Interview zur Angst in NRW„Ohne Hilfe droht Krankenhäusern eine Insolvenzwelle“
Lesezeit 4 Minuten
Energiekrise, Corona, Strukturreformen – die Krankenhäuser im Land erleben gerade stürmische Zeiten. Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), sprach mit Tobias Blasius über den Ernst der Lage und seine Erwartungen an die Politik.
Herr Morell, wie sehr setzt den 341 nordrhein-westfälischen Krankenhäusern die Energiekrise zu?
Der dramatische Anstieg von Energiepreisen und Sachkosten bringt viele der ohnehin unterfinanzierten Krankenhäuser vollends in eine wirtschaftliche Schieflage. Deshalb sage ich ganz klar: Ohne ausreichende Unterstützung des Bundes droht schon im Jahr 2023 eine Insolvenzwelle. Sie können im Krankenhaus nicht so leicht Energie einsparen. Medizinische Geräte wie MRT oder CT brauchen viel Strom. Wir können Patientenzimmer nicht nur mit 19 Grad heizen. Und Homeoffice geht bei medizinisch-pflegerischem Personal auch nicht. Aber es geht nicht nur um Energie, sondern auch um die außerordentlichen Kostensteigerungen insgesamt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat bereits Hilfe zugesagt, und auch das Land NRW will Sie nicht alleine lassen. Was benötigen Sie konkret?
Bundeskanzler Scholz hat versprochen, dass niemand im Regen stehen gelassen wird. Der Bundesgesundheitsminister hat schon vor Wochen ein Hilfspaket für die Krankenhäuser angekündigt. Von beidem merken wir bislang leider nichts. Das sorgt für Frust, denn die Zeit drängt. Krankenhäuser bewegen sich in einer gesetzlich festgelegten Finanzierungsstruktur und können gestiegene Kosten nicht einfach durch Preiserhöhungen ausgleichen. Wir geben gerade Geld aus, das wir nie wieder erwirtschaften können. Ohne eine schnelle Energie- und Kostenzulage wird es nicht gehen.
Zur Person
Ingo Morell (64) ist Mitglied der Geschäftsleitung der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe, die mehrere Krankenhäuser und Alteneinrichtungen betreibt. Im Ehrenamt führt Morell die Krankenhausgesellschaft, die die Interessen der 341 Kliniken in NRW vertritt. (tb)
Die Energiekrise trifft die Krankenhauslandschaft in NRW in einer sensiblen Phase. Zurzeit beginnen die Verhandlungen über einen neuen Krankenhausplan, der am Ende zu weniger Krankenhäusern führen dürfte. Erschwert das die Verhandlungen?
Die aktuelle Krise unterstreicht eher die Notwendigkeit einer Strukturreform. Eine leistungsfähige medizinische Versorgung braucht wirtschaftlich gesunde Krankenhäuser. Obwohl ich mit NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann nicht immer einer Meinung bin, habe ich großen Respekt davor, dass er dieses heiße Eisen anfasst. Mit der Konsolidierung der Krankenhauslandschaft und der möglichen Zusammenlegung oder Schließung oder Umwidmung von Standorten macht man sich politisch ja nicht nur Freunde.
Krankenhausträger und Krankenkassen sollen sich zunächst über eine neue Versorgungsstruktur in 16 Regionen in NRW verständigen, andernfalls entscheidet der Minister. Wird ein solches Machtwort notwendig sein?
Niemand will einen kalten Strukturwandel, also eine unkontrollierte Marktbereinigung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wohin so etwas führt, erleben wir seit Jahren in der Geburtshilfe. Weil es sehr teuer ist, Kreißsäle zu unterhalten, müssen Schwangere heute selbst in Ballungsgebieten manchmal erst einen freien Kreißsaal suchen. Der neue Krankenhausplan muss im Sinne unserer Patientinnen und Patienten zu einer klugen Vernetzung von großen und kleinen Häusern und niedergelassenen Ärzten führen. Da es aber unterschiedliche Interessen der Beteiligten gibt, wird an der einen oder anderen Stelle eine Entscheidung durch das Gesundheitsministerium notwendig werden.
Warum kostet es Geld, wenn Häuser zusammengelegt und Behandlungsschwerpunkte gebildet werden?
Der Abbau von Krankenhausbetten kostet in etwa so viel wie der Aufbau. Wenn Sie durch Zusammenlegung aus zwei kleinen Krankenhäusern ein größeres machen, müssen Sie umbauen, Versorgungsstrukturen erweitern, für einen zu schließenden Standort müssen Sie zum Beispiel Ausgleichszahlungen an Pensionskassen leisten und möglicherweise Sozialpläne aufstellen. Dieses Geld kann kein Krankenhaus aufbringen. Für die kommenden fünf Jahre muss das Land NRW für diese Veränderungsprozesse mindestens zwei Milliarden Euro bereitstellen. Ich bin gespannt, wie sich das im Landeshaushalt 2023 abbildet. Denn wenn die Krankenhausplanung nicht jetzt im Haushalt belastbar finanziell unterfüttert wird, wird sich kein Krankenhausträger auf diesen Prozess einlassen.
Das Land und die Universitätskliniken haben zuletzt nach einem harten Arbeitskampf einen „Entlastungstarifvertrag“ vereinbart, der die Arbeit am Uniklinikum für Pflegekräfte deutlich attraktiver macht. Geht das zu Lasten normaler Krankenhäuser?
Noch spüren wir die Sogwirkung zu den Universitätskliniken nicht allzu sehr. Aber wenn am Ende das Land die Zusatzkosten des Entlastungstarifvertrages für die Universitätsklinken bezahlen würde, wäre das natürlich eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der übrigen Krankenhäuser. Der Fachkräftemangel im medizinisch-pflegerischen Bereich lässt sich nicht dadurch bekämpfen, dass an sechs Unikliniken eine Arbeitszeitverkürzung versprochen wird.