Das Land will in Euskirchen einen Smart Mobility Campus realisieren. Gleichzeitig sucht der LVR nach historischen Funden im Boden der Prime Site.
LVR findet SiedlungIn Euskirchen soll modernster Wirtschaftscampus in Deutschland entstehen
Euskirchen soll nicht nur das Tor zur Eifel sein, sondern auch zum Herzen von Europa werden. Zumindest, wenn es nach dem Land NRW geht. Die NRW Global Business GmbH, seit 2020 die Außenwirtschaftsförderungsgesellschaft des Landes, hat nämlich eine Vision: den ersten Smart Mobility Campus Deutschlands. Entstehen soll der bei Großbüllesheim – an der L210 gegenüber dem Industriegebiet am Silberberg, kurz Ipas.
Dort, wo seit vielen Jahren auf 205 Hektar Landwirtschaft betrieben wird, soll sich auf dem Smart Mobility Campus lieber heute als morgen alles um neue Mobilität, erneuerbare Energien, nachhaltige Produktion und Kreisläufe drehen. Forschen, lernen, produzieren, vermarkten, neu erfinden und leben – die Grenzen sollen laut Global Business nicht mehr traditionell scharf, sondern eng miteinander verbunden sein.
Prime Site: LVR findet alte Siedlung in der Nähe des Ipas
Die Zukunft auf einem Areal, auf der sich auch die Vergangenheit so wunderbar freilegen lässt. Genau das hat das Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) in den vergangenen zehn Jahren immer wieder getan. Jüngst entdeckten die Experten des LVR in einem metallzeitlichen und römischen Siedlungsplatz die Überreste einer Bestattung, die gegen Ende der Jungsteinzeit stattgefunden haben muss.
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Sie lässt sich laut LVR-Mitarbeiterin Dr. Petra Tutlies der Schnurkeramischen Kultur zuordnen – ist also etwa 4100, wenn nicht gar 4800 Jahre her. Der oder die Tote war mit einem verzierten Tonbecher und zwei Dolchspitzen bestattet worden. „Als das Land die Fläche in die Vermarktung gegeben hat, haben wir sofort unsere Belange geltend gemacht“, berichtet Tutlies: „Damals wurde die Vereinbarung getroffen, dass der LVR vom Land Geld erhält und die Fläche untersucht. Wenn aber ein Investor um die Ecke biegt, dann müssen wir, also der LVR, spätestens neun Monate später aus der Fläche raus sein – egal, was wir geschafft haben.“
In den vergangenen Jahren habe es immer wieder Grabungen und Landschaftsschnitte gegeben. „Wir haben mittlerweile relativ gute Kenntnis über das Gebiet. Allerdings nicht vollständig. Das werden wir auch nicht schaffen“, so Tutlies.
Der historische Becher, der nun im Bonner LVR-Museum zu sehen ist, ist unter der Leitung von Grabungstechniker Thomas Albert freigelegt worden. Der 37-Jährige war mit seinem Team von etwa fünf Mitarbeitern einige Monate auf der großen Fläche aktiv. „Wir hatten Bereiche, die weisen auf späte Bronzezeit hin, in anderen war es eher die Eisenzeit“, sagt Thomas Albert.
Für ihn sei der Becher ein echter Höhepunkt gewesen. „Da freut man sich über jedes Detail“, sagt er. Weitere Highlights seien nicht zu erwarten, zumal die Arbeit des LVR im Bereich der Prime Site nun erstmal abgeschlossen sei.
Aber auch ohne spektakuläre Funde sei die Arbeit im Bereich des Ipas sehr wertvoll gewesen. „Wir wissen, dass hier die Römer waren und es eine metallzeitliche Siedlung gegeben hat“, so der Grabungstechniker. Noch heute sind im Boden entsprechende Hinweise zu finden – wenn man sie denn deuten kann und wenn man nur tief genug buddelt. Dann entdeckt man Verfärbungen im Boden. Thomas Albert spricht dann gerne von „wir haben hier einen Pfosten“.
4000 Jahre alter Becher bei Großbüllesheim entdeckt
Wer aber auf irgendetwas aus Holz hofft, sieht sich getäuscht. Den Pfosten gibt es schon lange nicht mehr. Stattdessen hat der Boden eine andere Farbe als der 50 Zentimeter weiter. „Das sind wiederverfüllte Gruben, die mal für Pfosten ausgehoben wurden“, so Albert, der gerne mit kleiner Schaufel und Zollstock arbeitet.
Aber auch moderne Technik werde beim LVR eingesetzt, berichtet er. Beispielsweise mithilfe von Geomagnetik: „Dabei werden Anomalien in den Magnetfeldern des Boden untersucht. Eine solche Anomalie deutet darauf hin, dass da etwa größerer Steine liegen, die da eigentlich nicht hingehören“, erklärt der Grabungsexperte, der seinen Beruf als „unheimlich spannend“ bezeichnet.
