Bremen – Der erste Sieg in einem Geisterspiel, eventuell fünf Millionen Euro mehr TV-Geld, Ersatztorwart Thoms Kessler in seinem letzten Spiel nach 18 Jahren im Club vernünftig verabschieden und ein gutes Gefühl in die Sommerpause mitnehmen: So lauteten die durchaus motivierenden Aufträge des 1. FC Köln für den letzten Auftritt in der Corona-Saison 2019/20 der Fußball-Bundesliga. Mit einem hochnotpeinlichen 1:6 (0:3) beim SV Werder Bremen und der höchsten Saisonniederlage verfehlten die Kölner nach dem erreichten Klassenerhalt ihre neu gesteckten Ziele aber meilenweit.
Sie dürfen sich stattdessen die Charakterfrage stellen und sich vor dem rheinischen Rivalen Fortuna Düsseldorf schämen, der dank der Kölner Nicht-Leistung und des eigenen 0:3 bei Union Berlin zurück in die 2. Bundesliga muss. Das gute Gefühl hatten am Samstag so nur die Bremer, die sich noch auf den Relegationsplatz 16 retteten und am Sonntag erfahren, ob sie gegen Heidenheim oder den Erzrivalen Hamburger SV um den Klassenerhalt kämpfen dürfen.
Kein Fokus
Markus Gisdol hatte vor dem letzten Saisonspiel noch einmal an seine Mannschaft appelliert und gefordert die letzten Energien freizusetzen. Der FC-Trainer setzte dafür wie beim rettenden 1:1 gegen Frankfurt auf eine Dreierkette und ersetzte den gesperrten Ex-Bremer Florian Kainz durch Dominick Drexler. Für den verletzten Jhon Cordoba gab Anthony Modeste die Kölner Spitze im 3-4-2-1-System. Von vollem Fokus auf Bremen und befreitem Fußball nach dem perfekten Klassenerhalt war bei den Kölnern aber nur wenig zu sehen. Ein Drehschuss von Modeste, den Jiri Pavlenka im Werder-Tor parierte (9.), blieb die einzig nennenswerte Aktion der Gäste, die große Schwächen im Aufbauspiel offenbarten.
Als der leichte Sommerregen über dem Weserstadion von Donnergrollen begleitet etwas stärker wurde, legten die um ihr Leben kämpfenden Bremer richtig los. Und die Geißböcke unterstützten die Hausherren in ihrem Bemühen den Abstieg abzuwenden, nach Kräften. Dominick Drexler ließ sich am rechten Starraumeck von Linksverteidiger Marco Friedl austanzen. Der Österreicher passte zu Maxi Eggestein und alle Kölner dachten, der Bremer würde aus 20 Metern abziehen. Eggestein aber entdeckte den sträflich freien Ex-Kölner Yuya Osako in der Box und spielte ab.
Kölner wurden zur leichten Beute
Der Japaner zeigte, warum er dem FC vor drei Jahren 4,5 Millionen Ablöse eingebracht hatte und schlenzte den Ball oben rechts ins Eck (22.). Nur fünf Minuten später standen Toni Leistner und Timo Horn bei der sportlichen Wiedergeburt von Milos Rashica Pate. Der Stürmer hatte nämlich seit Dezember 2019 nicht mehr getroffen. Leistner verweigerte den Zweikampf gegen Rashica und FC-Keeper Horn ließ den unplatzierten Schuss des Kosovo-Albaners durch seine Beine rutschen (27.).
Parallel traf der Ex-Bremer und Ex-Kölner Anthony Ujah zur Führung von Union Berlin gegen Fortuna Düsseldorf. Bremen stand auf dem Relegationsplatz. Das Zwischenergebnis motivierte die Kohfeldt-Elf zusätzlich. Nach Friedl-Flanke legte Werder das 3:0 durch Niclas Füllkrug nach (29.) und war außer Rand und Band war. „Sie werden versuchen uns aufzufressen“, hatte FC-Sportchef Horst Heldt noch vor der Partie gewarnt. Die Kölner waren trotzdem leichte Beute für Bremer, die wie von ihrem Coach Florian Kohfeldt gefordert mit „Messern zwischen den Zähnen“ zur Sache gingen.
