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Rundschau-Debatte des TagesIst der Haushalt der Ampel noch zu retten?

Lesezeit 4 Minuten
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts,(l-r) Thomas Offenloch, Astrid Wallrabenstein, Ulrich Maidowski, Sibylle Kessal-Wulf, Doris König (Vorsitzende), Peter Müller, Christine Langenfeld und Rhona Fetzer, verkündet das Urteil

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verkündet das Urteil, laut dem der Nachtragshaushalt nichtig ist.

Das höchste deutsche Gericht fährt der Regierung in die Parade: Die Nutzung von Krediten für den Klimaschutz, die eigentlich für die Bekämpfung der Corona-Pandemie gedacht waren, ist nicht rechtens. Damit klafft ein Riesenloch in der Klimaschutz-Finanzierung.

Es ist ein Schlag ins Gesicht für die Bundesregierung: Fest eingeplante Kredite von 60 Milliarden Euro dürfen nicht für den Klimaschutz verwendet werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Umschichtung der Mittel im Haushalt von 2021 für verfassungswidrig. Finanzminister Christian Lindner (FDP) reagierte sofort: Fördermittel aus dem Klima-Sonderfonds liegen erst mal auf Eis. Nur die Hilfen für den lange umkämpften Heizungstausch und für klimafreundliche Häuser sollen fließen. Klima- und Umweltschützer befürchten einen herben Rückschlag für ihre Anliegen. Das Urteil des höchsten deutschen Gerichts könnte aber noch weitere Folgen für die Haushaltspolitik von Bund und Ländern haben.

Um was für Geld ging es überhaupt?

Bei dem Urteil geht es um ein Manöver im Bundeshaushalt von 2021. Damals wurde zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eine Ausnahmeregel der Schuldenbremse gezogen, sodass der Bund Kredite aufnehmen durfte. Weil diese nicht vollständig gebraucht wurden, verschob die Ampel-Regierung die Mittel in den Klima- und Transformationsfonds – ein wirtschaftlich vom sonstigen Haushalt getrenntes Sondervermögen, aus dem Investitionen für mehr Klimaschutz gezahlt werden. Die Umschichtung passierte erst 2022 – nachträglich für den Haushalt des Vorjahres. Die Union klagte dagegen und kritisierte, die Bundesregierung umgehe die Schuldenbremse im Grundgesetz. Sie lade sich über einen Trick auf Vorrat die Taschen voller Geld.

Was entschied das Bundesverfassungsgericht?

Das höchste deutsche Gericht gab der Union in seiner Entscheidung im Grundsatz recht. Der Nachtragshaushalt verstoße gegen die Ausnahmeregel der Schuldenbremse, entschieden die Richter. Die Ampel-Regierung habe nicht schlüssig begründet, was die Corona-Krise, also der Grund für die in Notlagen erlaubte Kreditaufnahme, und die Klimaprogramme miteinander zu tun hätten. Außerdem könne man in Notlagen aufgenommene Kredite nicht einfach unbegrenzt weiternutzen, ohne dass sie auf die Schuldenbremse angerechnet würden. Und zuletzt: Der Beschluss sei zu spät gekommen. Ein Nachtragshaushalt müsse vor Jahresende beschlossen werden.

Was bedeutet das für die Verwendung der Mittel?

Die 60 Milliarden Euro waren eigentlich im Klima- und Transformationsfonds (KTF) bereits fest verplant – und sind jetzt nicht mehr da. Nach dem Urteil löschte Lindner die Kreditermächtigungen, also die Erlaubnis, die Kredite aufzunehmen. Ganz leer ist der Topf damit allerdings nicht. „Es sind noch genug Gelder im Klima- und Transformationsfonds (KTF), sodass das Verbot durchs Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar zu Problemen führen wird“, schrieb der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Die Regierung setzt klare Prioritäten: Auf jeden Fall sollen im kommenden Jahr die Fördermittel für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen gezahlt werden. Auch die Förderprogramme für klimafreundlichen Neubau und die Wohneigentumsförderung für Familien seien nicht vom Stopp betroffen, betonte Bauministerin Klara Geywitz (SPD).

Und wie sieht die Lage ab dem Jahr 2025 aus?

Da sieht es aktuell kritisch aus. Die Bundesregierung will schnell einen neuen Wirtschaftsplan für den KTF erstellen. Dann dürfte sich klären, ob auf Programme verzichtet werden muss oder sie zumindest deutlich schwächer ausgestattet werden. Bis 2027 waren im KTF eigentlich Programmausgaben von mindestens 211,8 Milliarden Euro geplant. Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge betonten, die Programme seien „extrem wichtig für Klimaschutz, die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik“. Sie stünden im Kern der Regierungspolitik.

Sind noch Auswege denkbar, damit nichts gestrichen werden muss?

Die Karlsruher Richter erklärten: „Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.“ Ökonomen haben auch bereits Ideen geäußert, wie der Bund an mehr Geld kommen könnte. Die sauberste, grundsätzliche Lösung sei eine Reform der Schuldenbremse, sagte der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger. „Man könnte zum Beispiel regeln, dass nach einer Krise nur schrittweise zur Schuldenregel zurückgekehrt werden muss.“ Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hält für denkbar, dass die Neuverschuldung auf Nettoinvestitionen begrenzt wird. Truger brachte zudem ins Spiel, die Ausnahmeregel der Schuldenbremse weiterhin in Anspruch zu nehmen und über mehrere Jahre eine Notlage auszurufen, weil die Haushalte weiterhin betroffen seien. Alternativ könnten fehlende Einnahmen durch die Erhebung eines befristeten Energie- oder Klima-Solidarbeitrags ausgeglichen werden.

Für die Ampel-Koalition könnten all diese Vorschläge allerdings neuer Sprengstoff sein. Denn zum einen stehen vor allem Programme auf dem Spiel, die den Grünen besonders wichtig sind. Außerdem gehen die Haltungen zur Schuldenbremse in der Regierung weit auseinander: Kanzler Olaf Scholz (SPD), Lindner und dessen FDP sind ausgewiesene Fans des Instruments, während die Grünen und auch die SPD als Partei immer wieder eine Reform der Regel fordern.

Hat das Urteil noch weitreichendere Folgen?

Das wird aktuell geprüft. Es könne sich grundlegend auf die Haushaltspolitik von Bund und Ländern auswirken, sagte Kanzler Scholz. Dabei geht es um den Umgang mit schuldenfinanzierten Sondervermögen generell. „Das ist das Ende aller Schattenhaushalte, jedenfalls derer, die schuldenfinanziert sind“, sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Der Bund unterhält aktuell 29 Sondervermögen mit Verschuldungsmöglichkeiten in Höhe mehrerer Hundert Milliarden Euro. Die Union sieht zumindest das 200 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Energiepreisbremsen betroffen. (dpa)