Jung und gesundWie junge Menschen an Impfungen kommen – ohne schlechtes Gewissen
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Berufliche Risiken, Vorerkrankte in der Familie: Es gibt viele Gründe, warum eine Impfung sinnvoll ist.
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Auch wenn die bevorrechtigten Gruppen noch nicht durch sind, werden aktuell schon viele Menschen gegen Corona geimpft, die nicht besonders gefährdet sind.
Die Gründe sind vielfältig. Ein schlechtes Gewissen haben nur wenige.
Der Student ist 21 Jahre alt und kerngesund. Seine Uni-Veranstaltungen laufen zu Hause über den Laptop. Besonders coronagefährdet ist er also nicht. Dennoch bekam der 21-Jährige am Dienstagmorgen um 9.15 Uhr seine erste Corona-Impfung. Biontech. „Total easy“, sagte er am Nachmittag. Er sei jetzt nur ein wenig müde.
Noch werden in den deutschen Impfzentren Menschen aus sogenannten Prioritätengruppen geimpft. Alte, Kranke, Pflegepersonal, Lehrer. Menschen wie der Student gehören eigentlich nicht dazu. Aber es gibt Schlupflöcher: Jeder Pflegebedürftige darf zum Beispiel zwei Kontakte benennen, die dann geimpft werden. Der 21-Jährige ist einer davon.
So wie er sind schon viele an eine Impfung gekommen, die weder besonders krank noch besonders alt sind. Manche hatten einfach Glück, kannten den richtigen Arzt oder waren gerade da, als eine Dosis verfügbar war. Mit ihren Namen wollen diese Menschen zumeist lieber nicht in den Medien stehen. Sie haben zwar nicht das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben. Aber sie fürchten, dass andere sie schief ansehen, sogar als Impfdrängler schmähen könnten.
Dazu gehören auch diejenigen, die ein staatliches Schreiben bekamen. Überschrift: „Berechtigung zur Schutzimpfung gegen das Covid-19-Virus“, ein Passierschein fürs Impfzentrum. Darin heißt es, dass Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen auch jetzt schon berechtigt seien, einen Termin auszumachen. Viele der Betroffenen wissen allerdings nicht, warum sie ein solches Schreiben bekommen haben. Sie sind eigentlich gesund, nehmen das Angebot aber dennoch gerne an.
Eine junge Frau etwa hat seit ihrer Kindheit Asthma, aber nur selten Probleme damit. „Ich fühle mich weder krank noch irgendwie in meinem Alltag eingeschränkt“, sagt sie. Auf der einen Seite freue sie sich über das Impfangebot des Landes. „Auf der anderen Seite habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich vergleichsweise jung bin und mich eigentlich gesund fühle.“
Sie hat sich dennoch auf die Warteliste für einen Corona-Impftermin setzen lassen – immerhin wisse niemand, wie sich die Krankheit auf die eigene Gesundheit auswirke. Menschen mit Vorerkrankungen gehören zur Impfgruppe zwei. Manche fühlen sich dort zu Recht erfasst. Andere nehmen die Impfung gerne mit.
Ein Termin für die Tierarzthelferin, kein Termin für die Lehrerin
So auch ein 31-jähriger Mann. Er erzählt: „Vor etwa zehn Jahren hatte ich eine Manie, gefolgt von einer Depression, deshalb nehme ich vorbeugend Medikamente, die mir ein Psychiater verschreibt.“ Bei seinem Hausarzt hatte er sich auf die Warteliste für den Impfstoff setzen lassen, tags darauf wurde ihm schon ein Impftermin für Ende April angeboten.
Eine andere junge Frau darf sich impfen lassen, weil sie in einer Tierarztpraxis arbeitet. Dabei dürfen die Tierbesitzer seit Monaten nicht mehr ins Behandlungszimmer. Sie hat das Angebot angenommen – obwohl gleichzeitig eine Lehrerin im Bekanntenkreis noch nicht impfberechtigt ist. Andere sind berechtigt, weil sie in einem Labor arbeiten, in dem Coronatests ausgewertet werden. Obwohl sie keinen Kontakt zu Patienten haben und das Risiko, sich im Beruf anzustecken, möglicherweise geringer ist als das einer Supermarktkassiererin.
Manche hatten einfach Glück
Und dann gibt es noch diejenigen, die einfach Glück hatten. Etwa, weil sie versuchsweise in Arztpraxen anriefen und dann übrig gebliebenes Astrazeneca bekamen. In Berlin meldete der Tagesspiegel in der vergangenen Woche, auch unter 60-Jährige dürften sich ab sofort bei Hausärzten mit Astrazeneca impfen lassen. Auch das Angebot nahmen viele Menschen an, die in keine der drei offiziell definierten Prioritätengruppen fallen.
