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„Lieblingsland der Türken"Qualifizierte Saisonarbeiter für deutsche Flughäfen?

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Ein Flughafen-Mitarbeiter räumt Gepäck auf ein Gepäckband (Symbolbild).

Istanbul – Ahmed ist alles andere als ein typischer türkischer Gastarbeiter. Der 35-Jährige hat studiert, spricht mehrere Sprachen, hat einen Pilotenschein und einen sicheren Job im öffentlichen Dienst. Trotzdem möchte er jetzt an einem deutschen Flughafen Koffer schleppen. Obwohl er für die Saisonarbeit überqualifiziert ist, will er sich so schnell wie möglich um einen Flughafen-Job in Deutschland bewerben, wie er unserer Zeitung sagte. Wie viele seiner Landsleute will Ahmed raus aus der Türkei und ihrer schweren Wirtschaftskrise. In der Anwerbe-Aktion deutscher Flughäfen sieht er deshalb eine echte Chance.

Rund 2000 türkische Aushilfskräfte sollen nach den Plänen der deutschen Flugbranche und der Bundesregierung die Personalengpässe an deutschen Flughäfen während der Feriensaison lindern und vor allem in der Gepäckabfertigung eingesetzt werden. Die Regierung will eine Ausbeutung der ausländischen Saisonarbeiter verhindern und besteht auf Tariflohn und einer guten Unterbringung.

Das läuft der türkischen Presse zufolge auf eine Bezahlung hinaus, von denen die meisten Türken in ihrem eigenen Land nur träumen können: 6000 Euro sollen die türkischen Arbeitskräfte in Deutschland demnach für die Saison erhalten. Soviel verdienen türkische Beschäftigte normalerweise in zwei Jahren. Die Anwerbung dürfte bald beginnen, nachdem die Regierung diese Woche eine schnelle Visavergabe ankündigte.

Neue Gastarbeiter-Welle?

Wie und wo sich türkische Aushilfskräfte für den Job in Deutschland melden können, steht noch nicht fest. Türkische Medien vermuten, dass die Anwerbung über das türkische Arbeitsamt Iskur laufen soll. Eine regierungsnahe Zeitung versprach ihren Lesern, sie sofort zu informieren, sobald die Details für die Bewerbung geklärt seien.

Die Zeitung „Hürriyet“ vergleicht die deutsche Flughafen-Initiative schon jetzt mit der Gastarbeiter-Anwerbung in den 1960er-Jahren. Zum ersten Mal seit 61 Jahren wolle Deutschland türkische Arbeitskräfte haben, titelte das Blatt. Damals gingen vor allem ungelernte Arbeiter aus armen Regionen der Türkei nach Deutschland – diesmal kommt das Interesse auch aus der türkischen Mittelschicht.

Ahmed, der seinen richtigen Namen nicht genannt wissen will, plant seine Bewerbung, weil er in der Türkei keine Perspektiven mehr sieht. Die Inflation liegt bei über 70 Prozent, die türkische Lira hat seit Anfang vorigen Jahres die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren. Der monatliche Mindestlohn, den Millionen Türken beziehen, ist nur noch 240 Euro wert. Gleichzeitig steigen die Ausgaben für Miete, Gas und Strom; viele müssen ans Ersparte gehen, um über die Runden zu kommen. „Es wird immer schwerer, den Lebensstandard der letzten zehn Jahre zu halten“, sagt Ahmed.

Deutschland beliebtes Ziel für junge Akademiker

Im Laufe seiner Pilotenausbildung hat Ahmed an verschiedenen Flughäfen gearbeitet, er kennt die Abläufe, spricht perfekt Englisch und hat alle erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen absolviert. Diese Voraussetzungen und die Aussicht, in der Bundesrepublik arbeiten zu können, machen das Angebot der deutschen Flughäfen für ihn sehr attraktiv. „Deutschland war schon immer das Lieblingsland für Türken.“

Dass er als ausgebildeter Pilot am Gepäckband die Koffer deutscher Urlauber sortieren müsste, nimmt er in Kauf. In der Türkei hat er selbst beobachtet, wie sich gut ausgebildete Einwanderer aus Zentralasien als Hilfsarbeiter verdingen. „Eine Ärztin aus Georgien verdient als Putzfrau in der Türkei mehr als in einer Klinik in ihrer Heimat“, sagt er. „Jetzt sind wir Türken an der Reihe.“ Selbst wenn er nur für ein paar Monate im Ausland arbeiten könne, sei das für ihn besser, als in der Türkei zu bleiben.

Die Personalnot an deutschen Flughäfen könnte so den Exodus von Fachkräften aus der Türkei verstärken. Tausende junge Akademiker haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen. Deutschland ist wegen seiner großen türkischen Minderheit, seiner wirtschaftlichen Stärke und seines stabilen Rechtsstaates ein beliebtes Ziel für die Auswanderer, doch Ahmed würde auch in einem anderen westlichen Land arbeiten. Viele Türken wie er warten nur auf eine Gelegenheit, ins Ausland auszuwandern – und sei es zum Kofferschleppen an einem deutschen Flughafen: „Ich habe Freunde und Bekannte mit guten Hochschulabschlüssen, die sofort gehen würden.“

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Wie Ahmeds Chancen bei der Auswahl für einen Job in Deutschland stehen, ist ungewiss. Die deutschen Flughafenbetreiber haben vor allem Arbeiter an türkischen Airports im Auge, auf denen es derzeit nicht viel zu tun gibt. Die türkische Regierung hatte in den vergangenen Jahren viele neue Flughäfen in Provinzstädten bauen lassen, die nun kaum angeflogen werden. So zählte der Flughafen im westtürkischen Usak mit seinen mehr als 80 Beschäftigten nach Medienberichten im ganzen vergangenen Jahr nur 52 Passagiere. In diesem Jahr landete dort zwischen Januar und April keine einzige Maschine.