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Chipmangel hält VW unter Druck

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Wolfsburg – Die weltweite Chipkrise könnte Volkswagen vor allem im Stammwerk Wolfsburg noch länger ausbremsen. Zwar sieht die Konzernleitung Fortschritte in der drastisch verknappten Versorgung mit Halbleitern.

Wegfallende Nachtschichten und Produktionsaussichten weit unter den ursprünglichen Plänen versetzen den Betriebsrat jedoch in Sorge, wie bei einem digitalen Treffen am Mittwoch deutlich wurde.

Beide Seiten halten den VW-Hauptsitz nach heftigen internen Debatten für insgesamt gut vorbereitet, um in den kommenden Jahren den Wettbewerb speziell durch Tesla offensiver angehen zu können. Auf dem Weg dorthin sind aber noch einige Punkte zu klären. Vorentschieden scheint, dass die neue Fabrik für das künftig zentrale Elektromodell Trinity möglichst direkt am Gelände des Heimatwerks entstehen soll.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo zeigte sich dennoch beunruhigt. Das vorige Jahr habe jenseits der Pandemie „viele Fragen aufgeworfen und für Verunsicherung gesorgt”, sagte sie laut Redemanuskript. „Leider auch für Sorgen und Ängste.” Cavallo schätzt: „Die kommenden Monate werden hart, sie werden uns viel abverlangen, sie erfordern unsere ganze Kraft für unser Unternehmen und unsere Arbeitsplätze.”

Die unzureichende Belieferung mit Elektronik habe dazu geführt, dass 2021 in Wolfsburg rund 330 000 Autos hätten nicht gebaut werden können. Die weniger als 400 000 noch produzierten Wagen bedeuten eine Stückzahl wie zuletzt 1958. Der überwiegende Teil der Nachtschichten soll hier bald gestrichen werden. Indes könnten die Beschäftigten nichts für Versäumnisse in der Halbleiterbeschaffung, sagte Cavallo. Sie hätten Anspruch auf einen Ausgleich für wegfallende Zuschläge.

Das Wolfsburger Fertigungsziel für 2022 von 570 000 Autos sei - auch ohne Betrachtung des Chipmangels - kein gutes Signal. „Das entspricht weder dem, was wir vereinbart haben, noch dem, was dieses Werk leisten kann”, meinte die Betriebsratschefin, die auch im Präsidium des VW-Aufsichtsrats sitzt. „Einerseits bewegt sich der Konzern auf einem Rekordniveau. Aber andererseits und zur gleichen Zeit sind Volkswagen und unser Stammsitz Wolfsburg in einer schweren Krise.”

Vorstandschef Herbert Diess sagte: „Wolfsburg ist besonders hart von der Halbleitersituation betroffen. Deshalb sind Kapazitätsanpassungen erforderlich, auch mittelfristig.” Er betonte, dass man das Problem mittlerweile besser im Griff habe: „Die Halbleiter sind die einzig große Herausforderung, die auch für Wolfsburg die größte Sorge ist. Hier haben wir über die Jahreswende Fortschritte gemacht.”

Schon länger kümmert sich eine Taskforce darum, Chipbestände für VW zu sichern. Übergangsweise seien außerdem andere technische Lösungen gefunden worden, um fehlende Mikroprozessoren zu ersetzen, berichtete Diess. „Auch 2022 werden wir nicht alle Autos bauen können, die wir verkaufen könnten. Aber wir sehen gerade für die zweite Jahreshälfte Chancen für weitere Produktionssteigerungen.”

Cavallo betonte, dass die Unsicherheit einstweilen hoch bleibe. Zum Jahreswechsel mussten bereits viele Leiharbeiter gehen. „So bitter das ist: Inzwischen geht es bei uns um die Beschäftigung für unsere Stammbelegschaft”, sagte sie zu den Schichtplänen. Dabei sei die Auftragslage sehr gut. Ohne die bestehende Beschäftigungssicherung bis 2029 müsste man wohl ganz andere Job-Debatten führen.

„Sie tragen die Hauptverantwortung für unsere Lage, und deswegen lassen wir nicht zu, dass Konsequenzen allein auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden”, sagte Cavallo in Richtung des Managements. Die gekürzten Nachteinsätze in Wolfsburg könnten 5000 Menschen betreffen. Der Stammsitz habe besonders mit Teilemangel zu kämpfen - auch weil VW verfügbare Chips stark auf die ID-Reihe und gewinnträchtige Oberklassemodelle konzentriert habe. Ab 2023 und in Vollproduktion 2024 soll der ID.3 dann auch nach Wolfsburg kommen.

Bis zum Jahresende soll der Baubeginn des Entwicklungszentrums Campus Sandkamp sein, spätestens im Frühjahr 2023 für die Trinity-Fabrik. Das 2026 startende E-Modell soll teilautonom fahren können. „Wir brauchen das Projekt vor allem für die Transformation am Hauptsitz, also um die Beschäftigten, die wir jetzt hier an Bord haben, weiterhin mit Arbeit zu versorgen”, sagte Cavallo der Deutschen Presse-Agentur. „Das muss auf jeden Fall hier stattfinden” - also auf dem heutigen Gelände oder zumindest in direkter Umgebung.

VW-Personalvorstand Gunnar Kilian stellte im dpa-Interview klar: „Ausschlaggebend wird bei der Wahl des Standortes am Ende immer das Kriterium der Wirtschaftlichkeit sein.” Es gebe aber viele Punkte, die für eine Ansiedlung in unmittelbarer Nachbarschaft der Zentrale sprächen. „So belasten wir nicht die Produktionsanläufe neuer Autos im Stammwerk durch umfangreiche Umbauarbeiten und können es gleichzeitig nach dem Vorbild der neuen Fabrik umrüsten.” Als Vorbild gelten die Tesla-Fabriken. Eine endgültige Entscheidung zum Standort wird noch in diesem Quartal erwartet.

© dpa-infocom, dpa:220216-99-155721/3 (dpa)