Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview

Antisemitismusbeauftragte Klein
„Nicht verkehrt, für Gaza völlig neu zu denken“

Lesezeit 5 Minuten
Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus

Seit dem Beginn des Israel-Hamas-Konflikts hat Antisemitismus in Deutschland stark zugenommen, sagt Antisemitismusbeauftragter Klein. Wir haben mit ihm auch über Trumps Gaza-Pläne gesprochen.

Seit dem 7. Oktober 2023 herrscht Krieg zwischen Israel und der Hamas – seither ist die Zahl antisemitischer Übergriffe und Straftaten in Deutschland rasant gestiegen. Eine Gefahr, die von Milieus ausgeht, die vorher keine Schnittmenge hatten, sagt Felix Klein. Was der Antisemitismusbeauftragte von der neuen Regierung fordert und was er von Trumps Gaza-Plan hält, lesen Sie im Interview.

Herr Klein, kürzlich hat US-Präsident Trump mit einem Vorschlag für Aufsehen gesorgt: Die Palästinenser sollten in einen oder mehrere arabische Staaten umgesiedelt werden und das Gebiet könnte als eine Art US-Protektorat wieder aufgebaut werden. Eine verrückte Idee?

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen: Ich halte es nicht für verkehrt, radikal und einmal völlig neu zu denken. Im Gegensatz zu dem, was in einigen Medienberichten behauptet wird, hat Trump auch nicht von Vertreibung gesprochen, das wurde übertrieben. Er sprach von einer Umsiedlung, während der Gaza-Streifen neu aufgebaut wird. Während Sie Ihr Haus renovieren, schlafen Sie schließlich auch nicht darin, und die massiven Zerstörungen verlangen im Grunde nach einem umfassenden Aufbau einer komplett neuen Infrastruktur. Politisch muss man sehen, dass es Israel selbst mit seinem massiven Einsatz nicht gelungen ist, das Problem militärisch zu lösen. Insofern halte ich auch die Idee einer internationalen Verwaltung für das Gebiet durchaus für einen vernünftigen Vorschlag, den man diskutieren kann.

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober gab es zahllose anti-israelische und antisemitische Proteste an deutschen Universitäten – ausgeübt von einem Milieu, das sich für besonders aufgeklärt und antirassistisch hält. Wie erklären Sie sich das?

Bildung schützt nicht vor Antisemitismus, das sollte spätestens jetzt klar sein. Die Verharmlosung von Islamismus und Terror in der linken, gerade auch akademischen Welt ist zwar bekannt. Aber das Ausmaß der kritiklosen Blindheit gegenüber der Hamas ist wirklich atemberaubend, das wir an den Universitäten gesehen haben. Auch die Sympathien im Lehrpersonal für Anti-Israel-Demonstrationen schockieren mich. Es ist komplett aberwitzig, dass Milieus, die sonst scheinbar keine Überschneidungen haben, nun zusammen demonstrieren: türkische Rechtsextreme mit linken Esoterikern etwa. Antisemitismus funktioniert hier als Bindeglied.

Im Rahmen der Proteste wird Israel ein kolonialistischer Anspruch auf das Gebiet Gaza vorgeworfen. Würde eine amerikanische Verwaltung des Gaza-Streifens etwas am israelbezogenen Antisemitismus hier ändern?

Nein, das denke ich nicht. Antisemitismus besteht losgelöst vom politischen Verhalten Israels – das ist wissenschaftlich nachgewiesen. An Israel werden immer wieder moralische Maßstäbe angelegt wie an kein anderes Land dieser Welt: Als die Türkei einen völkerrechtswidrigen Angriff auf Syrien gestartet hat, hat das kaum jemanden interessiert. Israel hingegen wird durch Terroristen angegriffen, verteidigt sich selbst und steht dafür am Pranger.

Ist die bisherige Präventionsarbeit also gescheitert oder was folgt daraus für die Erinnerungskultur?

Unsere Erinnerungskultur ist sehr wertvoll und wurde hart erkämpft in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Doch mit dieser Form der Prävention allein kommen wir dem grassierenden Antisemitismus nicht bei. An deutschen Universitäten braucht es Menschen, die sich des Themas als Beauftragte gezielter annehmen, die Aufklärung und Prävention leisten. Was wir an Straftaten, der Verwendung von Symbolen, der Verbreitung von Positionen in Universitäten sehen, hat mit Wissenschaftsfreiheit nichts zu tun. Neben Ansprechpersonen an den Universitäten sind aber auch die Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz gefragt. Das Ausmaß an Radikalität, das wir in diesem Milieu sehen, darf der Staat nicht hinnehmen.

Wichtig wäre außerdem, dass die Erinnerungskultur in die Integration von Zuwanderern mit einbezogen werden muss. Gerade in migrantisch Milieus haben viele Menschen keinen Bezug zur deutschen Geschichte. Sie müssen wissen, dass sie als Teil dieses Landes eine Verantwortung für Israel und die Juden innehaben, auch wenn ihre Vorfahren vielleicht aus der Türkei stammen.

Welche Erwartungen knüpfen Sie an eine neue Bundesregierung?

Wir brauchen eine Strafrechtsverschärfung und ich hoffe, dass der nächste Bundestag hier an meiner Seite steht. Der Aufruf zur Vernichtung anderer Staaten, etwa „from the river to the sea“ (Anm.d.Redaktion: ein umstrittener Slogan, der die Auslöschung Israels propagiert und strafrechtlich geahndet werden kann), sollte unter Strafe gestellt werden, ebenso die Billigung von Terror auch im Ausland, wie ihn etwa die Hamas in Israel ausübt. Ich bedauere, dass diese Verschärfung in der letzten Legislaturperiode nicht zustande gekommen ist. Gelungen ist immerhin die Wiedergutmachungseinbürgerung. Es gibt Abgeordnete wie Filiz Polat oder Mathias Middelberg, denen der Kampf Antisemitismus eine Herzenssache ist – dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Es ist ein gutes Zeichen, dass die demokratischen Parteien sich weiterhin gegen Antisemitismus einsetzen. Für Juden ist es außerdem ungemein wichtig, dass die Brandmauer gegen die AfD hält.

Dennoch gibt es auch Juden, die die Partei unterstützen. Haben Sie Kontakt zur Gruppe „Juden in der AfD“ (JAfD)?

Nein. Ich teile die kritische Haltung des Zentralrats der Juden gegenüber der AfD. Die Gruppe ist auch viel kleiner, als Frau Weidel es neulich in einer Talkshow behauptet hat. Sie kann sich gerne melden und das Gespräch mit mir suchen. Abweisen würde ich sie sicher nicht, auch wenn ich bisher keine Veranlassung gesehen habe, von meiner Seite aus das Gespräch zu suchen.

Was wünschen sich die jüdischen Verbände, mit denen Sie in Kontakt stehen, derzeit?

Was häufig an mich herangetragen wird, ist der Wunsch, gesehen und respektiert zu werden, denn die Lebensqualität der Juden in Deutschland hat sich massiv verschlechtert. Dagegen kann jeder etwas tun. Ich rufe dazu auf: Gehen Sie zu Kulturveranstaltungen, schreiben Sie eine E-Mail an die jüdische Gemeinde in Ihrer Umgebung, zeigen Sie Interesse und Solidarität mit den Juden in Deutschland, wann immer Sie die Gelegenheit dazu haben.