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„Ort der Sorglosigkeit”: Was macht den Fernsehgarten aus?

Lesezeit 4 Minuten

Mainz – Er gehört zum deutschen Lebensgefühl wie Oktoberfest, Karneval, Schützenfeste und Mallorca-Urlaub - und er ist seit Jahrzehnten eine fixe Größe im Fernsehen wie sonst wohl nur „Sportschau”, „Tatort”, „Aktenzeichen XY” oder „Wer wird Millionär?”: Die Rede ist vom ZDF-„Fernsehgarten”.

Die Open-Air-Sendung vom Mainzer Lerchenberg machte 2022 besonders viel von sich reden, zum Beispiel als Forum für den umstrittenen Sommerhit „Layla” oder mit der angeblich ausgeplauderten vermeintlichen Gender-Pflicht im ZDF. Am Sonntag (25.9.) kommt die letzte von 19 Ausgaben dieser Saison. Was macht diese Show zwischen Mai und September so erfolgreich?

„Ihr Gute-Laune-Garant am Sonntagvormittag” bewirbt das ZDF seine Freiluftveranstaltungsreihe, die es seit 1986 gibt. Im Jahr 2000 übernahm die heute 57-jährige Andrea Kiewel die Sommershow, die zuvor unter anderem Ilona Christen und Ramona Leiß moderiert hatten.

Zwei Millionen Zuschauer jeden Sonntag

Um die zwei Millionen schalten sonntags ab 12 Uhr ein. Das klingt erstmal nicht nach Topquote. Allerdings ist der Sonntagmittag anders als der Sonntagabend mit „Tatort” und Co. gemeinhin die Zeit für vieles andere als Fernsehen - und deshalb bedeutet diese Zahl meist schon 20 Prozent Marktanteil. Sprich: Jeder Fünfte, der zu dieser Zeit überhaupt fernsieht, tut es beim „Fernsehgarten”.

Wenn auch nicht mehr den Kirchgang, so pflegen viele am Sonntag ihr Familienleben, Freundschaften oder Hobbys, schlafen aus, brunchen, kochen ausgiebig, spielen etwas, treiben Sport oder machen Ausflüge.

Ein paar Millionen schalten aber auch gerne das Fernsehgerät ein. Und viele TV-Zuschauer, die um zwölf Uhr mittags ZDF gucken, zappen dann bereits vom Ersten hinüber, denn der ZDF-„Fernsehgarten” hat seit 1995 an vielen Sommersonntagen eine schon früher über den Bildschirm tanzende ARD-Schwester: die Unterhaltungsshow „Immer wieder sonntags”. Seit 2005 präsentiert sie der Volksmusiker Stefan Mross.

Ambiente zwischen Kleingartenanlage und Landesgartenschau

Der Fernseh- und Medienwissenschaftler Christian Richter sagt, der „Fernsehgarten” inszeniere sich „als zum Leben erweckter Mainstream”. Im Ambiente zwischen Kleingartenanlage und Landesgartenschau könnten sich Zuschauerinnen und Zuschauer hier „zu einer breiten Mitte der Gesellschaft zugehörig fühlen”. Der „Fernsehgarten” bringe Themen, Trends und Musik, die eher auf Rummelplätzen als im Feuilleton stattfinden. Er stehe für „Ehrlichkeit und Schlichtheit”. „Das mag despektierlich klingen, ist aber erstmal nichts Verwerfliches.”

Der „Fernsehgarten” vermittle ein Lebensgefühl von „Na wenn schon!”, sagt TV-Experte Richter, der das Buch „Fernsehen - Netflix - Youtube: Zur Fernsehhaftigkeit von On-Demand-Angeboten” geschrieben hat.

„Die Fans sagen sich "Mag sein, dass unsere Musik und Themen als trivial empfunden werden, hier sind wir unter uns. Hier dürfen wir so sein, wie wir sind, und müssen uns nicht rechtfertigen. Hier dürfen wir auch 'Layla' singen".” Die Ausgabe mit dem Auftritt von DJ Robin & Schürze mit dem Ballermann-Hit „Layla” gehörte zu den meistgesehenen der letzten Jahre: Etwa 2,3 Millionen schalteten ein.

Debatten ohne politische Dimension

Aktuelle Debatten und gesellschaftlich heiße Eisen werden im „Fernsehgarten” nicht in ihrer politischen Dimension behandelt, sondern höchstens als Service-Thema, wie Richter erklärt. „Sie werden dann als Trend behandelt, für den es Tipps gibt, wie man mitmachen kann. Die Sendung versperrt sich keineswegs der Veränderlichkeit der Welt. Sie ist kein per se reaktionärer Ort des Stillstands. Die Show ist aber auch nicht progressiv. Sie ist ein Ort der Sorglosigkeit, an dem sehr gewissenhaft gefiltert wird, was wie Einlass erhält.”

Richter betont: „Dass die Show an Sonntagen während der Sommerurlaubszeit kommt, fernab von Alltag und Arbeitswelt, begünstigt die Inszenierung als Ort der Sorglosigkeit.” Mit seiner Kontinuität von 36 Jahren habe er auch „eine Bedeutung in Zeiten großer Veränderungen, in denen allerorts eine Sehnsucht nach vergangenen, vermeintlich einfacheren Tagen zu erkennen ist”.

Andrea Kiewel - gern auch Kiwi genannt - trage maßgeblich dazu bei, weil sie betont uneitel auftrete, schlichte Outfits trage, kumpelhaft Gespräche führe und sich vom eigenen Programm mitreißen lasse.

Wo andere Unterhaltungsformate wie Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale”, die „heute-Show” oder „Die Carolin Kebekus Show” versuchten, einen Social-Impact (also sozialen und gesellschaftlichen Einfluss) zu erreichen, liefere der „Fernsehgarten” leicht zugängliche Unterhaltung ohne Tiefgang, sagt Richter. „Und die Sendung gibt dabei auch niemals vor, etwas Anderes sein zu wollen.”

© dpa-infocom, dpa:220919-99-814441/3 (dpa)