Ein 47-Jähriger freut sich sehr darüber, schon im Mai zum ersten Mal geimpft zu werden. Er sieht sich nicht als Vordrängler: „Ganz im Gegenteil: Dass viele, auch Ältere, Astrazeneca ablehnen, auf Biontech beharren und Astrazeneca zum Ladenhüter wurde, finde ich zumindest von denjenigen egoistisch, für die keine erhöhte Thrombosegefahr besteht und bei denen Ärzte dazu raten.“ Ein Freund von ihm wurde bereits geimpft. Er habe es so kommentiert: „Ich opfere mich für die alten Säcke, die sich nicht mit dem Zeugs impfen lassen wollen.“
Auch in Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Sachsen können sich mittlerweile alle Bürger mit Astrazeneca impfen lassen – unabhängig von persönlichen Merkmalen. In Mecklenburg-Vorpommern liegen derzeit Tausende Astrazeneca-Dosen ungenutzt herum, vor allem bei Hausärzten. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erklärte daher zunächst, wenn ein Impfzentrum oder Arzt den Überhang nicht spritze, bekomme er weniger von Biontech geliefert. In Hessen sollen die Prioritäten für Astrazeneca ebenfalls aufgehoben werden, hieß es am Mittwoch. Es könnte sein, dass der Bund der Freigabe der Impfgruppen bei Astrazeneca bald folgt.
„Ich wollte niemandem eine Impfung wegnehmen“
Der eingangs erwähnte Student ist übrigens über seine Großeltern an die Impfung gekommen. Sein Großvater hat Pflegestufe drei, seine Großmutter zwei. Beide leben im gleichen Haus. „Ich sehe sie jeden Tag“, sagt der 21-Jährige. Das macht ihn zum Berechtigten. „Ich wollte niemandem eine Impfung wegnehmen“, sagt er. Auf der anderen Seite habe er den Eindruck, dass in seinem Landkreis die meisten Älteren und Risikogruppen bereits geimpft seien. Das Impfzentrum vor Ort habe massenhaft Termine angeboten.
„Ich fühle mich jetzt nicht schlecht damit. Damit schütze ich ja auch andere“, argumentiert der junge Mann. Gegenüber Familie und Freunden geht er offen damit um. Komisch angeschaut habe ihn deswegen niemand. „Am meisten Angst hatte ich davor, was sie im Impfzentrum sagen würden. Aber da waren ganz viele junge Leute. Das war gar kein Problem.“
Impfzentren sollen Termine überbuchen
Für seine Behauptung, in NRW laufe die Impfkampagne jetzt so schnell „wie in den USA“, erntete NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch Kritik und Spott im Landtag. Denn beim Impfen läuft an Rhein und Ruhr längst noch nicht alles rund. Zum Beispiel nehmen offenbar immer mehr Bürger ihre Termine in den Impfzentren nicht wahr.
Betreiber von Impfzentren in Köln, Gelsenkirchen, Herne, Mülheim und anderen NRW-Städten berichten, dass viele gebuchte Impftermine derzeit verfallen, weil sich Bürger parallel beim Hausarzt angemeldet haben und sich dort impfen lassen. In Gelsenkirchen blieben am Montag 150 von 1000 Termininhabern dem Impfzentrum fern. In Köln wurden zuletzt sogar tausende Termine abgesagt. Viele Impfkandidaten informieren die Impfzentren zudem gar nicht erst darüber, dass sie eine Alternative gefunden haben. Und so steigt das Risiko, dass wertvolle Impfdosen am Ende verfallen.
Die Landesregierung bestätigt auf Nachfrage, dass es diese Probleme gibt: „Aufgrund des zunehmenden Impfgeschehens in den Arztpraxen ist die Nachfrage der über 70-Jährigen nach Impfterminen in Impfzentren teilweise geringer als erwartet und mitunter werden vereinbarte Termine in den Impfzentren nicht wahrgenommen.“
NRW lässt deshalb jetzt „Überbuchungen“ bei den Impfterminen von zehn Prozent zu. Sollte dies örtlich zu einem Mehrbedarf an Vakzin führen, dann könnten die Zentren eine ihnen zugeteilte Reserve an Moderna-Impfstoff nutzen, so eine Sprecherin von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (Bild). Darüber hinaus versuche NRW bestimmten Personengruppen mehr Impfangebote zu machen, etwa Menschen mit schweren Vorerkrankungen sowie Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen oder Schwangeren. Auch Feuerwehrleute, Polizisten und Lehrer an weiterführenden Schulen hätten vereinzelt mehr Chancen auf einen Impftermin.
Sollte dennoch die Gefahr bestehen, dass Impfdosen verfallen, könnten die Impfzentren vor Ort selbstständig über die Verwendung des entscheiden. „Dies ist dem Verwurf von Impfdosen grundsätzlich vorzuziehen“, bekräftigte das Gesundheitsministerium.
Die Priorisierung beim Impfen soll in NRW derweil weiter gelten. Erst im Juni könne man sie aufheben und jedem eine Terminvereinbarung ermöglichen, sagte Laschet. Die Verwaltung des Impfstoffmangels wird also weitergehen, das Nebeneinander von Immunisierungen in Impfzentren und Arztpraxen sowieso.
Noch immer warten viele Angehörige von Berufsgruppen auf die ihnen in Aussicht gestellte Impfung, zum Beispiel Polizisten und Lehrer an weiterführenden Schulen. Termine werden in den Impfzentren derzeit vor allem an über 70-Jährige und an chronisch Kranke vergeben. Menschen im mittleren Lebensalter und Jüngere, die keiner speziellen Berufsgruppe angehören, haben derzeit regulär noch keine Aussicht auf eine Impfung in NRW. (mk)