Überlaufende Talsperren, reißende Flüsse, fliehende Menschen und ein weggespültes Haus. Das Unwetter mit seinen verheerenden Fluten erreichte den Scheitelpunkt erst am Mittwoch gegen Mitternacht, als die Regenwolken so gut wie abgezogen waren. Nach einem Tag, an dem sich der Starkregen und die Einsatzlage minütlich zugespitzt hatten, warteten in der Dämmerung und Dunkelheit die größten Herausforderungen auf die Feuerwehrleute und anderen Einsatzkräfte. Im Kampf gegen die Wassermassen blieb manchen kaum eine Stunde Schlaf.
Szenen wir in einem Katastrophenfilm
Menschen aus den besonders schwer getroffenen Orten berichteten später von Szenen wie aus einem Katastrophenfilm. Dass die Zerstörungen durch einen Regen tatsächlich bislang unbekannte Dimensionen erreicht haben, wurde mit Anbruch des neuen Tags vielerorts deutlich – wenngleich ein genauer Überblick auch der Feuerwehrspitze am Donnerstag noch unmöglich war.
Einsatzschwerpunkt am Tag nach dem Starkregen war noch der Kreisnorden mit Hückeswagen und Wipperfürth. Weiterhin gegen die Fluten gearbeitet wurde auch in Gummersbach, Engelskirchen und Lindlar. Der am Vortag eingerichtete Führungsstab in der Kreisleitstelle versuchte, die katastrophale Lage nach und nach unter Kontrolle zu bringen.
Alle Feuerwehreinheiten waren im Einsatz
Ab Mittwochabend war zwischen Radevormwald und Morsbach jede Feuerwehreinheit im Einsatz. Dazu kamen Kräfte von Technischem Hilfswerk und weiteren Katastrophenschutz-Organisationen. Zu Spitzenzeiten waren es rund 1300 Männer und Frauen, die entweder in der eigenen Stadt oder Gemeinde arbeiteten oder in noch heftiger betroffenen Kommunen halfen. Julian Seeger aus der Kreisleitstelle schätzte die Zahl der Einsätze bis in den Morgen auf 1200. Genau stand das noch nicht fest.
Dramatische Entwicklung am Ufer der Agger
Als in der Gemeinde Marienheide am Mittwoch schon seit drei Stunden der Strom ausgefallen war, weil die Umspannanlage in der Nähe der Firma Rüggeberg überflutet war, erwog man nebenan in Gummersbach gegen 23 Uhr, absichtlich die Elektrizität abzuschalten. Zu dramatisch hatte sich die Hochwasserlage am Ufer der Agger zwischen Dieringhausen und Osberghausen entwickelt. Die Verkehrsader war unpassierbar geworden, in viele Häuser drang Wasser ein. Wadenhoch stand es auch im Feuerwehrhaus von Brunohl.
Bürgermeister Frank Helmenstein und Stadtbrandmeister Frank Raupach berieten mit den Kräften an Ort und Stelle das Vorgehen, entschlossen sich dann aber gegen die angedachte Evakuierung eines Straßenzugs. In Brunohl waren am Donnerstag noch 60 Wehrleute mit zwölf Fahrzeugen. Sie versuchten, den verstopften Ablass des Stausees zu öffnen. An der Gummersbacher Straße in Niederseßmar wurden am Mittwoch drei Mehrfamilienhäuser evakuiert. Einige Menschen wurden in die Eugen-Haas-Halle gebracht. Sie konnten am Donnerstag wieder in ihre Häuser zurückkehren. Auch am Morgen waren viele Straßen noch Seenplatten.
Auch in Engelskirchen spitzte sich die Lage zu
Beinahe zeitgleich zur Lage in Brunohl hatte sich Mittwochnacht weiter flussabwärts, auf Engelskirchener Gebiet, die Lage zugespitzt. Die Leppe, ein Nebenfluss der Agger, hatte sich wegen mitgeschwemmter Äste vor einer Brücke derart angestaut, dass sie und ein Gebäude den Wassermassen nicht mehr standhielten und einstürzten.
Größere Überflutungen gab es auch im Leppetal und im Bereich Lindlar-Hartegasse. In Wiehl-Bielstein wurde der Campingplatz an der Wiehl überschwemmt, die Feuerwehr befreite Menschen und Haustiere aus ihren Wohnwagen. An hunderten Einsatzstellen im gesamten Kreisgebiet arbeiteten Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und weitere Organisationen am Abend und in der Nacht. Zur Unterstützung rückten Einheiten aus anderen Landkreisen an, so aus Altenkirchen.
Überlauf der Wuppertalsperre befürchtet
So dramatisch wie im Kreisnorden aber war es nirgendwo. Wer in Radevormwald und Hückeswagen nicht unmittelbar vom unkontrollierten Überlaufen der Bevertalsperre betroffen war, musste die Meldungen der Warn-App ungläubig mitverfolgen. Zwischenzeitlich war auch ein unkontrollierter Überlauf der Wuppertalsperre befürchtet worden. Die Einwohner mehrerer Orte und Anrainer der Flüsse wurden von der Kreisleitstelle aufgefordert, ihre Häuser sofort zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen – wegen der anschwellenden Flüsse bestehe akute Lebensgefahr. Rettungskräfte evakuierten die Menschen, viele fanden in rasch eingerichteten Notlagern Unterschlupf. Landrat Jochen Hagt und Kreisdirektor Klaus Grootens verschafften sich im Norden einen Überblick der Lage.
Den Talsperren-Überlauf, das schlimmste aller Szenarien, hatte der Wupperverband verhindern wollen, indem er schon in den Vortagen mehr Wasser als üblich abließ. Das Wasser, das über die Krone der Beverstaumauer schoss, gelangte in den Beverteich und setzte am Donnerstag dem dortigen Damm zu. Weil ein Bruch befürchtet wurde, wurden weitere Orte evakuiert. Mit Flugdrohnen wurde der Damm überwacht.
Radevormwald, Hückeswagen und Wipperfürth nannte der Kreis am Donnerstagmorgen dann auch als Einsatzschwerpunkte der Nacht. Überflutet wurden die Firma Klingelnberg (Hückeswagen) und die Firma Radium in Wipperfürth. Dort, im Stadtgebiet, wurden zwei Menschen in der Flutnacht verletzt: Ein Wasserretter der DLRG musste nach einem Unfall zur stationären Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden, eine Privatperson erlitt einen Stromschlag. „Tote haben wir zum Glück nicht zu beklagen“, sagte eine Sprecherin.
Der Kreis hat ein Bürgertelefon eingerichtet: (02261) 88-3888.