloser Weite. Die Botschaft: Alles wird gut. Das Problem: Ob diese U-Bahn jemals gebaut wird, ist fraglich. Wenn sie kommt, dürfte sie nicht vor 2040 fahren. Und bis dahin? Einfach weiter so?
Sanitätsstation und Wachpersonal
„Ich bin für pragmatische Lösungen“, sagt Walter Schuch von der Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt. Das Warten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag habe keinen Sinn, man müsse schauen, was kurzfristig zur Verbesserung der Situation möglich ist. Die Initiative hat sich vor fünf Jahren gegründet, als der Rat einen Drogenkonsumraum beschlossen hat. Der Konsumraum sollte in die benachbarte Thieboldsgasse, das scheiterte nach Anwohnerprotesten, nun sollen im Herbst zwei Räume mit zwölf Einzelkabinen im Gesundheitsamt eingerichtet werden. Schuch reicht das nicht, weil die Süchtigen weiter am Platz sein werden, wie er sagt. Er schlägt eine Sanitätsstation vor, einen Toilettenwagen mit Wickelraum und Abstellflächen für Räder. Und Wachpersonal.
Vor einem Jahr hat die Stadt einen „Fachkreis Plätze mit besonderem Handlungsbedarf“ gegründet, dazu zählt der Neumarkt ohne Frage. Seitdem haben die Kölner Verkehrs-Betriebe einen Kümmerer installiert, die Abfallwirtschaftsbetriebe reinigen häufiger, die Zugänge zu den unterirdischen Toiletten wurden dicht gemacht sowie Strahler auf dem Platz installiert und hochgedimmt. Vor dem Kunsthaus Lempertz hat die Stadt einige Meter Radweg verschwenkt, damit die Fußgänger nicht überfahren werden. Schuch sagt: „Es ist etwas passiert, aber wir haben keine Wende hinbekommen.“
5 Ideen für den Platz
Mit einer Reihe von Ideen will die Initiative Zukunft Neumarkt die Situation am Neumarkt verbessern. Wir stellen die fünf wichtigsten vor.
1. Pflasterung: Die Initiative will den „Flickenteppich“ aus unterschiedliche Steinfarben und Materialien beseitigen und eine einheitliche Pflasterung herstellen. Derzeit bessert die Stadt Löcher mit Teer provisorisch aus.
2. Überweg: Die Fläche zum Überqueren der Bahngleise zwischen Josef-Haubrich-Hof und Buchhandlung Taschen auf der Ostseite soll verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden. Platz sei ausreichend da. Beim Fahrradweg vor dem Gesundheitsamt und Cäcilienstraße/ Ecke Fleischmengergasse sollten Fahrradampeln installiert werden, damit sich Fußgänger und Radfahrer nicht in die Quere kommen.
3. Entree: Die Schildergasse führt direkt auf den Neumarkt zu. An der Schnittstelle soll eine Bepflanzung mit Sitzmöglichkeiten den Platz eröffnen. Die Bepflanzung könne durchaus portabel gestaltet werden, um sie temporär abtransportieren zu können (für den Rosenmontagszug).
4. Kunst: Vor dem Kunsthaus Lempertz will der Chef des Hauses, Henrik Hanstein, eine Balzac-Figur von Rodin aufstellen. Die Stadt hat zugestimmt. Der Sockel soll im Herbst gegossen werden. Mit einer speziellen Wachsschicht will Hanstein das Werk vor Vandalimus schützen.
5. Infotafeln: Die Initiative will Tafeln mit Informationen zum Platz und vorhandenen „Schätzen“ wie der Apostelkirche, dem Käthe-Kollwitz-Museum oder der Richmodis-Sage platzieren. Auch die Geschichte des Platzes selbst mit dem Grundriss des Neumarkts zur Römerzeit würde erläutert. Digitale Erweiterungen sind erwünscht. (mft)
Mit einer Reihe von Einzelmaßnahmen will die Initiative die Situation verbessern, die Ideen (siehe Infotext) wurden am Samstag auf dem Neumarkt vorgestellt. Aber reicht das? Der Neumarkt wird auf fast groteske Weise vom Autoverkehr umtost. Wer ein Beispiel sucht, wie das Leitbild der autogerechten Stadt den Lebensraum abschnüren kann: Hier wird er fündig. Die Straßenbahnen kreuzen den Ring des Autoverkehrs, was zu komplizierten Übergängen für Fußgänger führt und die inselartige Platzanlage mehr als ungemütlich macht. Überhaupt müssen Passanten gute Nerven haben, um die Mitte des geschichtsträchtigen Neumarktes zu erreichen. Aber was sollen sie dort auch? Am Jahresende gibt es den Weihnachtsmarkt, alle zwei Jahre den Zirkus Roncalli, gelegentlich einen Gartenmarkt – ansonsten lockt der Neumarkt mit geschundenem Pflaster.
