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Daniel Müller, Leiter des Olympiastützpunkt Rheinland„In Deutschland sind wir nicht gut aufgestellt“

Lesezeit 6 Minuten
Vier Radfahrerinnen fahren auf der Radbahn.

Die deutschen Fahrerinnen Franziska Brausse, Lisa Klein, Mieke Kröger in Aktion.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Oder doch? Mit Daniel Müller sprach Thorsten Moeck über die Bedeutung des Medaillenspiegels und optimale Sportförderung.

Ist die Phase unmittelbar vor Beginn der Olympischen Spiele besonders stressig für den Leiter eines Olympiastützpunktes?

Eher für die Mitarbeitenden, die eng mit den Athletinnen und Athleten zusammenarbeiten. Letzte Stellschrauben im Bereich der Diagnostik und Belastungssteuerung werden gestellt, da steigt die Anspannung. Für mich richtet sich der Blick bereits in Richtung Los Angeles 2028, derzeit werden Gespräche mit den Spitzenverbänden, um zu besprechen, welche Anforderungen in den kommenden vier Jahren an uns gerichtet werden.

Wie werden Sie die Spiele in Paris erleben?

Als Olympiastützpunkt sind wir nicht unmittelbar mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) verknüpft, arbeiten aber eng zusammen. Für die olympischen Athletinnen und Athleten sind wir Dienstleister. Um das direkte Games-Management vor Ort kümmert sich der DOSB, da sind wir raus. Ich habe jedoch das Glück Teil einer Delegation des Landes Nordrhein-Westfalen zu sein, die dann Ende Juni für drei Tage in Paris sein wird. Es wird einen NRW-Abend im Deutschen Haus geben. Bei den Olympischen Spielen bin ich Gast. Unsere Arbeit ist getan, wenn die Athletinnen und Athleten abreisen.

Und es gibt ja auch noch Sportlerinnen und Sportler, für die sich der olympische Traum nicht erfüllt hat.

Etwa 80 olympische und paralympische Athletinnen und Athleten unseres Stützpunktes werden nach Paris reisen, wir sind aber für mehr als 400 Kaderathleten verantwortlich. Darunter sind auch solche, die eher die Spiele 2028 oder 2032 im Blick haben, weil sie noch jung sind.

Wie empfinden Sie die Atmosphäre am Stützpunkt. Kribbelt es?

Ja, durchaus. Bei vielen Athletinnen und Athleten ist eine angespannte Vorfreude zu spüren. Zu Beginn des Jahres, als es in vielen Sportarten noch um die Qualifikationen ging und Ausscheidungswettkämpfe anstanden, hat man die Anspannung deutlicher gespürt. Diese Spannung ist dann auch nicht immer positiv, weil einige nur einmal im Leben die Chance auf eine Olympiateilnahme haben. Je nach Sportart treffen sich nur die besten zehn Sportler weltweit bei den Spielen. Für uns richtet sich der Blick auch auf diejenigen, die sehr gut in ihrer Sportart sind, aber eben nicht zu den zehn Besten der Welt gehören.

Wer fährt denn als Medaillenhoffnung nach Paris?

Wir waren zuletzt immer überproportional erfolgreich, sowohl was die Teilnahme betrifft, aber auch bei der Medaillenausbeute. Unsere Hockey-Nationalmannschaft mit vielen Athleten aus dem Rheinland ist Medaillenkandidat, dem Schwergewichtsboxer Nelvie Tiafack traue ich eine Medaille zu, unser Judostandort ist erfolgreich, Weltmeisterin Anna-Maria Wagner gehört in ihrer Gewichtsklasse zu den Favoritinnen, ebenso Miriam Butkereit, die sich hervorragend entwickelt hat. Letztlich hängt es von einem Wimpernschlag ab. Im Radsport haben wir mit Mieke Kröger eine Bahnrad-Spezialistin.

Wie wichtig ist Ihnen der Medaillenspiegel?

Die Frage, die für mich in Deutschland nicht final beantwortet ist, lautet: Was für eine Sportförderung wollen wir? Wollen wir die maximale Leistungsfähigkeit erreichen, wäre der Medaillenspiegel ein guter Indikator. Ich halte aber selbst dies für zu kurz gegriffen. Auch Top-Acht-Platzierungen sollten berücksichtigt werden. Und bei bestimmten Sportarten ist schon die Teilnahme ein herausragender Erfolg. Der reine Medaillenspiegel wird der Leistung der Athletinnen und Athleten oftmals nicht gerecht. Und Sportler sind großartige Vorbilder für die Gesellschaft – unabhängig von Erfolgen.

„Sportliche Höchstleistungen sind keine Zufallsprodukte, sondern nicht zuletzt das Ergebnis staatlicher oder sonstiger Fördermaßnahmen“, heißt es in einer vergleichenden Studie von Sportförderung, die der Bundestag einst in Auftrag gegeben hat. Ist am Ende alles nur eine Frage des Geldes?

Nicht nur, aber das Budget ist ein wichtiger Faktor, wenn es um eine optimale Athletenbetreuung geht. Für eine gute Struktur und gute Kompetenz ist Geld durchaus entscheidend. Was die Betreuung der Olympiastützpunkte angeht, sind wir da in Deutschland nicht gut aufgestellt. Dabei denke ich an Betreuungsleistungen wie Physiotherapie, Ernährungsberatung oder Sportpsychologie. Wir haben gute Fachleute, aber viel zu wenig Geld für eine intensive und angemessene Betreuung.

