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Verheerendes Unwetter1.200 Menschen sitzen in Valencia weiter in Fahrzeugen fest

Lesezeit 4 Minuten
30.10.2024, Spanien, Valencia: Dutzende von Fahrzeugen stecken auf der A3 fest. Ein Wetterphänomen, das als «kalter Tropfen» bekannt ist, forderte Dutzende Menschenleben. Dabei ist das ganze Ausmaß der Jahrhundert-Tragödie noch unbekannt. Foto: Jorge Gil/EUROPA PRESS/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Valencia: Dutzende von Fahrzeugen stecken am Mittwoch (30. Oktober) auf der A3 fest. Rund 100 Menschen starben bei dem Unwetter am Dienstag.

Nach dem Unwetter in Spanien müssen die Einsatzkräfte nicht nur nach Opfern suchen, sondern auch Tausende aus misslichen Lagen befreien.

Rund 1.200 Menschen sitzen in Spanien nach dem verheerenden Unwetter zum Teil seit mehr als 24 Stunden in ihren Fahrzeugen fest. Man schätze, dass auf den Autobahnen A3 und A7 in der Region Valencia insgesamt circa 5.000 Fahrzeuge feststecken, teilte die Polizeieinheit Guardia Civil (Zivilgarde) am Abend mit. Es handele sich um Autos, Busse oder Lastwagen, die zum Teil von den Fahrern und Passagieren verlassen worden seien. Es gebe aber auch Menschen, die nicht von ihren Fahrzeugen weggehen wollten, hieß es.

Auch in Zügen, Häusern, Büros, Schulen und Einkaufszentren sind seit Dienstagabend viele Tausende Menschen eingeschlossen. Andere suchten auf Dächern von Autos oder Häusern Schutz. Sie wurden am Mittwoch von Tausenden Einsatzkräften des Militärs, des Zivildienstes, der Feuerwehr und der Polizei zum Teil unter Einsatz von Hubschraubern und Booten in Sicherheit gebracht.

Rund 100 Todesopfer durch Unwetter in Spanien – Staatstrauer

Beim Unwetter starben nach vorläufigen amtlichen Angaben mindestens 95 Menschen. Die Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus. Ministerpräsident Pedro Sánchez sagte in einer Fernsehansprache, „wir können nicht davon ausgehen, dass diese katastrophale Episode schon beendet ist“. Er rief die Bewohner dazu auf, sich vorsichtig zu verhalten.

Sánchez habe mit König Felipe VI. gesprochen und ihn darüber informiert, dass ab Donnerstag eine dreitägige Staatstrauer gelte, sagte Territorial-Minister Torres. Der König sprach den Angehörigen der Opfer im Onlinedienst X sein Beileid aus und dankte den Einsatzkräften für ihre „titanischen“ Anstrengungen.

Unter den Toten sind laut spanischen Medienberichten mindestens vier Kinder und sechs alte Menschen in einem Pflegeheim. Am schwersten betroffen war die auch bei deutschen Urlaubern sehr beliebte Region Valencia im Osten des Landes, wo bislang 92 Leichen geborgen wurden. Ob Touristen oder Ausländer unter den Opfern sind, war zunächst nicht bekannt. Es wird befürchtet, dass die Opferzahl weiter ansteigen wird. Unter Berufung auf verschiedene Behörden und Betroffenen sprachen Medien am Abend von „Dutzenden“ Vermissten.

In der Nacht waren zahlreiche Autobahnen und Landstraßen weiter unbefahrbar. Auch der Bahnverkehr wurde erheblich beeinträchtigt. Rund 115.000 Haushalte waren ohne Strom, zudem gab es weiter Probleme mit den Handyverbindungen.

„Historisches Wetterereignis“ in Spanien

Der Wetterdienst Aemet bezeichnete das Unwetter als „historisch“. Es habe sich um den schlimmsten „Kalten Tropfen“ (gota fría) dieses Jahrhunderts in der Region Valencia gehandelt, hieß es auf X.

Diese Wettererscheinung tritt in der spanischen Mittelmeerregion in den Monaten September und Oktober häufig auf. Sie basiert auf stark schwankenden Temperaturen von Meer und Luft und entsteht, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben.

Valencia und Andalusien: Straßen werden zu reißenden Strömen

Unzählige Straßen verwandelten sich blitzschnell in reißende Ströme. Gebäude und Felder wurden unter Wasser gesetzt. Straßen, Häuser und kleinere Brücken brachen weg. Bäume, Container, Autos, Lastwagen und Menschen wurden vom Wasser wie Spielzeug mitgerissen. Fahrzeuge wurden ineinander geschoben und zu Schrottbergen aufgetürmt.

Überlebende berichteten von erschütternden Erlebnissen. Ein 57-jähriger Mann erzählte der Zeitung „El País“, er habe in Paiporta nahe der Provinzhauptstadt Valencia auf einem Bauwagen Zuflucht gesucht und von dort aus mehreren Menschen im Wasser helfen wollen. „Ich hielt sie an der Hand fest, aber die Strömung war so brutal und so schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut fortgerissen wurden.“

Kamen die Warnungen zu spät?

Obwohl das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen. Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der „Dana“ oder des „kalten Tropfens“ gefährlich sei. Es tritt zu Herbstbeginn, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben, im Süden und Osten Spaniens häufiger auf.

Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche „brutalen Folgen“ nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert. (dpa, afp)