Seit einem Jahr betont die EU stolz ihre geschlossene Reaktion auf den Krieg . Doch war das genug? Und welche Versäumnisse gab es von Seiten der Europäer? Eine Analyse
Analyse nach einem JahrHat die EU genug getan, um dem Ukraine-Krieg zu begegnen?
Als sich die Spitzen der Europäischen Union und der Nato am Morgen des 24. Februar vergangenen Jahres gemeinsam vor der Presse versammelten, wirkten sie nicht nur zutiefst erschüttert, sie aktivierten auch den Krisenmodus. Schon am Abend jenes Donnerstags, an dem die groß angelegte russische Invasion in der Ukraine begonnen hatte, kamen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen.
Mittlerweile wurden neun Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet, ein zehntes soll Ende dieser Woche beschlossen werden. „Die Welt kann sehen, dass Einheit unsere Stärke ist“, hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen in der dunklen Stunde Europas gesagt. Der Angriffskrieg Russlands markiere „einen fundamentalen Bruch in der Entwicklung Europas seit dem Ende des Kalten Krieges“, befindet der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer ein Jahr danach. Dabei wird vor allem das Gefühl der Geschlossenheit beschworen, auch wenn diese immer wieder zu bröckeln drohte, etwa beim Thema Öl-Embargo.
„Ohne langfristige Einigkeit droht Europa zu scheitern“
„Die einzige Möglichkeit, Russland zu besiegen, besteht darin, langfristig Einigkeit zu wahren, den Druck auf Moskau zu erhöhen und die Ukraine weiterhin zu unterstützen“, sagt die leitende Politikwissenschaftlerin Amanda Paul von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center (EPC) mit Blick auf die nächsten Monate. Die Konsequenzen könnten für Europa drastisch sein. „Sollte Russland in irgendeiner Weise siegreich sein, wäre die EU als geopolitische Akteurin, die sie so gerne sein möchte, gescheitert und deshalb in der Welt irrelevant.“
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Obwohl sich die Gemeinschaft für ihre schnelle und geeinte Reaktion auf die russische Invasion lobt, offenbarte der Westen Beobachtern zufolge auch Schwächen. „Der größte Misserfolg ist die Tatsache, dass die Verbündeten der Ukraine zu langsam mit der Lieferung von militärischer Ausrüstung waren“, kritisiert Paul. Zudem hätten sie nicht genügend schwere Waffen gesandt, „die die Ukraine wirklich braucht“. Einige Mitgliedstaaten gingen „zu vorsichtig“ vor, weil sie „immer noch besorgt über Russlands nukleare Erpressung“ seien.
Während Polen, Schweden, die Slowakei oder die baltischen Staaten laut der Osteuropa-Expertin genau verstanden hätten, was auf dem Spiel stünde, mussten andere Länder eine „völlige Evolution“ ihrer Politik durchlaufen, insbesondere Deutschland. Aber auch Paris geriet regelmäßig in die Kritik. „Staaten wie Frankreich waren in der Vergangenheit eher darauf bedacht, Kompromisse mit Russland zu suchen, was sich auch in Emmanuel Macrons Ansatz widerspiegelte“, so Paul. Das Land als eines der größten Nato-Mitglieder hätte „mehr an militärischer Unterstützung leisten können“.
In Sachen Sanktionen fordern Experten von Brüssel seit Monaten einen strengeren Kurs. So müssten Paul zufolge mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Umgehung von Sanktionen zu verhindern, Schlupflöcher zu schließen und die bereits bestehenden Strafmaßnahmen wirksam umzusetzen. Als Tor zu Russland gelten etwa seine Nachbarn wie die Türkei, Kirgistan, Kasachstan oder Armenien. Über sie werden weiter Waren ein- und ausgeführt. Trotzdem, Russland ist ein Jahr nach der Invasion das international meistsanktionierte Land. Und es steht weitgehend isoliert vom Westen da.
Zum Bedauern der EU sieht die Lage im Rest der Welt deutlich anders aus. „Zum ersten Mal appellieren wir Europäer samt den USA und unseren Partnern an die Länder des Globalen Südens, uns in einem für unsere Zukunft zentralen Kampf zu unterstützen“, sagt der Grünen-Politiker Bütikofer. Man erlebe, „dass relevante Akteure, allen voran China, diese Unterstützung nicht nur verweigern, sondern die Situation auszunutzen trachten, um die globale Position „des Westens„ insgesamt zu schwächen“. Hat es die EU versäumt, andere Regionen der Erde mit einzubeziehen? Warum stehen zahlreiche Staaten in Afrika, Asien oder Latein- und Südamerika nicht klar an der Seite des Westens?
„Demokratie gegen Autokratie“ hat bei vielen nicht verfangen
Paul zufolge war es „nicht hilfreich“, den Konflikt als „Demokratie gegen Autokratie“ zu bezeichnen, da es sich bei vielen der nun an der Seitenlinie Stehenden eben auch um Autokratien handelt. „Hätte man sich mehr auf den Einmarsch Russlands in einen souveränen, unabhängigen Staat und die damit verbundene Bedrohung konzentriert, hätte man vielleicht mehr Unterstützung aus einigen dieser Länder gewinnen können“, sagt Politologin Paul. Das Problem: Jahrelang sei keinem dieser Länder im Globalen Süden oder in Südamerika genügend Aufmerksamkeit geschenkt worden, um die Politik der EU zu erklären. Hinzu komme, dass die Russen ihre Desinformation in vielen Teilen der Welt „sehr effektiv“ verbreitet hätten. Hier müsse „mehr getan werden, um dem entgegenzuwirken und sich zu wehren.“