Die Linke tut sich schwer mit einer einheitlichen Position zum Ukraine-Krieg. Ihr Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch sieht die Panzer-Lieferungen kritisch und lobt Kanzler Olaf Scholz für seine frühere Haltung dazu.
Interview mit Linken-ChefSind mehr Waffen die Lösung, Herr Bartsch?
Ein „Jahr der Diplomatie“ soll 2023 werden, fordert Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Im Gespräch mit unserer Redaktion wehrt er sich gegen Diffamierungen als „Putin-Versteher“ und erklärt, was ihn an der Debatte um Waffenlieferungen in die Ukraine so stört.
Herr Bartsch, die Entscheidung für eine Kampfpanzer-Lieferung ist mittlerweile gefallen, Ihre Kritik reißt allerdings nicht ab. Wie haben Sie die Debatte verfolgt?
Ich fand es beängstigend, wie Politiker von Union, Grünen und FDP immer mehr und immer schwerere Waffen gefordert haben. Dagegen war die Position des Kanzlers vernünftig. Es ist bedauerlich, dass er seinen Kurs aufgegeben hat. Inzwischen reden wir sogar über Kampfjets, nur fast nicht über Diplomatie. Das ist brandgefährlich.
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Wem sind Sie derzeit eigentlich näher in der Frage, wie man im Ukraine-Krieg agiert: Dem zögerlich abwägenden Bundeskanzler Olaf Scholz oder Sahra Wagenknecht, die bereits Parteiaustritte provoziert hat?
Sahra Wagenknecht hat eine sehr klare Haltung: Waffen beenden diesen Krieg nicht, sondern Verhandlungen! Diesen Kurs vermisse ich in der gesamten Bundesregierung und bei Olaf Scholz. Da geht es sehr einseitig um immer mehr Waffen. Im Ergebnis erhöht dieser Kurs die Gefahr, dass wir Kriegspartei werden.
Gibt die sogenannte Panzer-Allianz da keine Sicherheit?
Die meisten Leopard-Panzer in Europa besitzen Griechenland und die Türkei, die liefern beide nicht. Und die allermeisten anderen Staaten Europas ebenfalls nicht. Dann wird so getan, als wären diese wenigen Panzer aus Deutschland kriegsentscheidend, das ist absurd. Kurzum: Hier wird eine innenpolitische Diskussion geführt, bei der jeder Militärexperte nur den Kopf schütteln kann. Wann liefern eigentlich die USA ihre Abrams-Panzer? Dieser tröpfchenweise Informationsfluss ist Volksverarsche. Das nervt.
Immerhin auch 31 Prozent der Linken-Wähler hatten sich laut ZDF-Politbarometer für Kampfpanzer-Lieferungen in die Ukraine ausgesprochen.
Ich denke, dass es bei jedem klar denkenden Menschen eine gewisse Zerrissenheit gibt. Mir sind Leute suspekt, die ohne Nachdenken und Abwägen immer wissen, was richtig ist. Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, dass wir als Linkspartei Nein sagen zu Kampfpanzern und Kampfjet-Debatten. Wir müssen bei dieser Frage eine klare Linie beibehalten.
Fühlen Sie sich als Gegner von Kampfpanzer-Lieferungen von der Debatte ausgeschlossen?
Wer für Panzer ist, ist ein Guter und wer dagegen ist, ist ein Schlechter. Dieser öffentliche Diskurs ist nicht faktenbasiert und innenpolitisch geprägt. Wer einfach nur dahinsagt, dass die Ukraine gewinnen muss, hat die Komplexität der Situation nicht verstanden.
Die sieht Ihrer Meinung nach wie aus?
Russland hat noch diverse Möglichkeiten, die Eskalationsschraube nach oben zu drehen. So verheerend und barbarisch das russische Agieren ist: Russland wird wegen der Waffenlieferungen nicht in die Knie gehen. Aber die Annahme ist zynisch und geht zulasten der Ukrainer, die täglich leiden. Wer sagt denn, dass das ukrainische Volk mehr Waffen will? Die meisten Ukrainer wollen einfach nur, dass der Krieg endet und sie in Freiheit leben können.
Sie fordern ein „Jahr der Diplomatie“ und mehr Verhandlungen. Sind die Kriegsparteien denn dafür überhaupt bereit?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es auf dem Schlachtfeld keine Lösung gibt. Wenn Willy Brandt mit Leonid Breschnew Ost-Verträge verabschieden konnte, dann muss das heute auch möglich sein. Ja, es kann scheitern! Aber wir tun immer so, als stünde die ganze Welt gegen Russland. Das ist mitnichten so, wie Olaf Scholz gerade erst in Brasilien erlebt hat. Auch andere große Staaten wie China und Indien haben eine andere Sicht auf den Krieg als Europa und die USA. Sie wollen versuchen, den Krieg ohne weitere Waffen zu beenden. Das unterstütze ich.
Diese Staaten tun sich mit der Verurteilung des Angriffskrieges durch Russland aber auch ziemlich schwer…
Sie bleiben aber im Gespräch. Und ausgerechnet in Deutschland wird man stattdessen diffamiert, wenn man weniger militärische Handlungen fordert. Das finde ich problematisch. Der Bundestag debattiert lieber laienhaft über defensive und offensive Waffen. Politikerinnen tragen Leopardenkostüme, einige sprechen bei Kampfpanzern verniedlichend von „Leos“; das sind üble Mordwaffen.
Im Gegensatz zu vielen Abgeordneten haben Sie in der DDR ihren Grundwehrdienst geleistet. Sollte Ihre Meinung nur deswegen mehr Gewicht bekommen?
Nein. Ich bin nur über einige Kriegsdienstverweigerer erstaunt, die direkt von der Friedensdemo in den Panzer gesprungen sind. Das geht mir teilweise zu schnell. Entweder es war vorher Heuchelei oder ist es jetzt. Ich werbe nur für einen realistischen Blick. Doch wer sich in Deutschland gegen immer mehr Waffenlieferungen ausspricht, wird umgehend als „Putin-Versteher“ oder „Fünfte Kolonne Moskaus“ bezeichnet.
Ist es nicht sehr einfach, reflexhaft nur Verhandlungen zu fordern?
Ich will die Ukraine nicht sich selbst überlassen, aber werbe für eine europäische Friedensinitiative, die an die Minsker Abkommen anschließt. Natürlich kann es keinen „Diktat-Frieden“ geben. Aber auch keine Unterwerfung Russlands. Wir brauchen erst einmal einen Waffenstillstand. Der würde den Menschen helfen.
Ist der Plan angesichts der russischen Kriegsführung nicht zu blauäugig?
Wir müssen uns doch entscheiden, wie wir Russland und den Krieg einschätzen. Entweder wir befinden Putin für komplett wahnsinnig. Dann wäre der auch so wahnsinnig und bereit, sein Atom-Arsenal einzusetzen. Oder er handelt rational, dann müssen wir den Versuch der Verhandlungen wagen. Ich glaube nicht, dass er komplett wahnsinnig ist, wenngleich sein Krieg zweifelsfrei Wahnsinn ist. Aber ich will nicht glauben, dass wir einen Waffenstillstand erst erreichen können, wenn alle russischen Soldaten vom ukrainischen Territorium verschwunden sind. Wenn das das unverrückbare Ziel ist, wird dieser Krieg als Abnutzungskrieg noch Jahre dauern. Das kann niemand wollen.