Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) widerspricht dem teils verbreiteten Eindruck, dass Meinungsfreiheit in Deutschland nicht mehr gilt. Etwas anderes macht ihm allerdings Sorgen.
Interview mit Marco Buschmann„Jeder Mensch darf in Deutschland sagen, was er möchte“
Bundesjustizminister Marco Buschmann (45) muss sich wegen seines Gesetzes gegen digitale Gewalt teilweise scharfe Kritik anhören. Das Gesetz ermöglicht etwa die Herausgabe von IP-Adressen der Täter, wenn jemand sich gegen Hass und Hetze im Netz wehren will. Im Gespräch mit Rena Lehmann verteidigt er das Vorhaben gegen Kritiker, spricht über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen.
Herr Buschmann, wie ist es in Deutschland um die Meinungsfreiheit bestellt?
Jeder Mensch darf in Deutschland sagen, was er möchte. So ist die rechtliche Lage, es sei denn, er verletzt dadurch relevante Rechte anderer, etwa die persönliche Ehre. Die Beleidigung ist ein Straftatbestand. Auch wer zum Rassenhass oder zu schweren Straftaten aufruft, begibt sich in Konflikt mit dem Strafrecht. Das sind allgemein akzeptierte Grenzen.
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Können Sie nachvollziehen, dass Menschen den Eindruck haben, bestimmte Meinungen nicht vertreten zu dürfen, ohne Nachteile zu befürchten?
Es treibt mich um, dass viele Menschen sich offenbar nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern, weil sie Angst haben, niedergebrüllt oder ausgegrenzt zu werden. Das muss man ernst nehmen. Für eine offene Gesellschaft reicht es nicht, wenn ihre Offenheit nur auf dem Papier steht. Die Offenheit muss gelebt werden. Deshalb werbe ich für Toleranz. Wenn jemand eine abweichende oder sogar absurde Meinung vertritt, muss er sie äußern können, er muss dann aber auch Widerspruch ertragen. Das ist aber etwas, woran wir alle arbeiten müssen.
Ist es ein Kollateralschaden der Corona-Pandemie, dass das keine Selbstverständlichkeit mehr ist?
Der Grundton der Debatte ist in der Pandemie rauer geworden, ja. Man merkt schon, dass viele Menschen sich aus dem öffentlichen Diskurs zurückgezogen haben. Beides ist nicht gut für die offene Gesellschaft. Für mich zeigt es, dass wichtige Debatten transparent geführt werden müssen – im Parlament und in reichweitenstarken Medien. Wenn das nicht geschieht und Menschen den Eindruck haben, es werde etwas unter dem Deckel gehalten, verlagern sich die Debatten in Nischen in den sozialen Medien. Stil und Debattenkultur sind dort nicht zwingend besser.
Wäre eine Aufarbeitung der Pandemie durch die Bundesregierung da nicht eine vertrauensbildende Maßnahme?
Wenn man eine so gewaltige Herausforderung zu bewältigen hatte wie eine Pandemie, mit schweren Grundrechtseingriffen, sollte man anschließend kritisch beurteilen, was gut lief und was nicht. In diesem Prozess befinden wir uns jetzt. Es ist ja etwa inzwischen auch weitgehend anerkannt, dass das Ausmaß der Schulschließungen aus heutiger Sicht falsch war. Das zeigt, dass diese kritische Auseinandersetzung längst im Gang ist.
Der Jurist Joachim Steinhöfel bezeichnete Sie gerade als LiNNN, das steht für Liberaler nur dem Namen nach, weil Sie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht abgeschafft, dafür aber jetzt auch noch ein Gesetz gegen digitale Gewalt auf den Weg bringen wollen …
Ich bin sehr dafür, dass Herr Steinhöfel so etwas schreiben darf – auch wenn es völlig falsch ist. Das zeigt ja eben, dass man in Deutschland seine Meinung sehr frei äußern kann. Ich habe mich persönlich dafür eingesetzt, dass der „Digital Service Act“ auf europäischer Ebene schnellstmöglich umgesetzt wird. Der kommt nun – und das wird dazu führen, dass wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz im nächsten Jahr vollständig abschaffen werden. Die geäußerte Kritik läuft also ins Leere. Solange ein Gesetz jedoch in Kraft ist, ist die Bundesregierung daran gebunden. Das gilt erst recht für den Bundesjustizminister.
Was soll das neue Gesetz gegen digitale Gewalt denn genau bewirken?
