Viele kennen es: Nach einem langen Arbeitstag entspannt nichts so schnell und so bequem wie die neueste Folge der Lieblingsserie.
Auch für unsere Autorin ist der Netflix-Abend längst fester Bestandteil ihres Alltags.
Warum sie sich entschieden hat, nun trotzdem ihr Abo zu kündigen und wie es ihr mit dem Verzicht ergeht.
Köln – Nach längerer Überlegung habe ich es mich Anfang Oktober getraut: Ich habe Netflix gekündigt. Mein Umfeld hat nervös reagiert. Ausgerechnet jetzt, wo der Herbst anfängt! Weißt du, was alles rauskommt in den nächsten Monaten? Allein die neue Staffel „The Crown“! Und was machst du, wenn „Stranger Things“ weitergeht? Also, ich hätte mich das nicht getraut! Hast du denn wenigstens Amazon Prime oder so? Auch nicht? Naja, du kannst dich ja wieder anmelden.
Netflix: Wie ich zum Serien-Junkie mutiert bin
Darauf zu verzichten, Serien und Filme zu streamen, wann man will, scheint vielen heute unvorstellbar, vor allem wenn man alleine lebt wie ich. Und auch für mich war es noch vor zwei Jahren ein großes Glück, wenn ich eine neue Serie entdeckt habe, die mich so richtig gefesselt hat. Eine Folge nach der anderen habe ich weggezogen, sehnsüchtig die neue Staffel erwartet und nach der finalen Folge war ich mit keiner neuen Serie so richtig zufrieden. Bis das Ganze wieder von vorne losging.
Doch wenn man mal reflektiert, was man da gerade tut, ist es schon ziemlich kurios. Besonders bei der extremen Form des Serienguckens, dem Binge-Watching: Draußen in der wirklichen Welt gehen schließlich gerade Menschen ihrem wirklichen Leben nach. Es gibt so Dinge wie Tageszeiten und Wetter, es wird hell und wieder dunkel, Menschen reden miteinander, erledigen Dinge und erleben etwas. Während man selbst zuhause auf der Couch rumhängt und auf einen Bildschirm starrt, ab und zu etwas Essbares auftreibt und nichts anderes mitbekommt.
Wenn ich jetzt mein Netflix-Verhalten so schildere und drüber nachdenke, wie viele Serien ich schon durch habe, kommt es mir noch bedenklicher vor. Auch wenn sich ein solcher Netflix-Konsum leicht schönreden lässt, weil er so weit verbreitet ist, wird ein Suchtverhalten deutlich. Jedenfalls habe ich immer öfter gedacht: Eigentlich solltest du andere Dinge tun und nicht so armselig hier rumhocken. Ich war genervt von meiner Prokrastiniererei und dass ich nichts erledigt bekomme.
Ich habe nicht über Nacht beschlossen, Netflix zu kündigen, sondern den Streaming-Dienst schon ein paar Monate lang kaum noch genutzt. Mit dem guten Vorsatz, dass ich so nicht weitermachen kann und meinen Serien-Konsum reduzieren muss. Lange Zeit diente mir noch die dritte Staffel „Stranger Things“ als willkommene Ausrede vor mir selbst, warum ich noch nicht endgültig kündigen konnte. Ich habe es sogar geschafft, mir ganz diszipliniert nur eine Folge pro Abend anzusehen – und nicht wie ein Kind vor der Sahnetorte alles auf einmal in mich hineinschlingen zu wollen. Am Schluss habe ich schon die neuen Staffeln meiner Lieblingsserien linksliegen lassen.
Abkehr von Netflix – doch zurück zum Fernsehen?
Auch Comedy-Autor und Podcaster Tommi Schmitt will dem Streaming-Riesen den Rücken kehren. „Ich sehne mich zurzeit nach Berieselung“, schreibt Schmitt in seiner „Stern“-Kolumne. Ihm ist die Auswahl inzwischen zu groß. Er will keine Entscheidung treffen müssen, sondern das seichte Unterhaltungsprogramm einfach vorgesetzt bekommen. Er zieht Netflix daher nun das klassische lineare Fernsehprogramm vor. Pech für mich – ich habe nicht einmal einen Fernseher.
Seit zwei Monaten bin ich jetzt clean. Seitdem ich mein Abo endgültig gekündigt habe, bleibt mir mehr Zeit für andere Dinge und für andere Menschen. Man kann drei Folgen „Haus des Geldes“ schauen oder sich mit Freunden zum Kochen verabreden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Aufgaben erledige, die ich mir vornehme, ist signifikant gestiegen – auch wenn es nach wie vor Dinge gibt, die ich lieber mache als Wäsche abzuhängen oder mich um den Stapel Post der vergangenen Woche zu kümmern.
Meine Ersatzdrogen: Radio, Hörbücher, Podcasts
Ganz ohne Streaming schaffe ich es nicht und so wird Spotify nun viel beansprucht. Statt Serien zu schauen, höre ich jetzt oft Musik oder Podcasts. Der Vorteil: Bei vielen Unterhaltungs-Podcasts kommen die neuen Folgen nur wöchentlich heraus – ganz wie im linearen Fernsehen. Wenn ich einen Tag lang nichts gestreamt habe, bemerke ich das am Abend. Der beste Serien-Ersatz für mich ist aber das gute alte Radio. Das berieselt auch, aber man kann sich trotzdem um andere Dinge kümmern. Und kriegt nebenbei Nachrichten und lauter unnützes Wissen in den Kopf.
Meine Ersatzdroge, wenn ich doch einmal drohe, rückfällig zu werden: Eine ARD-Vorabendserie von 1996 - in Maßen. Oder ein spannendes Hörbuch, das kann man notfalls auch an einem Wochenende vertilgen.