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Philipp Lahm Interview„Diskriminierung findet leider immer noch im Stadion statt“

Lesezeit 6 Minuten

Weiter präsent: Philipp Lahm, ob wie hier als EM-Botschafter von München, als DFB-Präsidiumsmitglied oder Buchautor.

  1. Im Sommer 2017 beendete Philipp Lahm nach 385 Bundesliga- und 113 Länderspielen seine große Profifußball-Karriere.
  2. Präsent blieb er als Botschafter des deutschen Nationalteams bei der WM 2018 in Russland und TV-Experte.
  3. Im Interview mit Tilmann Mehl erzählt der Unternehmer, wie er den Lockdown erlebt und warum er schwulen Profis weiter vom Outing abrät.

In der vergangenen Woche haben sich über 800 Spieler und Funktionäre in einer Aktion des Magazins „11Freunde“ für eine offene Gesellschaft und gegen Homophobie positioniert. Sie aber schreiben in Ihrem Buch, dass Sie einem Spieler nicht zwingend zu einem Outing raten würden. Hat sich durch die Aktion etwas an Ihrer Einstellung geändert?Philipp Lahm: Nein, meine Meinung bleibt genau die gleiche. Ich habe auf die Gefahren hingewiesen, die auf jemanden zukommen, der sich outet. Wer überlegt, sich zu outen, sollte sich mit seinen engsten Vertrauten austauschen, um eine Strategie festzulegen. Das wird extrem wichtig sein.

Aber ist die Gesellschaft nicht schon viel liberaler, als man es im Fußballgeschäft manchmal einschätzt?

Es bleibt einfach eine persönliche, eine private Entscheidung. Das muss man berücksichtigen. Diskriminierung findet leider immer noch im Stadion statt. In Form von Rassismus oder aus ganz anderen Gründen gegenüber Einzelnen. Wenn jeder dagegen aufstehen würde, würde nichts gegen ein Outing sprechen. Aber man sieht eben noch Diskriminierung und Gewalt im Stadion.

Bleiben wir bei der gesellschaftlichen Verantwortung des Fußballs. Die Profis dürfen spielen, zuletzt kam aber immer mehr Kritik an den Auslandsreisen und fehlender Demut auf. Verstehen Sie das?

Das ist schwierig zu beurteilen. Der Profifußball hat ein Hygienekonzept erarbeitet, das Vorreiter für viele andere Ligen war. Es ist klar, dass das nur mit finanziellen Mitteln möglich ist, über die nur wenige verfügen. Das Konzept hat sich bewährt. Ob die Reisen notwendig und sinnvoll sind, kann ich nicht beurteilen. Der FC Bayern repräsentiert Deutschland und Europa. Aber ich bin dieser Frage auch zwiegespalten. Ich bin Fußballfan – und die Spiele geben uns einen Teil Normalität wieder. Es ist schwierig. Wir dürfen aber den Amateursport nicht vergessen. Ich hoffe, dass der Amateursport aus dieser Krise rauskommt.

Philipp Lahm

wurde am 11. November 1983 in München geboren und ist einer der erfolgreichsten deutschen Fußballspieler aller Zeiten. Der 37-Jährige, aus der Jugend des Münchner Stadtteilvereins FT Gern hervorgegangen, wechselte mit elf Jahren zum FC Bayern. Dort war er nach seiner zwischenzeitlichen Leihe zum VfB Stuttgart seit 2006 bis zum Karriereende 2017 Stammspieler. Lahm gewann unter anderem im Triple-Jahr 2013 bei dritten Endspielteilnahme seiner Zeit mit den Bayern die Champions League und 2014 mit Deutschland den WM-Titel – jeweils als Kapitän. Mittlerweile ist er Chef des Organisationskomitees der Euro 2024 und Präsidiumsmitglied des DFB. Sein Buch „Das Spiel. Die ganze Welt des Fußballs“ (19,95 Euro) erschien jüngst im Verlag C.H.Beck. (spo)

Nehmen wir doch gleich noch den Jugendfußball dazu. Ihr achtjähriger Sohn spielt im Verein. Allein deswegen haben Sie schon einen Einblick. In welcher Art wird der Breitensport Fußball aus der Corona-Krise kommen?

Die Mitgliederzahlen gehen langsam nach unten. Wenn dann aufgemacht wird, stehen wir vor der großen Frage: Kommen alle zurück? Das betrifft natürlich vor allem die Kinder – aber auch Betreuer, Trainer, Schiedsrichter. Vielleicht sagen viele: Es hat auch ohne Fußball funktioniert, ich brauche das nicht mehr. Da mache ich mir schon Sorgen. Der Fußball an der Basis hat so einen Wert für die Gesellschaft. Ich hoffe, dass er in der Breite weiter die Strahlkraft behält.

