Der iranische Angriff auf Israel überschattet den Besuch von Olaf Scholz beim wohl zwiespältigsten Partner, den Deutschland derzeit hat.
Rundschau-Debatte des TagesWas kann der Kanzler in China ausrichten?
Der Auftakt des dreitägigen China-Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist von den iranischen Luftangriffen auf Israel überschattet worden. Der Kanzler erfuhr in der Nacht zu Sonntag während seines knapp zehnstündigen Flugs von Berlin nach Chongqing von der Attacke mit 300 Raketen und Drohnen, die weitgehend erfolgreich abgewehrt wurde. Von der zentralchinesischen Megacity aus warnte er dann vor „jeder weiteren Eskalation“ und wandte sich damit – ohne es direkt auszusprechen – auch gegen einen israelischen Vergeltungsschlag. „Man darf auf diesem Weg nicht weitermachen“, sagte Scholz. „Wir werden alles dafür tun, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation kommt.“
Im Flieger über Angriffe unterrichtet
Scholz war bereits am Samstagnachmittag nach China gestartet und wurde während des Flugs laufend über die Eskalation im Nahen Osten unterrichtet. Die Delegation habe auch in engem Kontakt mit den deutschen Sicherheitsbehörden gestanden. Telefonate mit den Verbündeten gab es aus dem Flieger und auch unmittelbar nach der Landung zunächst nicht. Am Sonntagabend nahm Scholz dann an einer Videokonferenz der G7-Gruppe führender westlicher Industriestaaten teil – zur Abstimmung der Reaktion auf den Luftangriff. Vorher sprach der Kanzler mit seinen für Sicherheit zuständigen Ministern: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD).
Der Vergeltungsschlag für einen mutmaßlich von Israel geführten Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in Syriens Hauptstadt Damaskus war seit Tagen erwartet worden. Es gab auch Hinweise darauf, dass er an diesem Wochenende stattfinden könnte. Scholz entschied sich trotzdem, seine Reise anzutreten – und dann Programmänderungen in Kauf zu nehmen.
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Tourismus aus Programm gestrichen
Die fielen aber erst einmal gar nicht so gravierend aus. In Chongqing, das mit rund 32 Millionen Einwohnern aktuell als bevölkerungsreichste Stadt der Welt gilt, besuchte Scholz wie geplant mit der mitreisenden Wirtschaftsdelegation eine Produktionsstätte für Wasserstoffantriebe der Firma Bosch. Auch Gespräche mit Studierenden über Stadtplanung und mit deutschen und chinesischen Forschern zum Thema Wasserqualität sowie ein Treffen mit dem regionalen Parteisekretär blieben auf dem Programm. Gestrichen wurden dagegen eine Bootsfahrt auf dem Jangtse-Fluss und ein Stadtrundgang – also alles, was nach Tourismus aussehen könnte.
Am Montag ist die Weiterreise in die Wirtschafts- und Finanzmetropole Shanghai geplant, am Dienstag will der Kanzler in Peking Chinas Präsidenten Xi Jinping und den Ministerpräsidenten Li Qiang treffen. Wegen dieser beiden Termine in der Hauptstadt, für die die chinesische Führung mehrere Stunden freigeräumt hat, kam eine Absage der Reise oder ein Abbruch für Scholz nicht infrage. Und diese Gespräche könnten nun auch in Sachen Nahost hilfreich sein.
Auch Chinas Führung „zutiefst besorgt“
Bisher hat sich die chinesische Führung mit allzu deutlichen Äußerungen zu dem seit Monaten wütenden Konflikt im Nahen Osten weitgehend zurückgehalten. Am Sonntag meldete sie sich aber „zutiefst besorgt“ zu Wort. Das Außenministerium rief in einer Erklärung alle Seiten auf, Ruhe zu bewahren, um eine weitere Zunahme der Spannungen zu vermeiden.
Doch es ist ein anderer Konflikt, auf den China wohl eher Einfluss nehmen könnte – wenn es denn wollte. Präsident Xi gilt als wichtigster Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin, hat aber bisher keine Anstalten gemacht, ihn von seiner Aggression gegen die Ukraine abzubringen. Immerhin brachte Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Peking vor eineinhalb Jahren Xi dazu, sich gegen die russischen Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen zu stellen.
Zwei Anliegen in Sachen Ukraine
Diesmal dürften die beiden über die Ukraine-Friedenskonferenz sprechen, die Mitte Juni in der Schweiz stattfinden soll. Ein möglicher Erfolg steht und fällt mit der Teilnahme Chinas und anderer Staaten, die Russland freundlich gesinnt sind, wie Brasilien oder Südafrika. Scholz setzt sich für eine Teilnahme dieser Länder ein. Gleichzeitig sorgt er sich darum, dass China Russland mit militärisch nutzbaren Gütern versorgt. Auch das könnte bei dem Besuch Thema werden. „Es geht darum, dass China Russland nicht dabei unterstützt, gegen seinen Nachbarn Ukraine einen brutalen Krieg zu führen“, sagte Scholz vor seiner Abreise der „tageszeitung“.
Praxistest für die China-Strategie
Die Reise – die bisher längste des Kanzlers in ein einziges Land – ist aber vor allem auch ein Praxistest für die neue deutsche China-Strategie, die die Ampel-Regierung im vergangenen Sommer beschlossen hat. Sie zielt auf eine Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Volksrepublik, um ein böses Erwachen wie bei der Kappung der russischen Gaslieferungen nach dem Angriff auf die Ukraine zu vermeiden.
So richtig zündet diese Strategie bei der heimischen Wirtschaft aber noch nicht. Die etwa 5000 deutschen Unternehmen in China sorgen sich eher um unfaire Wettbewerbsbedingungen und die Exporteure um sinkende Absatzzahlen. Umgekehrt fluten etwa billige chinesische Elektroautos den europäischen Markt. Die EU-Kommission hat deswegen eine Untersuchung wegen möglicher illegaler Subventionierung eingeleitet. Sollte diese in Gegenmaßnahmen münden, könnte das einen Handelskrieg auslösen, befürchten vor allem die deutschen Autobauer.
China hofft auf „neuen Schwung“
Und was erwartet Peking von dem Besuch? Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, die als Sprachrohr der regierenden Kommunistischen Partei gilt, schrieb vor Scholz’ Ankunft, die Erwartung an den Besuch sei, dass „neuer Schwung“ in die Beziehungen der beiden Staaten komme. Deutschland und China sollten mit ihrer wirtschaftlichen Verflechtung im Zeitalter der Globalisierung die enge und für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit fortsetzen. (dpa)