Nach dem 4:0 ergaben sich die Kölner
Gisdol reagierte und brachte Marco Höger für den indisponierten Leistner. Der Routinier brachte etwas Struktur ins FC-Spiel, so dass die Schadensbegrenzung wenigstens bis zur Pause gelang. Der FC-Trainer setzte mit den Einwechslungen der Youngster Jan Thielmann und Noah Katterbach zur zweiten Halbzeit dann ein weiteres Signal. Es blieb ohne Wert. Als Rashica unbehelligt durch die Kölner Hälfte spazieren durfte, sein abgefälschter Schuss am rechten Pfosten landete und Davy Klaassen zum 4:0 abstaubte (55.), ergaben sich die Kölner endgültig.
Osako mit seinem zweiten Treffer (55.) und der eingewechselte Joshua Sargent (68.) machten das halbe Dutzend voll. In ihren 16 Heimspielen dieser Saison hatten die Bremer bislang nur einen Sieg und ganze neun Tore erzielt. Das sagt alles über die Leistung der Geißböcke an diesem warmen Sommernachmittag an der Weser. Dominick Drexlers 1:5 (62.) sorgte immerhin dafür, dass der FC im 20. Spiel hintereinander ein Tor erzielte (62.).
Das 1900. Bundesliga-Spiel der Bremer
Fast hätte es neben dem Comeback von Christian Clemens, der am am 26. April 2019 sein letztes Spiel bestritten hatte, noch eine erfreuliche Nachricht für den FC gegeben. Der 18-Jährige Tim Lemperle verpasste es aber, kurz nach seiner Einwechslung (75.) sein Bundesliga-Debüt gleich mit einem Tor zu krönen. Er setzte den Ball aus elf Metern bester Position links neben das Ziel (76.).
Während für Gisdol und sein Team also das zehnte sieglose Spiel in Folge in den Büchern stand und bis zur Relegation auch die noch möglichen 2,4 Millionen Euro mehr TV-Geld in Frage stehen, feierten einige versammelte Werder-Fans vor dem Weserstadion so laut und fröhlich, dass ihr gutes Gefühl und ihre erleichterte Stimmung nach dem Kantersieg bis in die nahezu menschenleere Arena drang. Das 1900. Bundesliga-Spiel der Bremer war vielleicht doch noch nicht das vorerst letzte.
Bis Anfang August Urlaub
„Wir sind enttäuscht, sie waren aggressiver und wollten es mehr“, musste dagegen der sonst immer gut gelaunte Kingsley Ehizibue zerknirscht für den FC zusammenfassen. „So einen Abschluss haben unsere Fans nicht verdient. Jeder Einzelne hat vor der ersten Minute nicht das abgerufen, was wir uns vorgenommen haben“, zeigte sich auch Marco Höger selbstkritisch. Markus Gisdol und sein Team stehen im Sommer vor der Aufgabe den Teamgeist wiederzufinden, der die Geißböcke vor der Corona-Pause zum Klassenerhalt geführt hat und den sie dringend brauchen, um in der Bundesliga bestehen zu können.
Das weiß auch der FC-Coach, der vor dem Hintergrund des tragischen Todes von Jonas Hectors Bruder Lucas am vergangenen Sonntag mit seinem Team nicht zu hart ins Gericht gehen wollte: „Ohne ins Detail zu gehen, war auch diese Woche nicht einfach für die Mannschaft. Die Spannung ist doch abgefallen und der Fokus war weg. Wir haben kein gutes Spiel gemacht, aber ich werde einen Teufel tun und jetzt auf den Jungs herumhacken.“ Stattdessen schickt Markus Gisdol sein Team und sich bis Anfang August erst einmal in den überfälligen Urlaub.
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Werder Bremen: Pavlenka; Gebre Selassie, Veljkovic, Moisander, Friedl; Vogt (82. Bartels); M. Eggestein, Osako (87. Bittencourt), Klaassen (74. Bartels); Füllkrug (46. Sargent), Rashica (87. Pizarro). – 1. FC Köln: Horn; Leistner (34. Höger), Bornauw, Czichos; Ehzibue, Skhiri, Rexhbecaj (46. Katterbach), Jakobs (75. Clemens); Uth (46. Thielmann), Drexler; Modeste (75. Lemperle). - SR.: Dankert (Rostock). – Tore: 1:0 Osako (22.), 2:0 Rashica (27.), 3:0 Füllkrug (29.), 4:0 Klaassen (55.), 5:0 Osako (58.), 5:1 Drexler (62.), 6:1 Sargent (68.) . – Gelbe Karten: Vogt; Uth, Ehizibue.