- Karl Schneider von der Universität Köln forscht auf den Gebieten Hydrogeographie und Klimatologie.
- Simon Westphal sprach mit ihm über Modelle, die für den Hochwasser- und Flutschutz zum Einsatz kommen.
Herr Schneider, wie funktionieren die Modelle, die als Grundlage für Hochwasser- und Flutwarnungen dienen?
Einfachste Modelle gibt es schon lange. Diese funktionieren auch gar nicht so schlecht. Man kann sich das so vorstellen: Ein Einzugsgebiet ist wie ein System, und dieses System reagiert im einfachsten Falle auf den gleichen Input immer gleich. Niederschlag geht rein ins System, was rauskommt, ist der Abfluss. Wie aus dem Niederschlag der Abfluss entsteht, ist bedingt durch den Charakter des Einzugsgebiets, insbesondere die Topographie, die Landnutzung und die Böden. Diese einfachen Modelle sind nicht immer in der Lage, Extremereignisse exakt vorherzusagen.
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Es gibt natürlich heute komplexere physikalisch basierte Modelle. Zunächst einmal geht es bei den Extremereignissen gar nicht unbedingt darum, ganz exakt die Scheitelhöhe der Flut vorherzusagen, sondern zunächst zu erkennen, dass ein extremes Ereignis kommt und man sich entsprechen vorbereiten muss. Dafür sind dann nicht unbedingt die allerneuste Technik und der letzte Stand der Forschung erforderlich, sondern eher robuste, schnelle Methoden.
Viele Betroffene berichten, die Flut kam sehr plötzlich. Können Modelle auch diese Ereignisse vorhersehen?
Wenn man die Situation an einem bestimmten Ort betrachtet, dann kommt die Hochwasserwelle tatsächlich sehr plötzlich. Wenn man die Situation im Gesamten betrachtet, sehen wir einen Prozessablauf, der folgerichtig ist. An einem konkreten Ort im Tal zeigt sich die aufsummierte Wirkung des darüber liegenden Einzugsgebiets. Damit wird die Welle flussabwärts größer und größer. Um die Situation vorherzusagen, muss der Daten-Input, also der Niederschlag, zutreffend sein. Das war aus meiner Kenntnis der Vorhersagen in ausreichendem Maße gegeben.
Warum wurden dann nicht alle Menschen ausreichend gewarnt?
Die Alarmglocken schrillen zu lassen, ist keine einfache Entscheidung. Rufen sie Alarm, und es war keiner, verursachen sie Unruhe, Kosten und gefährden die Glaubwürdigkeit. Rufen sie nicht Alarm, und es wäre nötig, dann haben sie Menschen gefährdet. Im Nachhinein ist das immer leicht zu bewerten, in dem Moment der Entscheidung aber sehr schwer. Die Bürger müssen zudem verstehen, dass es keine Unfähigkeit der Warnenden ist, wenn das Ereignis vielleicht tatsächlich nicht so extrem ist, wie es den Anschein hatte, sondern der Notwendigkeit der Vorsicht genügen muss. Wichtig wäre, dass Bürger auch toleranter dafür werden, lieber einmal zu häufig aus dem Gefahrengebiet zu gehen als einmal zu wenig. Das erfordert auch, dass die Menschen wissen, wo sie verlässliche Informationen bekommen.
Ist die Kritik an den Warnsystemen berechtigt?
Die nötigen Informationen waren grundsätzlich da, aber ob alle Mechanismen und Entscheidungsprozesse lokal richtig waren, kann ich nicht beurteilen. Man sollte nicht zu viel Schelte betreiben, wenn bei so einem Extremereignis vielleicht keine ganz exakten Vorhersagen gegeben wurden. Dass ein Extremereignis bevorsteht, wäre meines Erachtens dennoch erkennbar gewesen. Man sollte in jedem Falle daraus lernen.
Wie können wir uns in Zukunft besser schützen?
Wichtig ist es, die Fließgeschwindigkeit soweit wie möglich zu bremsen. Dazu könnten beispielsweise viele kleine Speicher und Dämme dienen, insbesondere, wenn diese das Wasser gebremst durchlaufen lassen, aber das Sediment abfangen. In Indien, wo es häufiger zu solchen extremen Niederschlagsereignissen kommt, sind solche sogenannten Checkdams sehr verbreitet. Ebenso dienen lokale Depressionen dort als Wasserspeicher und lokale Sedimentfallen. Nach einem Hochwasserereignis kommt ja manchmal auch ein Wassermangel oder gar eine Dürre. Diese Dämme haben häufig einen Auslass, den man schließen kann. So wird ein Teil des Wassers in der Landschaft gehalten. Bei solchen Großereignissen kann man natürlich nicht so viel Wasser in der Landschaft halten. Dann geht es darum, das Sediment und die mit dem Wasser transportierten Dinge möglichst in der Landschaft zu halten. Damit sind solche Extremereignisse zwar sicher nicht vollständig beherrschbar, aber wenn die Größe des Ereignisse schon deutlich reduziert wird, ist ja schon Wichtiges erreicht.
Hochwasserschutz spielt in Neubaugebieten eine große Rolle. Ist man da auf dem richtigen Weg?
Das ist lokal sehr unterschiedlich, im Grunde ist man auf dem richtigen Weg. Aber in vielen Fällen schaut man noch nicht genau genug hin. Zum Beispiel sollten Auen sicher nicht verbaut werden, der Fluss braucht Platz. Wenn man dort baut, dann hochwassergerecht. Da gibt es vergleichsweise einfache technische Möglichkeiten, die die temporäre Überflutung des untersten Stockwerks erlauben oder essenzielle Infrastruktur wie die Stromzufuhr im Dachgeschoss unterbringen. Das Hochwasserkompetenzzentrum Köln hat beispielsweise einen Hochwasserpass entwickelt, mit dem die Hochwassergefährdungspotentiale des eigenen Hauses diagnostiziert werden können.
Das Warnsystem Efas
Das Europäische Hochwasser-Frühwarnsystem (Efas) ist das Ergebnis eines Forschungsauftrags der EU-Kommission an die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Staaten nach den Überschwemmungen an Donau und Elbe 2002. Efas erstellt europaweite Übersichtskarten, die Hochwasserwahrscheinlichkeiten bis zu zehn Tage im Voraus vorhersagen. Das Netzwerk fasst dafür laut eigener Aussage Echtzeit-Daten von „mehr als 30 europäischen Hydrologie- und Katastrophenschutzdiensten“ zusammen. Meteorologische Daten kommen auch vom Deutschen Wetterdienst. Hauptbestandteil von Efas ist das Niederschlags-Abfluss-Modell „Lisflood“, das Prozesse innerhalb eines Einzugsgebiets simulieren und mittelfristige Hochwasservorhersagen in Flusssystemen berechnen kann. Efas selbst ist nicht für Warnungen der Bevölkerung zuständig, sondern übermittelt seine Daten an die zuständigen nationalen Behörden. Laut EU-Kommission sei das auch in diesem Fall so gewesen.
Erste Warnungen verschickte Efass demnach am Samstag, 10. Juli, also vier Tage vor der Flutkatastrophe. Efas aktualisiert seine Analysen zweimal am Tag. Die am Aufbau von Efas beteiligte Wissenschaftlerin Hannah Cloke von der britischen Universität Reading hatte den zuständigen Behörden in Deutschland vorgeworfen, frühe Efas-Warnungen nicht ernst genommen zu haben. Offensichtlich sei die „Warnkette“ irgendwo gebrochen, „so dass die Meldungen nicht bei den Menschen angekommen sind“, sagte Cloke im ZDF. (sim, dpa)