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Analyse im KlärwerkWie Abwasserproben der Corona-Frühwarnung dienen können

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Auch Proben aus den Klärwerken lassen sich auf das Coronavirus untersuchen.

Berlin – Relativ niedrige Kosten, geringer Aufwand und ein Echtzeit-Lagebild der Pandemie: Amtsärzte haben sich kürzlich für eine Ausweitung von Abwasseranalysen auf Corona-Spuren ausgesprochen. „Optimal wäre, wenn alle Kommunen mitmachen würden“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes und Chef des Kölner Gesundheitsamtes, Johannes Nießen, der Funke-Mediengruppe. Bisher läuft in Deutschland ein Pilotprojekt mit 20 Standorten. Dazu Fragen und Antworten.

Wie funktionieren solche Untersuchungen?

Zunächst werden im Klärwerk Abwasserproben entnommen. „Da reichen kleine Fläschchen mit 200 Millilitern zweimal pro Woche“, sagte Emanuel Wyler, der seit Anfang 2021 am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin etwa Analysen zu Virusvarianten mit durchführt. Im Abwasser finden sich, stark verdünnt, winzige Virusbestandteile, die manche Infizierte beim Zähneputzen oder beim Toilettengang ausscheiden. „Wir extrahieren die Viren aus der Probe und nehmen dann eine PCR-Untersuchung vor, wie man das auch vom Abstrich in der Nase oder dem Rachen kennt.“

Was können die Untersuchungen leisten?

Als Vorteile gelten der zeitliche Vorlauf im Vergleich zu den offiziellen Pandemie-Daten und die Unabhängigkeit von der Zahl durchgeführter (PCR-)Tests. Kurz gesagt: Während sich nur manche Menschen testen lassen, muss jeder auf Toilette. Mit dem Abwasser ist man laut Experten näher dran an den tatsächlichen Infektionen, weil Infizierte auch bereits vor Erkrankungsbeginn Viren ausscheiden. Die Angaben zum zeitlichen Vorlauf, verglichen mit den RKI-Kurven, variieren: Während die Laborleiterin der Berliner Wasserbetriebe in einem Interview zum Beispiel von sieben Tagen sprach, nennt die Stadt Köln in einer Mitteilung einen Zeit-Vorsprung von vier bis zehn Tagen. „Abwassermonitoring kann recht gut zeitliche Entwicklungen darstellen und ggf. auch Hotspots erkennen helfen“, meint der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb.

Was kostet ein solches Vorgehen?

Ein Test zum Sars-CoV-2-Nachweis kostet nach Angaben der Berliner Wasserbetriebe circa 300 Euro. Die Bestimmung der Variante schlage mit weiteren 200 Euro zu Buche. „Wir haben ein digitales PCR-Gerät angeschafft und einen Mikrobiologen eingestellt“, teilte ein Sprecher mit. Ein Teil der Untersuchung werde an ein externes Labor vergeben. Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) spricht von jährlichen Kosten von 14 Millionen Euro, wenn man die 235 größten Klärwerke in Deutschland einbeziehen würde – damit sei rund die Hälfte der Bevölkerung erfasst. Auch für Forscher Wyler ist es nicht nötig, wirklich aus jeder Kommune Proben zu haben. Vielmehr seien Proben aus den 100 größten Kläranlagen Deutschlands ausreichend. „Wenn man dort zweimal pro Woche Proben entnähme, käme man auf wöchentliche Kosten von einigen Zehntausend Euro.“

Lohnt sich die Abwasseruntersuchung?

Das dürfte eine der Fragen auch im Rahmen des laufenden Pilotprojekts sein. Damit soll laut Beschreibung unter anderem ermittelt werden, wie die bisher für lokale Kontexte entwickelten Konzepte auf weitere Regionen übertragbar sind. Es soll bis März 2023 laufen. Für Wyler ist die große Frage, was man mit der Erkenntnis anstellt, dass an einem Ort ein Ausbruch im Gange ist oder sich die nächste Welle abzeichnet.

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Wyler gibt zudem zu bedenken, dass Abwasserwerte keinerlei Auskunft über die Krankheitsschwere erlauben und lediglich Trends beim Infektionsgeschehen erkennen lassen. Es könne nicht auf die Zahl der gegenwärtig Infizierten rückgeschlossen werden. Es braucht laut Forschern auch ein gewisses Infektionsgeschehen, um das Virus im Abwasser aufspüren zu können.

Welche Vorbilder gibt es für die Pläne?

In zahlreichen Ländern wird Abwasser in kleineren Projekten oder im Zuge größerer Erhebungen auf Sars-CoV-2 untersucht. In Nachbarländern wie Österreich und den Niederlanden weisen jeweils Corona-Dashboards im Internet die Ergebnisse aus. Die Idee an sich ist nicht neu: Abwasseranalysen auf Polio werden in einigen Ländern seit vielen Jahren durchgeführt. Auch zum Drogenkonsum in Städten lassen sich so Erkenntnisse gewinnen. (dpa)