Verkehrsminister Wissing zum Flug-Chaos„Jetzt sind die Unternehmen am Zug“
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) macht wegen des jüngsten Chaos Druck auf Airlines und Flughäfen: Sie müssten zügig ausländische Fachkräfte zu fairen Löhnen einstellen, sagt er im Gespräch mit Rena Lehmann und Tobias Schmidt.
Herr Minister, kilometerlange Warteschlangen vorm Check-in, tausende gestrichene Flüge... Was sagen Sie all den Familien, die derzeit nicht an ihren Urlaubsort kommen?
Ich kann mit jeder einzelnen Familie und jedem Betroffenen mitfühlen. Ich habe deswegen schon vor Wochen mit Airlines und Flughafenbetreibern gesprochen und eine hochrangige Arbeitsgruppe eingesetzt, um herauszufinden, wie der Staat helfen kann.
Und?
Die Branche will die Personalprobleme bei Sicherheitskontrollen und Gepäckverladung mit Arbeitskräften aus dem Ausland lindern. Darum sind wir sofort aktiv geworden. Die Bundesagentur für Arbeit erteilt die erforderlichen Arbeitserlaubnisse, das Innenministerium hat beschleunigten Sicherheitsüberprüfungen zugestimmt, das Außenministerium sichert die Visavergabe, um Arbeitskräfte aus dem Ausland an unsere Flughäfen zu holen. Also: Die Regierung hat die Wünsche der Wirtschaft binnen Tagen erfüllt!
Dann ist also Entspannung in Sicht?
Jetzt sind die Unternehmen am Zug. Sie müssen die verfügbaren ausländischen Arbeitskräfte so schnell wie möglich einstellen. 2000 sollen es sein. Die Regierung kann keine Arbeitsverträge für Privatunternehmen abschließen. Damit die Arbeitskräfte wirklich kommen, müssen natürlich faire Gehälter gezahlt und die Jobs attraktiv gemacht werden. Ob das gelingt, liegt nicht in der Hand der Bundesregierung. Der Flugverkehr wird nicht vom Staat, sondern von privaten Unternehmen durchgeführt.
Geht das Chaos etwa weiter?
Der dramatische Arbeitskräftemangel ist auch eine Folge von Pandemie und Lockdown. Viele Mitarbeiter haben sich in dieser Zeit andere Jobs gesucht und wollen nicht zurückkehren. Das kann jetzt nicht in kürzester Zeit ausgebügelt werden, selbst wenn der Staat wirklich alles getan hat, um bürokratische Hürden aus dem Weg zu räumen. Der Staat kann auch niemanden zwingen, eine bestimmte Arbeit aufzunehmen. Hinzu kommt, dass nicht nur wir in Deutschland das Problem haben. Etliche Flugzeuge kommen wegen der gravierenden Personalengpässe in ganz Europa schon am frühen Morgen verspätet in Deutschland an. Das ist dann oftmals nicht mehr aufzuholen und die Flugpläne geraten ab Mittag völlig durcheinander, weil sich die einzelnen Verzögerungen in Europa addieren. Es gibt hier keinen einfachen Ausweg.
Vom Flugzeug zu Bus und Bahn: Seit knapp anderthalb Monaten gibt es das 9-Euro-Ticket. Wie fällt Ihre persönliche Halbzeit-Bilanz aus?
Die Warnungen vor Chaos waren Schwarzmalerei. Die Union wollte das Ticket sogar ganz verhindern. Dabei war das die beste Idee für den Bahnverkehr seit ganz langer Zeit. Neulich bin ich von Eberswalde nach Berlin gefahren und mit vielen Fahrgästen ins Gespräch gekommen. Eine Gruppe älterer Leute war aus Bad Hersfeld in Hessen mit dem Ticket quer durch Deutschland nach Eberswalde unterwegs, um dort Freunde zu besuchen und Ostdeutschland besser kennenzulernen. Die Gruppe hatte beste Laune. Es ist toll, dass so viele Menschen das Angebot nutzen, um sich beispielsweise einen Reisewunsch zu erfüllen. Ich bin jedenfalls begeistert!
Wie viele Tickets wurden denn schon gekauft?
Wir liegen inzwischen bei 31 Millionen Tickets. 21 Millionen Mal wurde das Ticket verkauft. Hinzu kommen 10 Millionen Abonnenten, die die Fahrkarte automatisch erhalten. Das ist ein fulminanter Erfolg! Und: Wir haben spürbar weniger Verkehr auf den Straßen, deutlich weniger Staus. Offenbar sind viele vom Auto in Busse und Bahnen umgestiegen. 89 Prozent der Nutzer sind mit dem Ticket zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Der ÖPNV erfährt einen Zulauf wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Dann wird der „fulminante Erfolg“ bestimmt fortgesetzt?
Wir werden einen neuen Ausbau- und Modernisierungspakt mit den Ländern verhandeln, dazu haben wir uns schon im Koalitionsvertrag bekannt. Dass die Finanzierung des ÖPNV für die Länder eine große Herausforderung ist, kann ich nachvollziehen. Allen ist aber auch klar, dass der Bund kein Monatsticket für 9 Euro auf Dauer finanzieren kann. Das wären jährlich rund zehn Milliarden Euro. Ich kann hier nicht den Haushaltsverhandlungen vorgreifen. Die wichtigste Lehre, die ich aus der Begeisterung für das 9-Euro-Ticket ziehe, ist: Es braucht strukturelle Veränderungen!
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Was heißt das konkret?
Wenn die komplizierten Tarifzonen verschwinden und die Tickets bundesweit gelten, wird der Öffentliche Nahverkehr sehr viel stärker genutzt. Es gibt ja seit Anfang Juni kein substanzielles zusätzliches Angebot an Zügen, und trotzdem haben wir es geschafft, 21 Millionen neue Nutzer zu gewinnen. Wir sollten deswegen endlich Wege finden, den Tarif-Dschungel in Deutschland zu beenden. Die Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket werden aber zunächst gründlich ausgewertet. Ab Herbst werden wir dann die notwendigen Schlüsse ziehen.
Von den Bahnen zu den Autos: Die müssen bald CO2 -frei fahren. Ist das von Ihnen durchgeboxte Schlupfloch für das Aus des Verbrenners da nicht kontraproduktiv?
Ab 2035 sollen auch Verbrenner zugelassen werden, aber nur, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt werden können. Das ist nicht kontraproduktiv, sondern sichert uns weitere Optionen für die klimaneutrale E-Mobilität, auch jenseits von Elektroautos.
VW-Chef Herbert Diess betont selbst, die Effizienz von E-Fuels sei „extrem schlecht“…
Andere Automobilhersteller sehen es anders. Die Politik sollte nicht festlegen, wer künftig welche Antriebe produziert oder kauft, solange sichergestellt ist, dass sie klimaneutral sind. Niemand kann beurteilen, welche Rolle E-Fuels in Zukunft haben werden. Meine Überzeugung: Wir werden auf dem Weg zur CO2 -freien Mobilität noch viele Entwicklungen erleben. Je technologieoffener wir an die größte Transformation unserer Wirtschaft herangehen, desto mehr Innovationen werden uns helfen, erfolgreich zu sein.