Berlin – Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will Deutschland weiter für ein mögliches Wegbrechen russischer Gaslieferungen wappnen und dafür die Zahl der Kohlekraftwerke in Reserve ausbauen.
Falls Gasmangel eintritt oder droht, soll der Gasverbrauch in der Stromerzeugung deutlich verringert werden, wie am Dienstag aus dem Bundeswirtschaftsministerium zu hören war. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird in der Bundesregierung beraten. Wenn er das Kabinett passiert hat, müsste noch der Bundestag zustimmen.
Wann die Reserve zum Einsatz kommt
Die stillgelegten Kohlekraftwerke sollen bei der Stromproduktion einspringen, wenn in Deutschland Gasmangel droht oder bereits zu wenig Gas zur Verfügung steht. Auch einige Kraftwerke, die mit Mineralöl betrieben werden, sollen Teil der Reserve werden. Die Entscheidung, die Reserve zu nutzen, soll den Plänen zufolge Habeck in Absprache mit bestimmten Ministerkollegen treffen können. Die Möglichkeit dazu sollen ihm die nun vorgeschlagenen Gesetzesänderungen verschaffen.
Was Reserve heißt
Die Teilnahme an der Reserve ist für Kraftwerke, die die Bundesnetzagentur als systemrelevant einstuft, verpflichtend. Als Teil der Reserve müssen Kohlekraftwerke in einem Zustand erhalten werden, der einen dauerhaften Betrieb am Strommarkt möglich machen würde. Die dafür anfallenden Kosten werden erstattet. Die Betreiber müssen auch genügend Brennstoff vorhalten.
Bei Engpässen sollen die Betreiber zwar nicht wieder in die Stromproduktion einsteigen müssen - es dürfte sich angesichts hoher Preise dann aber für sie lohnen. Finanzielle Unterstützung gibt es dann nicht mehr für sie.
Und die Braunkohle?
Im Gegensatz zur Steinkohle wird Braunkohle nicht importiert, sondern in Deutschland gefördert. Stillgelegte Braunkohlekraftwerke befinden sich in einer sogenannten Sicherheitsbereitschaft, damit sie bei Engpässen ebenfalls aushelfen können. Damit dies schneller klappt, sollen sie in eine neue Versorgungsreserve überführt werden. Über den Abruf würde wie bei der Steinkohle Habeck nach Rücksprache mit Kollegen entscheiden.
Die Rolle von Gas in der deutschen Stromerzeugung
Im vergangenen Jahr trug Gas nach Ministeriumsangaben etwa 15 Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei. Inzwischen dürfte der Anteil aber geringer sein.
Betrieb von Gaskraftwerken soll unattraktiver werden
Der Einsatz von Gaskraftwerken zur Stromerzeugung soll im Ernstfall für eine Dauer von sechs Monaten mit einem sogenannten Malus belegt werden können, was den Betrieb laut Ministerium unwirtschaftlich machen würde. Betreiber müssten dann Geld an den Staat zahlen. Ob es dazu kommt, würde ebenfalls Habeck nach Rücksprache mit Ministerkollegen entscheiden.
Anlagen, die aus Gas gleichzeitig Wärme und Strom oder mechanische Energie erzeugen (Kraft-Wärme-Kopplung), sollen weiterlaufen können, wenn es keine Alternative zur Wärmeerzeugung gibt.
Regelungen mit Verfallsdatum
Im Sinne des Klimaschutzes will Deutschland die Stromerzeugung aus Kohle in nicht allzu ferner Zukunft beenden. Das bleibe auch so, heißt es im Gesetzentwurf: „Das Ziel, den Kohleausstieg idealerweise im Jahr 2030 zu vollenden, bleibt, wie auch die Klimaziele, davon unberührt.” Die Regelungen zur kurzfristigen Aktivierung von Kohlekraftwerken sollen als Brücke für den Zeitraum dienen, bis Deutschland sich zumindest weitgehend von russischen Gasimporten gelöst hat.
Die Regelungen zur möglichen Nutzung von Kohlekraftwerken in der Stromerzeugung sind bis zum 31. März 2024 begrenzt. Bis zum Sommer 2024 könnte der Anteil russischen Gases nach früheren Angaben des Ministeriums schrittweise auf 10 Prozent des Verbrauchs in Deutschland gedrückt werden. Mitte April lag er bei 35 Prozent.
Reaktionen
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßte grundsätzlich, dass die Bundesregierung Deutschland weiter auf einen möglichen Gaslieferstopp vorbereitet. „Wichtig ist dabei aus Sicht der Stadtwerke vor allem, eine Einschränkung der Gasverstromung auf eine absolute Mangellage zu begrenzen, sie klar zu definieren und die Wärmeerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung nicht zu gefährden”, betonte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing.
Auf Skepsis stößt in der Energiebranche die Regelung, wonach der Betrieb von Gaskraftwerken vorübergehend verteuert werden könnte. „In einer Gasmangellage würden die Gaspreise stark steigen und müssten nicht durch den Staat zusätzlich erhöht werden”, erklärte der Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas. „Es ist ein falscher Ansatz, etwas zu bestrafen, was man in Zukunft noch braucht: Die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken wird langfristig den dringend notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien abfedern müssen.”
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) begrüßt zwar wie auch Zukunft Gas, dass Vorkehrungen getroffen werden sollen, sieht eine vorübergehende Verteuerung der Stromerzeugung in Gaskraftwerken aber extrem skeptisch: „Dies würde einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Unternehmen darstellen, der nach Ansicht des BDEW unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt wäre.”
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