Ich halte das Gesetz für eine Selbstverständlichkeit, die wir jetzt endlich umsetzen. Wenn Menschen im Netz beleidigt oder gemobbt werden, müssen sie sich genauso effektiv wehren können, wie wenn sie auf dem Marktplatz beleidigt oder gemobbt werden. Bislang kann man sich im Internet aber oft nicht wehren, weil man gar nicht weiß, wer einen da angeht. Ich halte es für ein sehr liberales Prinzip, Menschen dazu zu ermächtigen, sich zu wehren und ihre Rechte geltend zu machen. Dafür müssen sie die Möglichkeit bekommen zu erfahren, wer hinter den Accounts steckt. Das wird mit dem Gesetz leichter.
Kritiker sagen, Ihr Gesetz führe dazu, dass man künftig schon in der Restaurantkritik aufpassen muss, was man schreibt …
Nein, alles, was heute gesagt und gepostet werden darf, wird man auch künftig dürfen. Wir wissen aber, dass auch Unternehmer von Mobbing betroffen sind. Da wird teils versucht, ihre Existenz zu ruinieren. Wir wollen künftig auch Menschen schützen, die zum Beispiel ein Restaurant betreiben und gegen die objektiv falsche Dinge behauptet werden. Man wird auch künftig behaupten können, das Steak habe wie Gammelfleisch geschmeckt. Denn dabei handelt es sich um eine Meinungsäußerung. Aber wenn jemand einen Gastronomen vernichten will, indem er wahrheitswidrig behauptet, das Gesundheitsamt ginge ja wegen Gammelfleisch bei ihm ein und aus, kann man dagegen vorgehen. Wir stärken die Rechtsdurchsetzung – und wahren die Meinungsfreiheit uneingeschränkt.
Warum machen Sie nicht eine Klarnamen-Vorschrift, damit man sich im Internet nicht mehr anonym bewegen kann?
Unser Weg respektiert die Grundrechte stärker. Es ist grundsätzlich zu respektieren, dass Menschen sich im Netz anonym bewegen können. Das ist zum Beispiel wichtig, wenn jemand Repressionen ausgesetzt sein könnte. Die Klarnamen-Pflicht wäre falsch. Wenn wir trotzdem Recht und Gesetz im Internet durchsetzen wollen, ist das Gesetz gegen digitale Gewalt die bessere Vorgehensweise – wirksam und grundrechtsschonend.
Ein anderes Thema: Am Sonntag sind Präsidentschaftswahlen in der Türkei – und die Grünen haben Türken in Deutschland quasi dazu aufgerufen, Erdogan abzuwählen. Schließen Sie sich dem Aufruf der Grünen-Spitze an?
Unabhängig davon, was man sich als Ausgang wünscht: Ich halte es nicht für klug, als Mitglied der deutschen Bundesregierung Wahlempfehlungen für ein fremdes Land abzugeben. Entscheidend ist, dass diese Wahlen demokratisch und nach internationalen Standards ablaufen. Und ich hoffe, dass sich die zum Teil heftigen politischen Auseinandersetzungen in der Türkei nicht auf Deutschland übertragen.
2018 erhielt Erdogan unter den 1,5 Millionen Deutsch-Türken hierzulande 65 Prozent der Stimmen. In der Demokratie leben, aber einen Autokraten wählen. Wie passt das zusammen?
Als Staatsbürger und Abgeordneter finde ich dieses Wahlverhalten schon sehr erstaunlich und auch bedauerlich. Aber es hilft nichts. Die Wahl ist frei und geheim – und das ist gut so. Man kann den Menschen kein anderes Wahlverhalten aufdrängen. Man kann nur weiter Überzeugungsarbeit leisten.
Wie lief der Wahlkampf in Deutschland? Große Auftritte von Erdogan gab es diesmal nicht …
Das ist kein Zufall. Unser Konzept ging auf. Wir haben sehr konsequente Regeln aufgestellt. Vor der letzten Präsidentschaftswahl in der Türkei gab es in Deutschland hetzerische Auftritte, bei denen offenbar zur Vernichtung des politischen Gegners aufgerufen wurde. Wir haben entschieden, dass wir Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern genehmigungspflichtig machen und dass wir diese Genehmigungen drei Monate vor der Wahl nicht mehr erteilen.
Auch Ihre FDP ist im Wahlkampf in Bremen. Wie lange kann sich die Partei noch leisten, eine Niederlage nach der nächsten bei Landtagswahlen hinzulegen?
Ich bin für die Wahl in Bremen guter Dinge. Die FDP war mal eine Partei, die aus dem Bundestag geflogen ist. Jetzt ist sie Teil der Bundesregierung. Wir sind gewählt worden als Problemlöser, die das Land modernisieren. Das ist das, was uns jeden Tag antreibt. Mit nichts überzeugen wir mittel- und langfristig so sehr, wie mit guter Arbeit. Mir ist um die Zukunft nicht bange.