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Besucherrekord geknacktSo bunt und schrill war der CSD-Umzug in Köln

Lesezeit 3 Minuten
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Köln – Er war dabei, als alles begann – vor 50 Jahren in der legendären Schwulen-Bar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York. Jetzt sitzt Frederik „Tree“ Sequoia (80) als Ehrengast in einer Elektrokutsche an der Spitze der Kölner CSD-Parade und genießt das regenbogenbunte Treiben um ihn herum. „Es ist fantastisch hier zu sein, ich freue mich total.“

148 Gruppen und Hunderttausende Besucher (laut Veranstalter waren es sogar rund 1,2 Millionen) – so groß wie am Sonntag war die in Köln seit 1991 gefeierte Christopher-Street-Day-Parade noch nie. Das diesjährige Motto „50 Years of Pride. Viele. Gemeinsam. Stark“, verkörpert Zeitzeuge Sequoia perfekt. Er hat hautnah miterlebt, wie die New Yorker Polizei am 28. Juni 1969 in der Christopher Street besonders brutal gegen Schwule, Lesben und Dragqueens vorging. Wie sich daraus ein fünftägiger Aufstand entwickelte, der den Beginn des weltweiten Kampfs markierte für die Gleichberechtigung lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Menschen, kurz LSBTI.

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„Ende Juni war ich bei der World Pride Parade in New York, jetzt bin ich hier beim CSD in Köln – es ist überwältigend. Wir sind Schwesterstädte“, sagt Sequoia der Rundschau. Sein Fazit nach 50 Jahren Kampf? „Wir sind eine große Familie geworden. Niemand sonst hat so eine Familie wie wir – eine weltweite Community!“ Aber der Kampf müsse weitergehen, bis überall gleiche Rechte selbstverständlich seien.

„Ich werde den Tag genießen. Und euer Kölsch!“, meint Sequoia, dann setzt sich der Zug auf der Deutzer Brücke, begleitet von wummernden Beats, in Richtung City in Bewegung. Mit dabei: die wandelnde Freiheitsstatue „Lady Liberty“ (27) aus Saarbrücken. Ihre Botschaft: „Der Kampf für die Freiheit ist nicht zu Ende.“ Ganz vorne fährt Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes (SPD) als Sozia auf einem Motorrad in der Parade mit. Fahrerin Gabi aus Köln macht mit Gas und Hupe reichlich Krach, sagt: „Manchmal muss man laut sein, um Gehör zu finden.“

Viele tolle Kostüme

Wie immer gibt es viele originelle Kostüme zu bestaunen: „Molly Mountain“ (40) aus Köln wandelt als lebendes Gemälde über den Paradeweg – hoch geschlossen, mit Rüschenkragen und von einem goldenen Bilderrahmen umgeben, verkörpert die Dragqueen die britische Königin Elizabeth I. (1533-1603).

Paradiesvogel „Michelle“ aus Neunkirchen/Saarland, zum neunten Mal in Köln dabei, hat ihr Kostüm in wochenlanger Arbeit selbst gestaltet – nach dem CSD fängt sie mit dem nächsten Entwurf an. Wer ohne entsprechendes Outfit gekommen ist, kann sich bei den Händlern in der Altstadt spontan mit allem eindecken, was das LSBTI-Herz begehrt. An den Ständen wird ein regenbogenfarbenes Potpourri aus Fahnen, Käppis, Hüten, Blumenketten, Strumpfhosen und anderen Accessoires zu teils gesalzenen Preisen feilgeboten. Eine ältere Dame hat ihren Rollator mit Tüten voller Trillerpfeifen bestückt, verkauft sie für zwei Euro das Stück.

Die Stimmung auf den Straßen ist ausgelassen und friedlich, die Polizei meldet keine besonderen Vorkommnisse. „Wenn Gott uns hasst, warum scheint beim CSD dann immer die Sonne?“, fragt ein Teilnehmer der Parade ironisch auf seinem Transparent.

Andere Schilder werden deutlicher, machen die politische Dimension klar. „Ich bin dem Islam entkommen“, bekennt ein Mann in Lack und Leder, der sein Gesicht mit einer Halbmaske verdeckt hat. „Das ist mein erster Pride. Ich fühle mich endlich zu Hause“, hat eine junge Frau geschrieben. Taim (20) aus Syrien, der jetzt in Bonn lebt, erinnert daran, dass LSBTI-Menschen in arabischen Ländern wegen ihrer sexuellen Orientierung der Tod droht. Sein Kumpel Ching (27) aus Taiwan freut sich hingegen, dass in seiner Heimat die gleichgeschlechtliche Heirat seit diesem Jahr erlaubt ist.

Wibke (19) und Iris (20) aus Aachen sind zum ersten Mal dabei, verteilen kostenlos Umarmungen an Wildfremde. „Super Stimmung hier!“, finden sie. In 50 Jahren habe die Bewegung viel erreicht. „Aber es gibt noch immer viel zu tun.“