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Wie ein Zirkuspferd in der ManegeBuch erzählt die Geschichte des „Le Moissonnier“ – seltener Blick hinter die Kulissen

Lesezeit 4 Minuten
Eingespieltes Team: Vincent Moissonnier (links) mit seiner Ehefrau Liliane und Küchenchef Eric Menchon.

Eingespieltes Team: Vincent Moissonnier (links) mit seiner Ehefrau Liliane und Küchenchef Eric Menchon.

Vincent Moissonnier erzählt die besondere Geschichte des wohl renommiertesten Kölner Restaurants und unzählige kuriose Anekdoten aus weit über 30 Jahren „Le Moissonnier“.

Wenn die Tür öffnet, dann wird das „Le Moissonnier“ zur Manege. Und Vincent Moissonnier wird zum Dompteur und Zirkuspferd in einer Person. Seine Mission: den Gästen bis ins kleinste Detail eine perfekte Vorstellung servieren. Tag für Tag, Jahr für Jahr. 1987 eröffneten Liliane und Vincent Moissonnier das französische Bistro, seitdem hat es sich zu der wohl renommiertesten kulinarischen Adresse Kölns entwickelt. Geliebt und gelobt von Gästen und Kritikern weit über Stadt- und Landesgrenzen hinaus und lange Zeit mit zwei Michelin-Sternen dekoriert. Ihre Geschichte und die des Restaurants erzählt das Gastronomen-Ehepaar nun im Buch „Ein Tisch am Fenster – Geschichten aus einem besonderen Restaurant“.

Jahrzehnte lang habe die Idee in seinem Kopf geschlummert. „Für mich ist das Buch das Ergebnis meines beruflichen Lebens“, sagt Moissonnier. Jetzt, wo aus der Idee Realität wird und er das Werk in den Händen hält, erfülle sich ein großer Traum.

Ein Traum, der nun gemeinsam mit dem Journalisten Bert Gamerschlag (Stern, Spiegel) in Erfüllung gehen konnte. Gamerschlag, Experte für Essen und Trinken, zog für die Recherche für zwei Jahre gefühlt im Restaurant ein. „Er hat alles aufgesaugt wie ein Schwamm, bis auf unser Ehebett haben wir alles mit ihm geteilt“, erklärt Moissonnier. 

„Le Moissonnier“ in Köln: Einblick in die Küche

Mit Gamerschlag und Moissonnier treffen zwei detailversessene Menschen aufeinander. Das macht sich im gesamten Buch bemerkbar, vor allem aber dann, wenn der Autor den Leser durch die Schwingtür ins Allerheiligste des Restaurants mitnimmt: die Küche. Wenn der begnadete Küchenchef Eric Menchon und seine Mannschaft auf dutzende Seiten ausgebreitet durch die Küche wirbeln, Fonds ansetzen, Langustinen anbraten, wenn das Team mariniert, würzt, abschmeckt, anrichtet und die vielen kleinen Kunstwerke entstehen lässt – dann erreichen die Geräusche und Gerüche über die Seiten auch die Sinne des Lesers. Und Gamerschlag erweckt mit seiner Sprache den Eindruck, als wäre es Moissonnier, der all diese Geschichten charmant plaudernd zum Besten gibt.

Das Buch hangelt sich auf 333 Seiten abwechslungsreich hin und her springend an gleich mehreren roten Fäden entlang. Dem Leben der Moissoniers, der Geschichte des Restaurants und den Abläufen des Betriebs hinter den Kulissen, vom grandios erzählten Einkauf auf dem Großmarkt, über den Umgang mit den Kölner Behörden bis zur herausfordernden Organisation geschlossener Gesellschaften.

Moissonnier, aufgewachsen in den Vogesen und in Burkina Faso, wo der Vater eine Schule leitet, landet als „Landei“ über eine Station in Berlin in Köln. Gemeinsam mit Liliane, die er in Berlin kennen und lieben lernt und später stilecht im Dom heiratet, macht er sich selbstständig.

Vincent Moissonnier in den 80er Jahren im „Le Moissonnier“.

Vincent Moissonnier in den 80er Jahren im „Le Moissonnier“.

Glatt läuft dabei auf Anhieb nur wenig. Nicht nur einmal droht die Vision des eigenen Bistros zu zerbrechen. Schon bevor es richtig losgeht aus finanziellen Gründen, oder später weil die Küche Trends aufgreift, ohne dass sie zum Restaurant passen. Und auch die Beziehung zwischen Vincent und Liliane muss immer wieder Hürden überwinden.

Das Buch zeichnet das Porträt eines einzigartigen Restaurants mit beeindruckenden und kuriosen Figuren und teilweise unglaublichen Anekdoten. Da ist das Aufeinandertreffen mit dem von Moissonnier angehimmelten britischen Schauspieler Michael Caine, mit dem er sich einen höflichen Schlagabtausch liefert. Oder die kuriose Episode, in der der weltweit gesuchte Schwerverbrecher und Reemtsma-Entführer Thomas Drach im Restaurant gewaltsam von Spezialeinheiten der Kölner Polizei festgesetzt wird. Hinterher stellt sich heraus: Der völlig überrumpelte Gast ist gar nicht Thomas Drach. Er sieht ihm nur sehr ähnlich.

Not-OP rettete Vincent Moissonnier das Leben

Die Gäste lieben den strahlenden und immer zum netten Plausch aufgelegten Vincent Moissonnier. Was sich hinter der Fassade im Laufe der Jahre entwickelt, sehen die wenigsten, selbst Moissonnier erkennt es womöglich zu spät. Nach Jahrzehnten unter Anspannung, dem kompromisslosen Streben nach Perfektion und einem Leben, dass einzig und allein auf sein Restaurant ausgerichtet ist, meldet sich der Körper immer lauter. Kurz nachdem er 50 wird, registriert er, dass er wohl schon seit Jahren an Depressionen leidet. Im Sommer 2024 verliert Moissonnier nach einem stressigen Tag zu Hause das Bewusstsein, fällt auf den Kopf und bricht sich den Schädel. Eine Not-OP rettet sein Leben.

Der Gastgeber fällt wochenlang aus. Das Restaurant funktioniert trotzdem weiter. Eine wertvolle Erkenntnis. Die Familie, Vincent, Liliane und die beiden Kinder Tim und Pauline schweißt der Vorfall zusammen. „Das Buch ist auch eine Hommage an meine Familie“, sagt Moissonnier. Auch den beiden Kindern helfe es zu verstehen, warum ihre Eltern manchmal nicht da waren, wenn sie gebraucht wurden.

Ein „Tisch am Fenster“ erscheint bei Kiepenheuer & Witsch.

Ein „Tisch am Fenster“ erscheint bei Kiepenheuer & Witsch.

Wie lange es im „Le Moissonnier“ noch weitergeht, lässt Moissonnier zum Abschluss des Buchs offen. Die Anspannung ist geblieben, auch, nachdem das Zwei-Sterne-Restaurant im Sommer 2023 unter großer Trauer der Gäste dicht machte und nach kurzer Pause mit etwas vereinfachter, handfesteren Küche neustartete. Weil das kulinarische Genie Eric Menchon sich nicht komplett zurücknehmen kann, kam nach wenigen Monaten der Michelin-Stern zurück, den Moissonnier eigentlich nicht mehr haben wollte. Die vielen Stammgäste freut’s. Geht es nach ihnen, dürften gerne noch einige Kapitel in der Geschichte des „Le Moissonnier“ dazukommen.