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Missbrauch in der KircheWarum Osnabrücks Bischof Bode zurückgetreten ist

Lesezeit 7 Minuten
Bischof Franz-Josef Bode spricht bei einer Pressekonferenz über einen Zwischenbericht der Universität Osnabrück zu sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück.

Bischof Franz-Josef Bode spricht bei einer Pressekonferenz.

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode ist zurückgetreten - mit der Erlaubnis des Papstes. Wie es dazu kam und welche Rolle seine Entscheidungen beim Umgang mit dem Missbrauch in der Kirche spielten.

Sein Rücktritt kam für viele überraschend: Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode gab am Samstag sein Amt auf. Ein Grund: massive Kritik an Entscheidungen über Missbrauchstäter im Bistum. Dieses letzte Kapitel ist ein wichtiges, aber nicht das einzige in der Karriere des Bischofs.

Ein düsterer, regnerischer Abend Ende Februar: Bischof Franz-Josef Bode sitzt im Osnabrücker Bischofshaus mit Pressevertretern zusammen. Vor wenigen Tagen war sein 72. Geburtstag, aber der Bischof ist nicht in Feierlaune. Über Stunden müht er sich ab, seine Sicht auf katholische Reformen, Missbrauch, Kritik der eigenen Mitarbeiter zu erklären. Sichtlich erschöpft beendet Bode das Treffen mit Segenswünschen.

Der Bischofssitz ist ein ehrfurchtgebietender Ort. Am Eingang thronen schwere Pforten über einer steilen Treppe. Alle Macht im Bistum läuft hier zusammen und ruht letztlich auf den Schultern eines Mannes. Die Gäste machen sich auf den Heimweg. Als Letzter tritt der Bischof ins Halbdunkel im Eingang. Er stutzt. Eine Gruppe von Teenagern interessiert sich offenbar wenig für den Nimbus der katholischen Machtzentrale. Sie haben sich vor dem prasselnden Regen auf die Treppenstufen zurückgezogen.

Die Jugendlichen bieten dem Bischof ein Bier an. Bode lacht und lehnt dankend ab. Aber er macht auch keine Anstalten, die Gruppe zum Aufbruch zu drängen. Für einen Moment wirkt der Hausherr, als habe er die Last des Amtes hinter den schweren Türen des Bischofshauses gelassen. Im Plausch mit den Jugendlichen wirkt er zum ersten Mal an diesem Abend gelöst. Ziemlich genau einen Monat später verkündet das Bistum Osnabrück Bodes Rücktritt.

Ausgerechnet Bode? Der Osnabrücker Bischof ist bei vielen beliebt, gilt als Reformer, als einer, mit dem der Weg in die Zukunft der deutschen katholischen Kirche denkbar ist. Wie konnte es so weit kommen? Im Alter von 40 Jahren wird Bode Priester. Nur vier Jahre später, im Jahr 1995, wird Bode zum Bischof von Osnabrück berufen, als dann jüngster Diözesanbischof. 2005 schwelgt Deutschland im „Wir sind Papst“-Rausch. Der Weltjugendtag in Köln wird ein riesiges Glaubensfest. Mittendrin feiert Bode als Jugendbischof auf großer Bühne einen Gottesdienst mit 100000 Gläubigen.

Bode für Segnung homosexueller Paare

Nur drei Jahre später geht die Party weiter: Osnabrück richtet kurzfristig den 97. Katholikentag aus. Massengottesdienste im Schlossgarten, Ökumene vor dem Rathaus, ein Glaubensfest voller Musik und Sommereuphorie, bewegende Momente für viele, die dabei waren. Ein sichtlich strahlender Bode sagt am Ende, er sei „überglücklich“.

2010 die Zäsur: Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg werden öffentlich. Das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche zeichnet sich immer deutlicher ab. Selbst in dieser Situation trifft Bode den richtigen Ton. Bei einem Bußgottesdienst kniet Osnabrücks Bischof vor dem Altar im Osnabrücker Dom nieder und legt sich dann der Länge nach hin, den Kopf in den Händen verborgen.

Auch an anderen Fronten versucht der Osnabrücker Bischof, seine Kirche ins 21. Jahrhundert zu bewegen. Er setzt sich für Segnungen homosexueller Paare ein, für die Öffnung der Kirchenämter für Frauen, macht eine Diskussion zum Zölibat auf. 2019 überträgt er erstmals einer Frau die Leitung einer Pfarreiengemeinschaft. Im Erneuerungsprozess der katholischen Kirche, dem sogenannten Synodalen Weg, gilt er als einer der Treiber, platziert sein Fachpersonal in wichtigen Runden – gegen mächtige konservative Mitbrüder und zeitweise auch den Papst, der sich regelmäßig verstimmt zeigt über den deutschen Sonderweg.

Studie belastet das Handeln des Bischofs

Als zweiter Mann an der Spitze der Bischofskonferenz arbeitete Bode lange Jahre im Führungszirkel der deutschen katholischen Kirche. Tatsächlich gebe es Katholiken, die ihn nicht mehr für katholisch hielten, sagt Bode einmal im Interview mit unserer Redaktion. Er sei allerdings fest davon überzeugt, auf katholischem Grund zu stehen. Doch das Fundament wackelt – nicht nur kirchenpolitisch, sondern auch körperlich. Bode wird um 2020 herum schwer krank, muss sich mehreren Operationen unterziehen und kämpft sich mühsam zurück.

