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Tagebau HambachSo blickt Morschenich-Alt in die Zukunft

Lesezeit 6 Minuten
Verlassenden Wohnhäusern im Ortsteil Morschenich-Alt. Der Ort Morschenich am Tagebau Hambach sollte den Braunkohlebaggern weichen. Jetzt wollen ihm die Planer neues Leben einhauchen

Noch liegt Morschenich-Alt im Dornröschenschlaf. Der Ortsteil von Merzenich am Rand des Tagebaus Hambach soll revitalisiert werden.

Morschenich-Alt bleibt. Der Ortsteil von Merzenich wird nicht Opfer der Braunkohle-Bagger, wie RWE 2020 mitteilte. Pläne für die Zukunft werden geschmiedet. Die Gemeinde will den Ort von RWE zurückkaufen.

Ein Stück Zukunft taucht schon bald nach der Abfahrt von der Autobahn 4 links der Straße nach Merzenich-Morschenich auf: Eine aufgeständerte Solaranlage, deren Module 3,5 Meter über dem Boden montiert sind. In bestem Boden der Jülicher Börde darunter erforscht die Strukturwandel-Initiative Bioökonomie Revier mit Partnern wie dem Forschungszentrum Jülich, ob hier Beeren und andere Nutzpflanzen ökologisch und ökonomisch sinnvoll angebaut werden können. Unter den etwa 1000 Solarmodulen, die auf einer Fläche von drei Fußballfeldern stehen, könnten auch nachwachsende Rohstoffe für die Kosmetikindustrie oder die Spezialchemie wachsen.

Dieser Zukunft ist Morschenich ein Stück näher gekommen. Der Rat der Gemeinde hat in der vergangenen Woche den Rückkauf der Ortslage Morschenich-Alt befürwortet. Die Verwaltung arbeitet nun an der genauen Ausgestaltung des Kaufs.

Am Ortsrand von Morschenich-Alt steht eine aufgeständerte PV-Anlage

Anna Hecker, Strukturwandelmanagerin der Gemeinde Merzenich, kann sich weitere Module näher am Ort vorstellen. Diese Strukturen könnten langfristig zusammenwachsen. Schließlich ist Morschenich seit eineinhalb Jahren Ort der Zukunft. Dazu gehört für sie und ihren Kollegen Lennart Schminnes erneuerbare Energie. Und aufgeständert erlauben die Solaranlagen weiter eine landwirtschaftliche Nutzung der fruchtbaren Böden rund um Morschenich, wie sie seit Jahrhunderten betrieben wird. „Auch der Bau von Windrädern ist jetzt möglich, wo klar ist, dass der Ort erhalten bleibt“, sagt Schminnes, der zusammen mit Hecker seit Anfang des Jahres 2022 vor allem dafür sorgen soll, dass Morschenich eine Zukunft hat.

Nicht nur der Hambacher Forst bleibt, auch Morschenich muss nicht dem Tagebau Hambach weichen, wie RWE im Januar 2020 erklärt hatte. Da lief die Umsiedlung der einmal 493 Einwohner, die in über 180 Häusern gelebt hatten, bereits seit fünf Jahren nach Morschenich-Neu. Jetzt ist sie nahezu abgeschlossen. Der Sportverein hat längst einen Fußballplatz im neuen Ort, die Schützen haben hier eine neue Heimat gefunden, die Feuerwehr ist umgezogen, eine neue Kirche ist gebaut.

Die 2015 begonnene Umsiedlung ist fast abgeschlossen

Auf 130 Grundstücken sind viele Einfamilienhäuser entstanden, auch einige Doppelhaushälften und Reihenhäuser. In einigen Vorgärten surren Mähroboter, vor anderen Häusern liegt noch Schotter. Nicht alle Straßen haben bereits die finale Deckschicht aus Asphalt oder Pflaster. Aber die Arbeiten sind weit vorangeschritten. Nur noch eine Handvoll Häuser ist im Rohbau.

Die Umsiedlung ist so gut wie abgeschlossen. Über 70 Prozent der Bewohner von Morschenich haben ihre Häuser verkauft und leben im neuen Ort, der seinen Namenszusatz verlieren wird und dann nur noch Morschenich heißt. Die Umbenennung erfolgt nach dem offiziellen Abschluss der Umsiedlung im Sommer, die mit einem Fest gefeiert wird. Teils zogen komplette Nachbarschaften um, wie die Bewohner des „Neubaugebietes“, wie Schminnes erzählt. Sie lebten in zwanzig Häusern am Ortsrand. Die wurden bereits vor Jahren abgerissen, nur abgesenkte Bordsteine weisen auf frühere Grundstückseinfahrten hin.

