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„Auf Schalke wartet sehr viel Arbeit“Peter Neururer über Höhenflug der Königsblauen

Lesezeit 7 Minuten

Peter Neururer war Fußballtrainer von Schalke 04 und dem VfL Bochum.

Mit Schalke 04 und dem VfL Bochum hat Peter Neururer als Fußballtrainer seine größten Erfolge gefeiert. Im Interview mit Sportredakteur Benjamin Kraus beleuchtet der 67-Jährige die aktuellen Höhenflüge seiner Ex-Klubs.

Herr Neururer, wie und wo haben Sie den Aufstieg des FC Schalke erlebt?

Live vor Ort in der Arena beim Showdown gegen St. Pauli, in verschiedenen Logen, auch in der von Ex-Aufsichtsratschef Clemens Tönnies, der Schalke nach wie vor tief im Herzen trägt. Das haben viele offensichtlich bereits vergessen – schon traurig, wie man versucht, einen solch großen Mann und Gönner loszuwerden. Die echten Schalker waren aber da, die Eurofighter nach 25 Jahren, später auch die Spieler um Simon Terodde, mit denen es natürlich auch das eine oder andere Kaltgetränk gab. Ein wunderbarer Abend.

Der wann endete?

Meine Frau sagt bei solchen Gelegenheiten gern, dass ich um „Viertel nach“ zuhause war.

Peter Neururer

Geboren in Marl, begann Neururer nach seiner aktiven Fußballerzeit (u.a. DJK Gütersloh, VfB Remscheid) beim TuS Haltern seine Trainerkarriere. Zwischen 1987 und 2014 brachte er es auf 14 Stationen in den ersten beiden Ligen im Profifußball, meist im Westen der Republik. Im Juni 2012 erlitt er beim Golfspielen in Gelsenkirchen einen Herzinfarkt, von dem er sich wieder vollständig erholte. Seit Mai 2021 ist er Vorstandsmitglied beim Regionalliga-Traditionsklub Wuppertaler SV. Als Experte ist er regelmäßig auf Sport 1 zu sehen, der TV-Sender zeigt am Montag live ab 21:45 Uhr den „Doppelpass 2. Bundesliga“. (bekr)

Ein 3:2-Sieg nach 0:2-Rückstand. Typisch Schalke?

Als S04 zur Pause hinten lag, hatte ich noch gesagt: Sonnenklar, die gewinnen das. Sie hatten nichts mehr zu verlieren, zudem war logisch, dass St. Pauli nervös wird, wenn das Anschlusstor fällt. Dennoch muss man sagen: Was dann in diesem Stadion los war in der zweiten Halbzeit – einfach unglaublich.

Die Krönung der Arbeit von Mike Büskens, der sieben seiner acht Spiele als Chefcoach gewann?

Nein – zuallererst das Werk der Mannschaft, die all die Spiele gewonnen hat. Mike hat das toll moderiert, aber vor allem hat er die Sache zu Ende gebracht. Auch Dimi Grammozis hatte als Coach zuvor viele Siege eingefahren, vor allem hat er die Mannschaft geformt. Nur nach außen hatte er taktisch ab und an nicht klug kommuniziert, was auf Schalke eben immer eine gewisse Eigendynamik entfaltet.

Vor 30 Jahren war Schalke letztmals in die Bundesliga aufgestiegen. Als Trainer wurde in allen Rückblicken Aleksandar Ristic gefeiert…

…dabei hatte ich die Aufstiegself zusammengestellt. Es war meine dritte Saison als Schalke-Coach. Im ersten Jahr hatten wir erst im letzten Heimspiel den Absturz in die Oberliga Westfalen verhindert – das wäre damals das Ende für den finanziell klammen Verein gewesen. Im zweiten Jahr sind wir Fünfter geworden, im Dezember 1990 waren wir Zweiter: Das Geld von Günter Eichberg zahlte sich langsam aus, doch ich hatte wohl etwas zu viel Schatten auf den so genannten Sonnenkönig geworfen. Der Verwaltungsrat wollte mit mir verlängern, aber Eichberg wollte Ristic und bekam ihn. So war ich der Märtyrer, dem der große Moment des Aufstiegs geklaut wurde – aber ich will nicht klagen, weil ich finanziell gut dafür entlohnt worden bin.

Es folgten lange Bundesliga-Jahre mit der Krönung des UEFA-Cup-Sieges 1997. Was folgt jetzt für Schalke?

Zunächst einmal viel Arbeit – man muss eine Menge tun, um in der Bundesliga zu bleiben, nachdem man ja die 2. Liga nicht beherrscht hat. Neun Niederlagen sind viel für einen Tabellenführer, 62 Punkte aus 33 Spielen wenig. Die 2. Bundesliga mag vielleicht die Beste der letzten 20 Jahre gewesen sein, was die Attraktivität der beteiligten Klubs angeht. Für die Qualität in der Spitze der Liga gilt das allerdings sicher nicht.