An Strahlkraft verloren hat zuletzt die Nationalmannschaft. Hat Jogi Löw überhaupt die richtigen Spieler für das von ihm derzeit bevorzugte schnelle Umschaltspiel?

Ich weiß nicht, was der Bundestrainer vorhat. Aber in der Nationalmannschaft gab es immer mal wieder Änderungen des Spielstils – auch als ich mit dabei war. Und mit den Spielertypen, die Jogi zur Verfügung hat, ist das auch möglich. Wir haben erstklassige Spieler mit teilweise großer internationaler Erfahrung. Man muss nur irgendwann eine Entscheidung treffen, was man will. Will man den Ballbesitz und gute Organisation wie etwa Pep Guardiola, oder mag man aus einer guten Kontrolle in der Defensive dynamisch nach vorne spielen? Aber da hat Jogi Löw die notwendige Auswahl an Spielern.

Welche Spieler wären denn als Kern einer Mannschaft geeignet?

Manuel Neuer, aber auch Süle, Kimmich, Goretzka, Kroos, Gündogan, Serge Gnabry oder Timo Werner. Die haben alle schon Erfahrung und müssen jetzt auch mal in die Verantwortung genommen werden und dann auch die Verantwortung annehmen. Entscheidend ist immer, wer auf dem Platz steht. Da muss sich eine Mannschaft herauskristallisieren.

Wie haben Sie persönlich das vergangene Jahr erlebt?

Vorneweg: Ich habe ein privilegiertes Leben. Ich habe keine finanziellen Ängste, lebe in einem Umfeld, in dem wir uns gut bewegen können. Wir sind die Letzten, die sich beschweren dürfen. Klar ist aber auch, dass es andere Herausforderungen gibt. Homeschooling, Videokonferenzen, die Kinder beschäftigen, Dinge unternehmen, mit den Kindern rausgehen.

Sind Sie froh, dass Ihr Sohn wieder zur Schule geht und Ihre Tochter in den Kindergarten?

Selbstverständlich sind wir da froh. Das gibt uns allen mehr Freiraum. Das Allerwichtigste ist aber, dass die Kinder wieder mit anderen Kindern Zeit verbringen. Wenn man wie in den vergangenen Monaten nur einen Freund oder eine Freundin treffen kann, ist das okay – aber das ist doch kein Ausgleich dafür, dass man in der Gemeinschaft etwas erlebt.

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Wie eben in der Schule, in der Freizeit – und hoffentlich bald wieder beim Fußball. Das ist verloren gegangen. Darauf freuen wir uns wieder. Wir sind gerne in der Gesellschaft. Wir freuen uns auf Lockerungen. Wir freuen uns, wenn die Kinder wieder so aufgehoben sind, wie man sich das wünscht.

Wie stellt sich bei Ihren Kindern der Kontakt mit den Großeltern dar?

Die leiden oft ja mehr darunter, die Enkel nicht zu sehen, als die Kinder selbst. Es gibt den Austausch. Die Eltern meiner Frau sowie meine sind zu gerne Großeltern. Normalerweise treffen wir uns regelmäßig auch in größerer Runde. Unsere Familien leben alle in München. Meine Eltern sind zudem noch sehr verankert im Fußballverein. Wenn das alles wegfällt, wird es auch für ältere Menschen sehr schwierig. Unsere Familien blicken alle positiv nach vorne. Wir hoffen, dass wir die intensivste Zeit hinter uns haben.

Sie wirken während der meisten Ihrer Auftritte sehr kontrolliert. Selten, dass Sie sich einmal unbedacht äußern. Gibt es im Privatleben auch mal den Moment, in dem Ihnen etwas rausrutscht, von dem Sie danach sagten: Das hätte es jetzt nicht gebraucht?

Ich bin schon ein sehr emotionaler Mensch. Bei vielen Themen ist es nur wichtig, sein Anliegen fachlich und sachlich vorzutragen. Aber selbstverständlich rutscht natürlich auch mir mal etwas raus, das ich kurz darauf gerne rückgängig machen würde.

Sie haben mit „Das Spiel“ bereits Ihr zweites Buch geschrieben. Warum eigentlich?

Meine Position hat sich mit dem Karriereende verändert. Ich habe eine neue Rolle als Turnierdirektor. Ich bin ein Freund davon, sich Zeit zu nehmen, zu reflektieren, in den Rückspiegel zu schauen, aber auch nach vorne zu schauen. Was ist meine Verantwortung? Nach vielen Gesprächen habe ich gemerkt: Das lohnt sich aufzuschreiben.

Was liest denn der Autor Philipp Lahm?

Sehr gerne die Bücher von Harry Kämmerer. Bayerische Krimis mit Ironie – das gefällt mir gut