Wieder ein Brunnen
Die Stadt verweist auf insgesamt 20 Einzelmaßnahmen, die nach und nach in der „Arbeitsgemeinschaft Neumarkt“ umgesetzt würden. Bei den zentralen Fragen wie der verkehrlichen Führung und der Pflasterung verweist die Verwaltung auf die Planungen zur Ost-West-U-Bahn. Und die kann dauern. Immerhin: Ein Brunnen soll 2022 wieder auf dem Platz sprudeln.
Kommentar: Nicht länger warten
Jens Meifert zur Situation auf dem NeumarktNiemand wird Köln bescheinigen, über besonders schöne Plätze zu verfügen. Das war früher anders, aber die Menschen, die sich daran erinnern können, werden immer weniger. Wie der Wiener Platz und der Ebertplatz ist der Neumarkt heute eher berüchtigt als berühmt für die Vorzüge.
Die Stadt nimmt die Situation seit einem Jahr ernst. Immerhin. Für eine wirkliche Veränderung werden die Einzelmaßnahmen aber nicht reichen. Dabei liegt ein Lösung für die Aufwertung des Platzes auf dem Tisch: Die Verkehrsströme müssen neu geordnet und die Nordseite an die City angebunden werden. Das muss auch ohne einen U-Bahn-Neubau möglich sein.
Auf den zu hoffen, kann sich die Stadt ohnehin nicht leisten. Wenn die Bahn überhaupt gebaut werden sollte, werden eineinhalb Jahrzehnte vergehen. Mindestens. So lange kann Köln nicht warten. Und wie so oft scheint es auch hier kein Erkenntnisproblem zu geben – aber ein Umsetzungsproblem.koeln@kr-redaktion.de
„Das wird nicht ausreichen“, sagt Yasemin Utku, Professorin für Städtebau und Planungspraxis. Es brauche am Neumarkt eine strukturelle Veränderung und die könne nur darin liegen, den Verkehr einzudämmen. „Mit einer Autospur weniger wäre schon etwas gewonnen. Um aber wirklich etwas zu verändern, muss der Verkehr auf der Südseite gebündelt werden“, sagt die Expertin vom Institut für Städtebau an der Technischen Hochschule. Nur so könne der Platz aus seiner Insellage befreit werden – die Geschäfte der City würden nach dieser Verbindung förmlich rufen.
Auch Henrik Hanstein reichen kosmetische Überlegungen nicht. Es gehe um die Frage, wie man wieder bürgerliches Leben auf den Platz bekomme, sagt der Chef des Kunsthauses Lempertz. „Sie können den Platz nur aufwerten, indem sie ihn anders gestalten.“ Mit anderen Anliegern hat er eine Studie zur Neugestaltung in Auftrag gegeben, sie wollen sie bald vorstellen.
Hanstein hat mehrfach Drogenabhängige aus seinem Hauseingang befördert, inzwischen finanziert er einen privaten Sicherheitsdienst mit. Die Polizei registriert fünf bis 15 Drogendelikte auf und am Platz pro Tag. In den ersten acht Monaten des Jahres gab es fast 1500 Einsätze, auch wegen Belästigung, Raub und Körperverletzung. Der Kunsthändler bedauert die Polizei: „Es ist eine fürchterliche Arbeit, und es gibt kein Fortkommen, weil kaum Strafen verhängt werden.“ Er fordert eine Polizeiwache auf dem Platz. Das Gewaltmonopol dürfe nicht aufgegeben werden.