Die steilen Stufen zum Bischofshaus scheinen zwischenzeitlich unüberwindbar. Im September 2022 veröffentlicht die Universität Osnabrück schließlich einen 600 Seiten starken Forschungsbericht zum Umgang mit Missbrauch im Bistum. Bode hatte die Studie selbst in Auftrag gegeben und den Juristen und Historikern freie Hand gelassen. In dem Dokument kommt der Name Bode 264 Mal vor.

Der Bischof, kritisieren die Forscher, habe gefährliche Priester im Amt belassen, schlechte Entscheidungen getroffen und diese nicht einmal nachgehalten. Dadurch seien weitere Menschen gefährdet worden. Zwölf Jahre nach dem öffentlichen Bußgottesdienst attestieren die Wissenschaftler zudem: In der Amtszeit Bode seien Betroffene bürokratisch und abweisend behandelt worden.

Große Unruhe im Bistum

Ein Studienleiter spricht von „Kleinlichkeit“, „die generelle Linie ließe sich mit Verzögern und Abwehren beschreiben“. Was Bode mit seinem Bußakt vor dem Osnabrücker Dom ausgedrückt habe, sei gut zehn Jahre später nicht eingelöst. Bode räumt Fehler ein. Er habe in einigen Fällen fahrlässig gehandelt: „Das war vielleicht meiner Leichtgläubigkeit oder meiner Zögerlichkeit geschuldet. Aber es geschah niemals in der Absicht, vorsätzlich zu vertuschen oder Recht zu beugen.“

Unabhängig davon, was man von dieser Einsicht halten mag: Die Schuld lastet offenbar auf den Schultern des Bischofs. Bode bittet erneut um Vergebung. Am Abend nach Veröffentlichung der Studie entscheidet er weiterzumachen. Bei einer Pressekonferenz gibt sich Bode aufgeräumt und selbstkritisch. Er will seine verbleibende Zeit im Amt nutzen, es besser zu machen. Kann das funktionieren? Die Gutachter attestieren Bode zwar eine Lernkurve. Außerdem hat sich der Bischof mittlerweile externe Berater organisiert, beteiligt diese an Entscheidungen, versucht, Macht aus Priesterhand abzugeben, um den Kreislauf aus Vertuschung und manchmal wohl auch vorauseilendem Gehorsam bei seinen Mitarbeitern zu durchbrechen.

Er spricht mit Betroffenen. Aber die Unruhe im Bistum ist groß. Viele Gemeinden erfahren plötzlich aus Fallberichten im öffentlichen Gutachten, wie es hinter den Kulissen lief, wie im Bischofshaus und Generalvikariat die Institution Kirche über Jahrzehnte stärker geschützt wurde als die Opfer. Nicht alle Fälle sind abgeschlossen: In der Stadt Osnabrück erfahren Mitarbeiter durch das Gutachten, dass ein Täter in ihre Gemeinde versetzt wurde. Der Priester wird in den Ruhestand versetzt, als der Druck offenbar zu groß wird.

Anzeige gegen den Bischof

Im Dezember 2022 zeigt der Betroffenenrat für die Nordbistümer den Osnabrücker Bischof kirchenintern an. Während der Druck, vor allem intern, immer weiter wächst, setzt sich der Osnabrücker Bischof im Synodalen Weg ein letztes Mal für Reformen ein. Anfang März ist das Forum abgeschlossen. Am Samstag, 25. März, überrascht das Bistum Osnabrück Bischöfe, Mitarbeiter und Gläubige mit der Nachricht: Der Bischof ist zurückgetreten.

Und Bode selbst? Der tritt in den Hintergrund. Er lässt noch eine Videobotschaft mit seiner Rücktrittserklärung veröffentlichen. Dann ist er für Anfragen nicht mehr erreichbar. Im Video sagt Bode unter anderem, dass er nicht mehr die Kraft habe, Leitungsaufgaben bis zum Schluss zu übernehmen und Reformen voranzutreiben. Auch darin löst er sich von der Vorstellung, er sei der Einzige, der diese Aufgabe übernehmen könne. Vielmehr steht da ein Mann, der seine Grenzen kennengelernt hat und entsprechend handelt – eine moderne Haltung, selbst in nicht-kirchlichen Kontexten.

Zum Ende seiner Amtszeit bezeichnen ihn die einen als Häretiker und Missbrauchsvertuscher, andere als Reformer. Menschlich beschreiben ihn die einen als zugewandt und humorvoll, andere als autoritär, bisweilen überfordert. Wie es ihm jetzt mit seiner Entscheidung geht? Ein paar Tage zuvor hat Bode seinen wohl letzten größeren Auftritt bei einem Kirchenjubiläumsfest auf dem Land bei Osnabrück. Da stand vermutlich fest, was am Samstag passieren würde. Nach dem Gottesdienst steht der Bischof vor der Kirche, ein Salamibrot mit Gürkchen in der Hand. Bode lacht, scherzt, wirkt fröhlich und gelöst im Gespräch mit Mitarbeitern und Gemeindemitgliedern, tätschelt den Arm einer strahlenden Gemeindereferentin, nimmt sich Zeit. Ein Mann, so scheint es, der mit sich im Reinen ist. Weit weg vom Bischofshaus, als habe der Papst mit der Verantwortung für die Diözese eine immense Last von seinen Schultern genommen. Bode wirkt wie jemand, der nach einer Odyssee durch Kirchenpolitik, schlechte Führungsentscheidungen und Schuld wieder da angekommen ist, wo er als Priester hinwollte: bei den Menschen.