Aus Morschenich-Alt wird Bürgewald

Aus Morschenich-Alt wird mit Ende der Umsiedlung Bürgewald, erklärt Schminnes. So wurde der Hambacher Forst früher genannt. Leben in den Ort haben über 100 Geflüchtete gebracht. Für sie wurden Häuser instand gesetzt. Wasserleitungen und Kanäle, die für fast 500 Menschen ausgelegt waren, regelmäßig gespült. „Unter dem Asphalt ist die Infrastruktur noch im Großen und Ganzen in Ordnung“, sagt Schminnes. Es müsse aber noch eine genaue Bestandsaufnahme erfolgen, auch durch den Energieversorger, ergänzt Hecker. Genutzt wird auch ein Reiterhof, der vor 20 Jahren renoviert worden war und noch gut in Schuss ist. Hier fand ein Reiterhof aus Erftstadt Unterschlupf, den vor zwei Jahren die Flut hart getroffen hatte. Der Mietvertrag läuft allerdings aus, eine Nachnutzung muss her

Der Briefkasten wird noch regelmäßig geleert, und Post wird zugestellt. Etwa den Hambi-Aktivisten, die sich auf einem Grundstück angesiedelt haben. Auch der Protest gegen die Abholzung des Hambacher Forstes gehört für die Strukturmanager zur Geschichte des Ortes.

Modell für die Revitalisierung von Orten

„Das Dorf soll in seiner Substanz erhalten bleiben“, sagt Schminnes. Zement und Beton seien unter hohem Energieaufwand hergestellt und schlecht recycelbar. Wird die alte Bausubstanz erhalten, ist das umweltschonend. Das könnte zum Modell für andere Revitalisierungen von Orten werden. Ihm und Hecker ist aber auch klar, dass nicht jedes Haus erhalten werden kann. Erst im abgelaufenen Jahr mussten zehn Gebäude abgebrochen werden, darunter das alte Schützenhaus. Dächer waren undicht, Decken eingebrochen, Schimmel hatte sich breit gemacht. „RWE als Eigentümerin hat auch eine Verkehrssicherungspflicht“, sagt Hecker.

Die Dorfkirche von Morschenich-Alt ist im April 2023 bis auf die Grundmauern abgebrannt

Die Revitalisierung des Ortes will die Gemeinde steuern und dabei an Vorhandenes anknüpfen. Die Kirche im Ortszentrum, die im April bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, ist ein Kristallisationspunkt. In ihr fanden Weihnachtskonzerte, Versammlungen und Ausstellungen statt. Die soll es auch in Zukunft hier geben. Wie und in welcher Form ein Wiederaufbau erfolgen kann, muss aber noch mit der Versicherung geklärt werden.

Weiterer Ortsmittelpunkt ist die Kita. In den 60er Jahren gebaut, beherbergte die aber immer weniger Kinder, weil junge Familien nicht mehr in den Ort zogen, nachdem in den 70er Jahren RWE mitgeteilt hatte, den Ort für den Tagebau in Anspruch zu nehmen.

Erste Ansiedlungswillige melden sich

Das könnte anders werden. „Eine Handvoll Interessenten gibt es bereits, die sich ansiedeln wollen“, sagt Schminnes. Wenn klarer werde, was mit dem Ort geschehen solle, würden es bestimmt mehr. Hecker und Schminnes denken an Angehörige der Familien, die umgesiedelt sind. Passen würde das zu den Plänen der Gemeinde. „Die junge Generation ist affin für die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz“, so Schminnes. Umgesiedelte und Angehörige haben Vorkaufsoptionen nach der gerade veröffentlichten neuen Leitentscheidung der Landesregierung.

„Wir sind gespannt, wie sich dieser Prozess in den kommenden Monaten gestalten wird“, sagt Hecker. Aus dem Kreis der Umgesiedelten habe sich bislang ebenfalls nur eine Handvoll gemeldet. Dabei hat Bürgewald alle Chancen, einmal ein Ort mit hoher Lebensqualität zu werden. Der Ortsrand wird in vielleicht 50 Jahren an einem See liegen, wenn der Tagebau Hambach mit Wasser gefüllt ist.

Naturerlebnis am Tagebausee

„Bei uns geht es dabei nicht um Wassersport, sondern um ein Naturerlebnis“, sagt Hecker. Wegen seiner Lage bekommt die zukünftige Böschung weniger Sonne ab als die in andere Kommunen am Tagebau Hambach. Auch wenn der See vollständig gefüllt ist, wird es einen deutlichen Höhenunterschied zwischen Wasserspiegel und der Ortschaft geben. Der künftige Rad- und Wanderweg Hambach Loop führt aber direkt an dem Ort vorbei.

See und Ufer gehören vorerst weiter RWE. Merzenich ist für die Planung des Ortes zuständig. Hier soll zunächst ein Masterplan entwickelt werden, Verkehrsführung und Grundstückszuschnitte sollen festgezurrt werden. Allein stemmen kann die Gemeinde mit einem Haushalt von 30 Millionen Euro Planung und Vergabe der Grundstücke nicht. Da brauche es Hilfe des Landes und seiner Planungstöchter. Bodenspekulation soll es jedenfalls nicht geben, geht es nach Hecker und Schminnes. Eine Grundstücksvergabe in Erbpacht könnte dem einen Riegel vorschieben.