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Vertrauensfrage von Olaf ScholzErst verlieren, dann gewinnen – klappt das?

Lesezeit 4 Minuten
Bundeskanzler Olaf Scholz unterzeichnet den Antrag auf Vertrauen an die Bundestagspräsidentin in seinem Büro im Bundeskanzleramt.

Dieses von der Bundesregierung zur Verfügung gestellte Foto zeigt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Unterzeichnung des Antrags auf Vertrauen an die Bundestagspräsidentin in seinem Büro im Bundeskanzleramt. Hier unterschreibt Olaf Scholz den Antrag.

Es ist der erste Schritt auf dem Weg zur Neuwahl des Bundestags: Kanzler Olaf Scholz beantragt mit nur zwei Sätzen die Vertrauensfrage.

Gut drei Jahre nach seinem Amtsantritt hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage beantragt, um eine vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar herbeizuführen. Er ließ das Schreiben am Mittwoch wie geplant von einem Boten an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) überbringen. Es besteht aus nur zwei Sätzen: „Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin, gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes stelle ich den Antrag, mir das Vertrauen auszusprechen. Ich beabsichtige, vor der Abstimmung am Montag, dem 16. Dezember 2024, hierzu eine Erklärung abzugeben.“

Was will der Kanzler mit der Vertrauensfrage erreichen?

Scholz will nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Christian Lindner und dem Aus seiner Ampel-Koalition erreichen, dass der Bundestag etwa sieben Monate früher als ursprünglich geplant neu gewählt wird. Derzeit führt er eine von SPD und Grünen getragene Regierung, die im Parlament keine Mehrheit mehr hat und deswegen ohne Unterstützung aus der Opposition nichts mehr durchsetzen kann. Scholz fordert die Abgeordneten nun zwar auf, ihm das Vertrauen auszusprechen. Sein Ziel ist aber, dass die Mehrheit bei der Abstimmung am Montag genau das Gegenteil tut. Denn ein geplantes Scheitern ist für den Kanzler eine Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen.

Wie wird die Abstimmung am Montag ablaufen?

Im Bundestag wird Scholz den Abgeordneten seine Gründe für die Vertrauensfrage in einer Rede erläutern. Dann wird es eine etwa 90-minütige Aussprache geben. Danach entscheidet das Parlament voraussichtlich in namentlicher Abstimmung. Das bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten mit etwas Verzögerung veröffentlicht wird. Es kann sich also kein Parlamentarier anonym für oder gegen Scholz aussprechen.

Ist sicher, dass Scholz keine Mehrheit bekommt?

Es ist ziemlich sicher, dass der Kanzler mit der Vertrauensfrage scheitert – auch wenn es einen Unsicherheitsfaktor gibt. Dem Bundestag gehören 733 Abgeordnete an. Um das Vertrauen des Parlaments zu bekommen, müsste Scholz 367 Stimmen erhalten – die absolute Mehrheit aller Parlamentarier, auch „Kanzlermehrheit“ genannt. Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Die Grünen, der noch in der Regierung verbliebene Juniorpartner der SPD, haben sich jedoch noch nicht entschieden. Ihre Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann hatte zwar kurz nach dem Ampel-Aus verkündet, dass die Grünen ebenfalls für Scholz stimmen würden. Inzwischen ist aber auch eine Enthaltung im Gespräch.

Olaf Scholz (SPD) bei der Unterzeichnung des Antrags

Olaf Scholz (SPD) bei der Unterzeichnung des Antrags

Warum schwanken die Grünen noch, wie sie sich verhalten wollen?

Das liegt an der AfD. Sollten SPD und Grüne geschlossen für Scholz stimmen, wären das zusammen schon 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Die AfD hat 76 Abgeordnete und könnte theoretisch Scholz zu einer Mehrheit verhelfen. Das wäre zwar irrational, weil die Partei die rot-grüne Minderheitsregierung ja eigentlich loswerden will. Aber mit Jürgen Pohl hat schon ein AfD-Abgeordneter angekündigt, für Scholz stimmen zu wollen, weil er für ihn verglichen mit dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz das kleinere Übel sei. Es ist also gut möglich, dass die Grünen auf Nummer sicher gehen und mit der SPD vereinbaren, dass sie sich enthalten.

Wie geht es weiter, wenn Scholz die Abstimmung verliert?

In dem Fall hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 21 Tage Zeit, auf Bitten des Kanzlers den Bundestag aufzulösen und den Neuwahltermin festzulegen. Wenn Steinmeier sich dafür entscheidet, was als sicher gilt, muss die Wahl innerhalb von 60 Tagen stattfinden. SPD, Grüne und die Union als größte Oppositionsfraktion haben sich auf den 23. Februar verständigt. Steinmeier hat wissen lassen, dass er den Termin für realistisch hält. Und er hat erklärt, nach welchem Maßstab er entscheiden werde: „Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung.“

Ist der Bundestag nach der Auflösung noch handlungsfähig?

Ja. „Der ,alte‘ Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen“, heißt es in einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Das Parlament kann jederzeit wieder zusammentreten, es kann weiter Gesetze beschließen, auch seine Gremien wie Untersuchungsausschüsse bestehen bis zum Ende der Wahlperiode fort. Dieses Ende ist mit dem ersten Zusammentreten des neu gewählten Bundestages erreicht.

Wie sieht es mit der Bundesregierung aus?

Auch die Regierung ist weiterhin im Amt – und zwar im vollen Umfang, nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestages endet laut Artikel 69 Grundgesetz das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Sie bekommen dann vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunden überreicht.

Und wenn bis dahin noch keine neue Regierung gebildet ist?

Der neue Bundestag tritt nach Artikel 39 Grundgesetz spätestens am 30. Tag nach seiner Wahl zusammen. Wegen der sich oft in die Länge ziehenden Koalitionsverhandlungen ist es üblich, dass die neue Regierung zu diesem Zeitpunkt noch nicht steht. Dann kann der Bundespräsident den Kanzler ersuchen, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. Dazu ist dieser dann verpflichtet. Gleiches gilt für die Minister. (dpa)