Der Nachtzug „Nightjet“ gilt als klimafreundliche Alternative zum Flugzeug – doch erhebliche Verspätungen sorgen für Unmut.
VerspätungschaosDeutsche Bahn bremst Nightjet aus Österreich aus
Berlin. Es ist wieder einer dieser Tage, an denen im Bahnverkehr in Deutschland wenig funktioniert. Züge sind verspätet oder fallen gleich ganz aus, Gleise werden gewechselt und Waggons in umgekehrter Reihenfolge angekündigt. Alles wie immer bei der Deutschen Bahn.Und mitten drin in diesem Chaos: der Nightjet aus Wien – so heißen die Nachtzüge der Österreichischen Bundesbahn ÖBB, die das Rückgrat des europäischen Nachtzugnetzes bilden.
Der Zug ist mit massiver Verspätung unterwegs. Seinen vorvorletzten Halt Hannover hätte er laut Plan um 7.05 Uhr morgens erreichen sollen. In der Bahn-App wird er für 10.23 Uhr angekündigt. Hamburg-Altona, hier endet die Nachtzugverbindung, soll irgendwann nach 12 Uhr erreicht werden. Die App nennt eine technische Störung am Zug als Grund für den Verzug, aber Vielfahrer wissen: Diese Angaben müssen nicht immer stimmen.
Jedenfalls sind verspätete Nachtzüge keine Seltenheit. Die Nightjets werden entlang ihrer Routen immer wieder mit mal mehr, mal weniger Verspätung angekündigt. Für denjenigen, der entspannt in den Urlaub reist, sicher kein Problem. Für Menschen mit Terminen ein Unding.
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Nightjet: Verbindung von Berlin nach Paris mit Problemen
Aber wie zuverlässig oder unzuverlässig sind die Nachtzüge denn nun? Die Deutsche Bahn verweist rundheraus an die Kollegen der ÖBB in Wien. Die behaupten auf ihrer Internetseite von sich selbst, zu den pünktlichsten Bahnen Europas zu gehören. Bezüglich der Nightjets, die von Wien aus etwa Richtung Deutschland, aber auch nach Italien oder Kroatien fahren, kann der Staatskonzern keine Angaben machen. Offenbar wird hier keine Statistik geführt, zumindest keine, die man veröffentlichen möchte.
Ein ÖBB-Sprecher teilt aber mit: Bei internationalen Nachtzugverbindungen sei die ÖBB „auf die Infrastrukturbetreiber der einzelnen Länder angewiesen“. In Deutschland ist das die DB, der das Schienennetz zwischen Alpen und Küste gehört und die es auch unterhält. Der ÖBB-Sprecher schreibt: „Aktuell gibt es durch Baustellen gerade in Deutschland vermehrt Verspätungen bei den Nachtzügen.“ Eine Strecke sticht dabei hervor: „Am schwierigsten ist zurzeit die Verbindung Berlin – Paris“, heißt es weiter. Die Verbindung war erst im Dezember wieder durch die ÖBB aufgenommen worden, nachdem jahrelang keine Nachtzüge zwischen den beiden Hauptstädten fuhren. Zur Erstfahrt kamen sogar Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), seine Amtskollegen aus Frankreich und Belgien sowie Bahnchef Richard Lutz, dessen Konzern jetzt zur Pünktlichkeit aber nichts sagen will.
Aktuell behindern sowohl Bauarbeiten in Deutschland als auch in Frankreich den nächtlichen Bahnverkehr auf der Strecke Berlin – Paris. Im Frühjahr musste die ÖBB gar Verbindungen ganz ausfallen lassen. Dazu der Sprecher: „Trotz intensiver Gespräche ist es uns in den letzten Monaten nicht gelungen, diese Verbindung mit der von uns erwarteten Zuverlässigkeit zu führen.“
Es sei eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der sei man „in intensivem Austausch mit der DB“, um allgemein die Pünktlichkeit der Nachtzüge zu verbessern. Aber: „Leider ist aufgrund von Überlastung des deutschen Bahnnetzes weiterhin mit Verspätungen zu rechnen.“ Bei der DB hebt man trotz aller Probleme die eigene Leistung hervor: „Über 7000 Züge mit Schlaf- und Liegewagen sind im Jahr 2023 mit unserer Hilfe durch Deutschland gefahren, zehn Prozent mehr als im Vorjahr.“ Man sei „starker Partner“ der ÖBB in Sachen Nachtzug, stelle etwa Loks und Personal, sorge für Energie und die Nutzung von Bahnhöfen und Trassen in Deutschland. Das Nachtzuggeschäft sei nur etwas für Teamplayer.
„Pro Bahn“: Brauchen europäische Nachtzuggesellschaft
Der Fahrgastverband „Pro Bahn“ will es nicht beim Teamplay belassen. Ehrenvorsitzender Karl-Peter Naumann fordert, dass die Mitgliedsstaaten der EU ein gemeinsames Bahnunternehmen für Nachtzüge gründen. „Wir brauchen eine europäische Nachtzuggesellschaft. Es ist sinnlos, wenn jeder Bahnkonzern hier sein eigenes Ding machen will.“ Naumann wirbt für die Vorteile: Ein Gemeinschaftsunternehmen könnte beispielsweise einheitliche Schlaf- und Liegewaggons kaufen. Zudem seien Absprachen bei grenzüberschreitenden Fahrten einfach. „Das alles würde die Zuverlässigkeit von Nachtzugverbindungen erhöhen, die damit für immer mehr Menschen zur echten Alternative zu Flugzeug oder Auto werden“, so Naumann. So ein Gemeinschaftsunternehmen, so seine Auffassung, könnte dann bei den Problemen speziell im deutschen Netz helfen. „Das Schienennetz hierzulande ist vollkommen überlastet, der Zustand der Infrastruktur in Deutschland ist ein riesiges Problem.“ Ein EU-Gemeinschaftsunternehmen könnte insgesamt die Zuverlässigkeit von Nachtzug-Verbindungen erhöhen.
Derweil einige Tage später in den frühen Morgenstunden irgendwo im deutschen Schienennetz: Der Nightjet aus Wien ist wieder unterwegs Richtung Hamburg. Verspätung laut App: zwei Stunden.