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Kann Torjäger Terodde mit nun 34 Jahren endlich auch in der Bundesliga ein Leistungsträger werden?

Warum nicht? Ich hatte zweimal in meiner Karriere das Glück, ihn trainieren zu dürfen, und kann sagen: Es gibt kaum einen anderen Stürmer, der im Strafraum besser ist als er. Wichtig für ihn ist, dass sein Weg zum Tor nicht zu weit ist und er Unterstützung bekommt. Insofern war sein Zusammenspiel mit Marius Bülter gut – mit Abstrichen auch das mit Rodrigo Zalazar oder Darko Churlinov. Aber unabhängig davon muss Schalke investieren: Hoffentlich ist das möglich trotz der angespannten Finanzlage.

Wer wird Schalke in die Bundesliga folgen?

Werder Bremen wird Zweiter, der HSV spielt in der Relegation gegen Stuttgart. Das hatte ich schon vor Wochen vorhergesagt. Auch wegen der Rückkehr der Fans, die bei diesen Traditionsklubs eine Menge ausmachen.

Gut läuft es auch bei Ihrem Ex-Klub VfL Bochum – als Außenseiter ein souveräner Bundesliga-Klassenerhalt.

Mit den entscheidenden Punkten beim Derbysieg in Dortmund, was für ein Fest für die Fans. Hoffentlich läutet das eine neue Ära der Unabsteigbaren ein – wobei das schwer wird, wenn man die Etat-Unterschiede zu den Schwergewichten sieht, die nun von unten kommen.

Was sind die Gründe für den Aufschwung beim VfL?

Heute sagt man „Projekt“ dazu, wir nannten es früher Aufbauarbeit. Sie haben sich Zeit gegeben, nicht im ersten Jahr alles erreichen zu müssen. Manager Ilja Kaenzig mit seinem guten Netzwerk und Sportgeschäftsführer Sebastian Schindzielorz haben Geduld bewiesen. Thomas Reis konnte seine Spielphilosophie entwickeln. Und sie sind auch nach großen Problemen im Defensivbereich nicht gleich nervös geworden. Armel Bella Kotchap und Maxim Leitsch standen zu Zweitligazeiten lange massiv in der Kritik, heute sind sie die gefragtesten Verteidiger-Talente Deutschlands.

Als Bochum letztmals aufstieg, führte der Weg unter Trainer Peter Neururer bis in den UEFA-Cup.

Bei unserer Aufstiegsfeier 2002 hatte ich im Spaß zum damaligen Präsidenten Werner Altegoer gesagt, dass ich eine Prämie für den Einzug in den UEFA-Pokal möchte – ein Gag. Als wir drei Jahre später tatsächlich vor Dortmund und Schalke abgeschlossen hatten, lud er mich zum Essen ein im Hotel Klosterpforte bei Gütersloh, bestellte Rotwein, war ganz ernst. Ich dachte, er will mich feuern, ehe er sagte, er habe Schulden bei mir. Nachher hat er die Prämie aus seiner eigenen Tasche bezahlt – irre.

Was war das Erfolgsgeheimnis damals beim VfL?

Wir waren eine einzigartige Symbiose, alle im Verein. Vor einem Spiel bei den Bayern hatte ich Zeugwart Andi Pahl gefragt, welche Taktik er gut fände – er sagte, lass was machen, womit sie nicht rechnen. Heute würde man das als Angriffspressing verkaufen, wir sind halt einfach vorne draufgegangen und haben 1:0 gewonnen. Beim Sieg zum Aufstieg gegen Union Berlin 2002 haben wir den heutigen Schalke-Sportdirektor Rouven Schröder intern zum Spieler des Spiels gemacht, obwohl er keine Minute gespielt hat: Frank Fahrenhorst, sein größter teaminterner Konkurrent, hatte kurz vor Schluss das 2:1 geköpft – und Schröder war nach einem Wahnsinnssprint sein erster Gratulant. So tickten wir damals.

Wen muss Schröder jetzt als Nachfolger von Büskens für Schalke verpflichten? Sie sagten kürzlich, nur für den 1. FC Köln oder S04 würde Peter Neururer noch einmal auf den Trainerstuhl zurückehren.

Wobei ich glücklicherweise keinen Bedarf habe und ganz gut ausgelastet bin: Als Sport-1-Experte für die 2. Bundesliga, als Trainer für die Vereinigung vertragsloser Fußballer, bei der wir jeden Spätsommer bis dato nicht untergekommene Profis fit machen und 80 Prozent von ihnen wieder zu einem Vertrag verhelfen, wobei mir mein großes Netzwerk natürlich hilft. Rouven wird für Schalke mit seiner Ruhe die richtige Entscheidung treffen. Es muss ein Mann sein, der mit dem bisherigen Stab um Büskens arbeiten kann und als Typ zum Schalker Umfeld passt.