Rundschau-Debatte des TagesWas steckt hinter der „grünen Inflation“?
Lesezeit 4 Minuten
Köln – Für Verbraucher sind es harte Zeiten: Die Inflation in Deutschland lag 2021 ersten Schätzungen zufolge bei 3,1 Prozent – der höchste Stand seit 1993. Ob Benzin, Lebensmittel oder Gebrauchtwagen, vieles hat sich in den letzten Monaten spürbar verteuert. Vor allem die Preise für Energie schießen in die Höhe. Bei vielen Menschen wächst die Befürchtung, dass sich das Leben noch stärker verteuern wird. Die Sorge scheint nicht unbegründet, denn Experten rechnen auch für die nächsten Jahre mit anhaltend hohen Inflationsraten.
Ein Grund dafür ist die sogenannte „grüne Inflation“. Damit ist gemeint, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel und Investitionen in die Energiewende die Preise zusätzlich antreiben. Isabel Schnabel, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), hatte unlängst auf dieses Risiko hingewiesen: Wegen des Kampfs gegen den Klimawandel und des Umstiegs auf nachhaltige Energiequellen bestehe die Gefahr, dass die Inflation mittelfristig höher liegen werde als gedacht.
Klimapolitik schafft billige traditionelle Energiequellen ab
„Energie-Schecks“
Die IG BCE appelliert wegen der stark gestiegenen Energiepreise an Politik und Arbeitgeber, Verbraucher und Beschäftigte mit Kostenentlastungen und höheren Löhnen zu unterstützen. Es sei Eile geboten, um die Folgen der Inflation für Haushalte wie Betriebe abzufedern, sagte der Chef der drittgrößten deutschen Gewerkschaft, Michael Vassiliadis. Es dürfe nicht bei einem Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger bleiben. Er schlug etwa „Energie-Schecks“ über einen pauschalen, einmaligen Förderbetrag vor – „mit einer Obergrenze, die man dann vereinbaren muss“. (dpa)
Andere Wirtschaftswissenschaftler warnen bereits länger davor. Auch Hans-Werner Sinn, früher Präsident des Münchener Ifo-Instituts, sieht die Energiewende als zusätzlichen Inflationstreiber. „Wir schaffen sukzessive die billigen traditionellen Energiequellen ab, weil die Politik sie verbietet. Die Alternativen sind aber nicht billiger“, sagte Sinn im Interview mit der „Welt“. Die Wende werde die Produktionskosten massiv erhöhen. Gegenüber der so erzeugten Inflation könnten die Preissteigerungen durch das Ölkartell Opec in den 1970er-Jahren verblassen, so der Ökonom.
Hinter den steigenden Energiepreisen stehen Klimaschutzmaßnahmen wie das von der EU vorgelegte Gesetzespaket „Fit for 55“, das auf 55 Prozent CO2 -Minderung bis 2030 im Vergleich zum Basisjahr 1990 zielt. Es sieht unter anderem neue Steuern und Zölle vor, ein Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 sowie einen Emissionshandel auch für Verkehr und Gebäude.
Emissionszertifikate werden teurer, CO2 -Preise steigen weiter
Hinzu kommen Emissionszertifikate und die CO2 -Bepreisung, die die Verbraucherpreise weiter in die Höhe treiben. Hinter solchen Maßnahmen steht der Ansatz: Je mehr es kostet, CO2 in die Umwelt zu pusten, desto größer der Ansporn, andere Lösungen zu suchen.
So erwerben Kraftwerksbetreiber und große Industriebetriebe zum Beispiel mit CO2 -Zertifikaten das Recht, Treibhausgase auszustoßen. Doch ein solches Verschmutzungsrecht in der EU wird immer teurer. Inzwischen kostet die Tonne CO2 -Ausstoß 80 Euro oder mehr, Anfang 2021 waren es noch 30 Euro.
Die CO2 -Steuer für fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl, Gas und Flüssiggas wurde 2021 eingeführt und soll jährlich steigen − von anfangs 25 Euro je Tonne Kohlendioxid auf 55 Euro je Tonne im Jahr 2025. Tanken und Heizen wird deswegen für viele auch 2022 teurer.
Unternehmen geben Kosten an die Verbraucher weiter
„Die Klimapolitik erhöht die Inflation, indem sie zwei Kostenwellen auslöst“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Zunächst müssten die Unternehmen mehr für ihre CO2 -Emissionen zahlen. Weitere Kosten kämen auf sie zu, weil der höhere CO2 -Preis sie zu einem klimagerechten Umbau ihrer Produktion veranlasse. Diese beiden Kostenwellen gäben die Unternehmen notgedrungen an die Verbraucher weiter. „Nach unseren Schätzungen erhöht das die Inflationsrate bis zum Ende des Jahrzehnts um etwa einen halben Prozentpunkt pro Jahr“, sagt Krämer. Klimapolitik gebe es nun mal nicht zum Nulltarif. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Inflationsrate in Deutschland lag über den Zeitraum der vergangenen 40 Jahre zwischen 1,9 und 3,2 Prozent.
Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), findet ein gewisses Maß an „grüner Inflation“ richtig und notwendig, da sie eine Anpassung relativer Preise widerspiegele. So müssten die Preise für klimaschädliches Verhalten steigen, um Anreize für Innovationen und alternative, klimaneutrale Wirtschaftsprozesse zu setzen, so Fratzscher.
Langfristig dürfte der Klimaschutz die Energiepreise senken
Erzählungen, wonach die „grüne Inflation“ schädlich und schlecht sei, seien hingegen zynisch und falsch. Nicht der Klimaschutz ist Fratzscher zufolge die Ursache für Inflation und ein Problem für die Wirtschaft, sondern der Klimawandel und durch ihn ausgelöste globale Handelskonflikte. Zudem werde der Klimaschutz die Energiepreise langfristig senken. Erneuerbare Energien seien effizienter und somit günstiger als fossile Energieträger, so der Ökonom. Regulierung und CO2 -Preise leisteten darum zwar kurz- und mittelfristig einen Beitrag zu höheren Energiekosten. Langfristig reduzierten sie diese aber und führten zu geringerer Inflation.
„Spätestens 2045 soll kein CO2 mehr emittiert werden. Dann fallen bei den Unternehmen auch keine Kosten mehr für CO2 an“, sagt auch Volkswirt Krämer von der Commerzbank. „Außerdem dürfte dann der kostenträchtige Umbau der Produktion beendet sein, so dass die Inflation nicht länger von der Klimapolitik erhöht wird.“ Bis dahin aber dürfte Umweltverschmutzung weiterhin einen spürbaren Preis haben.