Spüren das auch die Sportlerinnen und Sportler, wenn sie bei internationalen Wettkämpfen mal über den Tellerrand schauen können?

Neulich erzählte mir eine Fechterin, vor einigen Jahren sei das französische Team bei einer Weltmeisterschaft plötzlich mit drei Trainern, einem Mediziner und einem Psychologen aufgelaufen, die bei allen Wettkämpfen dabei waren. Da spielt Geld dann schon eine Rolle. Es ist durchaus ein entscheidender Vorteil, im und vor dem Wettkampf adäquat betreuen zu können.

Wie äußert sich das knappe Budget im Alltag? Zucken Sie irgendwann mit den Schultern und schicken Spitzensportler zum Hausarzt?

Wir registrieren in den vergangenen Jahren Preissteigerungen in verschiedenen Bereichen, ohne dass wir mehr Mittel erhalten. Also werden wir in Zukunft zum Ende des Jahres abwägen müssen und können nicht mehr alle Sportlerinnen und Sportler betreuen, wie wir es uns wünschen würden. Und grundsätzlich sind wir weit davon entfernt unseren Athleten und Athletinnen einen optimalen und adäquaten Betreuungsumfang bieten zu können. Bei gleichbleibenden Budgets werden wir zum Jahresende den Nachwuchssportlern z.B. keine Physiotherapie mehr anbieten können. Perspektivisch führt das zu Nachteilen auch im absoluten Spitzenbereich, wenn die Sportler nicht schon in jungen Jahren auf die Anforderungen und Belastungen vorbereitet werden.

Gibt es Fördermodelle anderer Nationen, die Sie für vorbildlich halten?

Viele Nationen sind uns in der Betreuungsdichte stark überlegen. Dort wird enger und mit mehr Personal mit den Athletinnen und Athleten gearbeitet. Im Turnbereich begegne ich häufiger einem niederländischen Trainer, der von einem Kompetenzteam berichtet, das in seiner Heimat um die Sportler herum aufgebaut wird. Dazu gehören Trainingswissenschaftler, Ernährungsberater, Psychologen, die regelmäßig zusammenkommen. Da werden dann Herausforderungen in Schule und Beruf sowie soziale Aspekte einbezogen – in diese Richtung muss die Entwicklung gehen. Dies bedeutet aber, dass wir in die Lage versetzt werden müssen solche Kompetenzteams auch mit Personal zu bestücken.

Mit welchen Mitteln kommen denn Ihre Sportlerinnen und Sportler über die Runden?

Die Sportstiftung NRW hat sich als landeseigene Einrichtung die Förderung des Leistungssports im Nachwuchsbereich zum Ziel gesetzt. Es gibt eine Unterstützung junger Athleten von einigen Hundert Euro, später greift dann die Stiftung Deutsche Sporthilfe und zahlt den Top-Athleten im Idealfall bis zu 1500 Euro im Monat. Und es gibt die Vereine, Sponsoren und regionale Stiftungen, die zum Teil auch etwas zusteuern. Bei vielen Sportlerinnen und Sportlern ist ein Flickenteppich der Unterstützung. Aber es gibt Unterschiede zwischen den Sportarten.

Welche Themen und Entwicklungen spielen künftig bei der Betreuung eine Rolle?

Wir beobachten die technischen Entwicklungen und die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Sport. Dies kann beispielsweise genutzt werden, um Bewegungsabläufe zu optimieren oder einen geeigneten Trainings- und Belastungsrhythmus zu finden. Und in Zweikampf-Sportarten wie Fechten, Boxen oder Judo findet eine deutlich frühere Internationalisierung der Wettkämpfe statt, das geht schon mit 14 Jahren los. Das stellt die Verbände vor Herausforderungen

Mit dem Olympiastützpunkt werden Sie ins neue Radstadion in Müngersdorf ziehen. Ein großer Fortschritt?

Wir freuen uns, denn für uns ist das eine gute und notwendige Entwicklung. Infrastrukturell versetzt uns das in die Lage, besser arbeiten zu können. Wir bleiben im Kölner Sportzentrum und werden mit unseren Diagnostiklaboren umziehen, außerdem wird es einen großen Kraft- und Rehabereich geben.


Zur Person

480 Sportlerinnen und Sportler werden beim Olympiastützpunkt NRW/Rheinland in Köln betreut. Die Leitung hat Daniel Müller (39) vor rund fünf Jahren übernommen. Der gebürtige Leverkusener hat Sport studiert und hat dann in der Vermarktung für den Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen gearbeitet.

Sechs Jahre lang leitete Daniel Müller die Tätigkeit als Geschäftsführer die Geschicke der Zweiten Basketball-Bundesliga der Herren.

3Regionen bilden gemeinsam den Olympiastützpunkt NRW. Dies sind neben dem Rheinland-Stützpunkt in Köln die Stützpunkte in Essen (Rhein-Ruhr) und Dortmund (Westfalen).

Von Köln aus werden zehn Bundesstützpunkte betreut. Dies sind: Baseball, Boxen, Fechten, Hockey, Judo, Leichtathletik, Radsport, Ringen, Taekwondo und Tischtennis sowie drei paralympischen Stützpunkte, Leichtathletik, Schwimmen und Tischtennis. (tho)