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Interview mit Sahra Wagenknecht„Viele wählen AfD aus Verzweiflung und Wut“

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„Eine Parteigründung ist nicht einfach“: Bis Ende des Jahres will Sahra Wagenknecht bekannt geben, ob sie das Wagnis eingeht.

„Eine Parteigründung ist nicht einfach“: Bis Ende des Jahres will Sahra Wagenknecht bekannt geben, ob sie das Wagnis eingeht.

Im Rundschau-Interview kritisiert die Linken-Politikerin, wie weit die aktuelle Politik von den Sorgen der Menschen im Lande entfernt ist.

Immer mehr Bürger fühlen sich nicht mehr von den Parteien im Bundestag vertreten, sagt Sahra Wagenknecht. Die Linken-Abgeordnete will das ändern. Welche Ideen sie hat, verrät sie im Gespräch mit Marion Trimborn. Hat sie mit ihrer Einschätzung recht?

Frau Wagenknecht, die Wirtschaft steuert in eine Rezession, die Infrastruktur ist marode, und die Rentenkassen sind leer. Doch die Ampel-Koalition widmet sich öffentlichkeitswirksam Themen wie dem Selbstbestimmungs-Gesetz oder der Cannabis-Freigabe. Hat die Berliner Regierung den Kontakt zum Bürger verloren?

Es gab selten eine Bundesregierung, die so weit weg von den Problemen und Sorgen normaler Bürger war wie diese Ampel. Diese Woche hat Kanzler Scholz in seiner Haushaltsrede gesagt, es gebe gar keine Gefahr einer Deindustrialisierung. Das ist weltfremd. Es droht eine schlimme Wirtschaftskrise, und die löst man nicht durch Kürzungen bei Renten, Bildung und Gesundheit. Notwendig sind große Investitionen und eine andere Energiepolitik.

Wie kommt es, dass die Regierung den Kontakt zum Bürger verloren hat?

Die maßgeblichen Politiker bewegen sich offenbar nur noch in ihrer Blase. Klar, auch die Ampel-Abgeordneten reden in ihren Wahlkreisen mit den Bürgern, aber das findet keinen Eingang in das Regierungshandeln. Das Heizungsgesetz ist ein Beispiel für eine rein ideologiegetriebene Politik. Der Beitrag zur CO2-Einsparung ist marginal, aber das Gesetz kostet Unmengen Geld und versetzt die Menschen in Panik, ob sie ihr Haus halten können.

Nun ist der sogenannte kleine Mann ja der Stammwähler der Linken. Warum kann Ihre Partei von den Fehlern der Regierung nicht profitieren?

Weil die Linke-Spitze sich leider genauso weit von den realen Problemen der Bürger entfernt hat. Es wäre unsere Aufgabe, Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zu vertreten, Rentner mit kleinen Renten, den Teil der jungen Generation, der nicht in dem Luxus lebt, dass Papa für den Lebensunterhalt sorgt. Da das aber ausfällt, suchen sich die Unzufriedenen eine andere Adresse, und das ist heute immer öfter die AfD.

Also sind die etablierten Parteien inklusive der Linken schuld am Aufstieg der AfD?

Eindeutig ja. Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich laut Umfragen von keiner Partei mehr vertreten. Viele wählen AfD aus Verzweiflung und Wut, um damit der etablierten Politiker-Klasse eine Ohrfeige zu geben. Aber diese große Repräsentationslücke ist ein Problem für die Demokratie.

Wie könnte eine demokratische Erneuerung aussehen?

Ich bin für Elemente einer direkten Demokratie in Deutschland nach dem Vorbild der Schweiz. Etwa beim Thema Rente. Ich finde, man sollte die Bürger fragen, ob wir nicht ein Rentensystem nach dem Vorbild Österreichs schaffen sollten, statt jetzt zehn Milliarden Euro Steuergeld in eine neue Aktienrente zu versenken. In Österreich zahlen alle ein, auch Selbstständige und Politiker, und ein langjährig versicherter Rentner hat im Schnitt 800 Euro mehr im Monat als in Deutschland. Ein anderes Thema könnte die Energieversorgung sein. Wollen wir wirklich auf billiges russisches Gas verzichten, während andere europäische Länder ihren Import sogar gesteigert haben?

Die wachsende Zahl an Migranten macht vielen Bürgern Sorgen. Müsste die ungeregelte Zuwanderung nicht begrenzt werden?

Ja unbedingt. Wer wirklich verfolgt wird, verdient Schutz, aber Migration ist keine Lösung für das Problem der Armut auf dieser Welt. Es gibt Grenzen, jenseits derer unser Land überfordert wird und Integration nicht mehr funktioniert. Und wir dürfen nicht aus falsch verstandener Toleranz zulassen, dass in unserem Land religiöse Hasslehren verbreitet werden oder unser Sozialstaat ausgenutzt wird. Andere Länder lösen das Problem auch, nahezu keins ist so offen wie Deutschland.

Migranten sind ja auch eine Konkurrenz zu den sozial Schwachen in Deutschland.

Viele Bürgermeister berichten, dass in ihren Städten sämtliche Sozialwohnungen mit Flüchtlingen belegt sind. Wer eine Sozialwohnung braucht, weil er wenig Einkommen hat, wird dadurch natürlich benachteiligt. Dasselbe gilt für Kita-Plätze oder guten Unterricht in der Schule, der kaum möglich ist, wenn in einer Grundschulklasse 80 Prozent der Kinder kein Deutsch sprechen. All das betrifft nicht die hippen Trendviertel, sondern die ärmeren Wohngebiete. Mittel sind immer begrenzt, wer das leugnet, lebt nicht auf dieser Welt.

Mit dieser Auffassung sind Sie eine Außenseiterin in Ihrer Partei.

Der gesamte politische Diskurs zu diesem Thema ist unehrlich, gerade im vermeintlich „progressiven“ Lager. Wer die Probleme thematisiert, wird verdächtigt, AfD-nah und rassistisch zu sein. Mir wurde das auch schon vorgeworfen, dabei stammt mein eigener Vater nicht aus Deutschland. Mir also rassistische Ressentiments vorzuwerfen ist aberwitzig.

Sie spielen ja mit dem Gedanken, eine neue Partei zu gründen. Sie reden seit fast einem Jahr darüber. Werden Sie nicht langsam unglaubwürdig?

Eine Parteigründung ist nicht einfach. Ob man das Wagnis eingeht, kann nicht eine Person entscheiden. Eine Partei braucht fähige Organisatoren und ein Mindestmaß an Strukturen in den Ländern. Wer unvorbereitet startet, bringt ganz sicher kein Erfolgsprojekt auf den Weg. Ich habe immer gesagt: Bis spätestens Ende des Jahres wird die Entscheidung fallen.