Abwechslungsreich sei in den vergangenen Monaten auch das Wetter gewesen. „Aus einem Grabungsschnitt haben wir 200.000 Liter Wasser gepumpt. Vieles war über Wochen nicht zugänglich für uns“, so der LVR-Mitarbeiter. Strahlender Sonnenschein und heiße Temperaturen seien aber auch nicht ideal. Und wie ist das beste Wetter zum Buddeln nach archäologischen Funden? „In der Nacht leichter Regen – das ist immer schön“, sagt der Grabungstechniker.
Keinen konkreten Interessenten für die Prime Site Rhine Region
Die Prime Site Rhine Region, die 205 Hektar große Gewerbefläche zwischen Euskirchen und Weilerswist im Bereich des Ipas, sei nach wie vor „eine der attraktivsten verfügbaren Industrie- und Gewerbeflächen für Großvorhaben in ganz Deutschland“, heißt es von der Global Business GmbH. Die ist die Außenwirtschaftsförderungsgesellschaft des Landes NRW und versucht, die Fläche zu vermarkten – bisher vergebens.
Denn so attraktiv sie auch ist, attraktiv genug war sie noch nicht. In regelmäßigen Abständen war sie in der engeren Auswahl für eine millionenschwere Investition. Haribo, BMW, Tesla und zuletzt das schwedische Batterieunternehmen Northvolt haben sehr intensiv über eine Ansiedlung in Euskirchen nachgedacht, sich letztlich aber anders entschieden.
Jetzt soll es mit der Vision des ersten Smart Mobility Campus Deutschlands klappen. Neben der Produktion von Elektrofahrzeugen und Batterien sollen beispielsweise vor- und nachgelagerte Prozesse wie die Entwicklung der Fahrzeug- und Ladetechnik etabliert werden.
Imagevideo des Landes zeigt visionäres Gewerbegebiet
Wie konkret die Vorstellungen sind, verdeutlicht das 2:46 Minuten lange Imagevideo von NRW Global Business. Da ist nicht nur das Areal, bereits aufgeteilt in die unterschiedlichen Prozesse, die im Smart Mobility Campus ablaufen sollen, zu sehen. Unter anderem fliegt auch eine Art Raumschiff-Jet über das Betriebsgelände und höchstwahrscheinlich autonom fahrende E-Busse rollen über das Areal – moderne Mobilität eben.
Nach Angaben des Landes bietet sich die Prime Site für den Smart Mobility Campus geradezu an. Die Gründe: NRW sei Deutschlands führender Standort für Elektromobilität. Es gebe allein mehr als 30 Automobilwerke im Umkreis von 500 Kilometern, eine sehr gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur und nicht zuletzt zählten die weltweit führenden Forschungsinstitute im Bereich Elektromobilität und Batterietechnik zu den Standortvorteilen.
Doch gibt es einen konkreten Interessenten für das Industriegebiet, der aus der Vision Realität werden lassen will? „Wir bieten die Prime Site interessierten Unternehmen kontinuierlich an. In diesen Prozess werden das Wirtschaftsministerium NRW und die lokalen Akteure eingebunden. Da den Unternehmen stets Vertraulichkeit zugesichert wird, kann zu laufenden Vorhaben jedoch keine nähere Auskunft gegeben werden“, sagt eine Sprecherin von Global Business auf Anfrage.
„Die Prime Site ist eine der wenigen Flächen in NRW, die für eine industrielle Großansiedlung geeignet ist. Insofern erwarte ich, dass sich die Landesregierung im Rahmen des Strukturwandels im Rheinischen Revier noch stärker für die Entwicklung unserer Fläche einsetzt“, sagt Landrat Markus Ramers auf Anfrage: „Auf Dauer können wir uns nichts dafür kaufen, dass das Land eine hochattraktive Fläche in der Schublade liegen hat, wir bisher aber immer nur als viel gelobter Zweitplatzierter über die Ziellinie laufen.“
Northvolt entschied sich gegen Euskirchen
Fehlendes Engagement kann den hiesigen Akteuren nicht vorgeworfen werden. Beim Treffen mit dem schwedischen Batterieunternehmen Northvolt waren alle hochrangigen Vertreter der unterschiedlichen Gremien dabei. Gereicht hat das nicht. Ausschlaggebend für die Entscheidung gegen die Prime Site war letztlich die Energiefrage, sagt der Kreis Euskirchen auf Anfrage. Der Energieversorger e-regio hatte laut Kreisverwaltung mit überregionalen Partnern „ein schlüssiges und nachhaltiges Energiekonzept erarbeitet, um den Bedarf zu decken. Der Strom wäre zu 100 Prozent aus lokalen und regionalen regenerativen Quellen gekommen. Auch die Übertragungskapazitäten waren gesichert.“
Den Northvolt-Zuschlag erhielt Heide in Niedersachsen letztlich wegen des „Reichtums an sauberer Energie“, erklärte das Unternehmen in einer Pressemitteilung. Das schwedische Unternehmen Northvolt will nach eigenen Angaben 4,5 Milliarden Euro investieren und 3000 Arbeitsplätze schaffen.