Köln – Die Sonne brennt vom Himmel, als Christian Keller auf der Terrasse des Geißbockheim-Restaurants Platz nimmt und sich zur Abkühlung ein Stracciatella-Eis bestellt. Im Gespräch mit Tobias Carspecken und Martin Sauerborn spricht der neue Sportchef über seinen Start beim 1. FC Köln, Herausforderungen bei der Kaderplanung und seine Vorhaben.
Herr Keller, wie sind Sie beim FC aufgenommen worden?
Der erste Eindruck ist sehr gut. Alle Mitarbeiter sind freundlich, hilfsbereit und offen auf mich zugegangen.
Was stand bislang im Vordergrund?
Es ging darum, Menschen, Inhalte und Abläufe kennenzulernen und mir entsprechende Eindrücke zu verschaffen. Zudem wurde die Kaderplanung angestoßen.
Zur Person
Acht Jahre lang war Christian Keller (43) bis zu seinem Ausscheiden Ende Oktober 2021 Geschäftsführer des Zweitligisten SSV Jahn Regensburg, bei dem der Sport-Ökonom und A-Lizenz-Inhaber sowohl die sportliche als auch die kaufmännisch-administrative Verantwortung trug. Zuvor war der gebürtige Donaueschinger und frühere Mittelfeldspieler unter anderem als Strategieberater für Profisportorganisationen sowie als Professor und Studiendekan für Sportmanagement an der SRH Hochschule Heidelberg tätig. (tca)
In welchem Zustand haben Sie den FC sportlich vorgefunden?
Der FC blickt auf seine erfolgreichste Erstliga-Saison seit Einführung der Drei-Punkte-Regel zurück. Das spricht für sich.
Was sind die Gründe?
Ich habe in meinen ersten sechs Wochen beim FC drei Gründe herausgefiltert. Erstens: Es wurde eine ganz klare Spielidee implementiert und umgesetzt. Zweitens: Die Führung der Mannschaft ist vom gesamten Trainerteam sehr gut. Und drittens: Die Mannschaft verfügt über eine gute Selbstregulation und einen guten Charakter.
Wie bewerten Sie die übrigen Bereiche des FC?
Das Personal ist sehr gut. Auch konzeptionell ist hier vieles richtig gut. Die Infrastruktur ist dagegen in mancherlei Hinsicht beschämend. Organisatorisch müssen wir uns verbessern. Finanzwirtschaftlich haben wir einen klaren Sanierungsauftrag.
Waren die Probleme in Regensburg vergleichbar?
Beim SSV Jahn war die Dimension in jedweder Hinsicht kleiner. Es gab allerdings auch dort ein Missverhältnis von Aufwand und Ertrag. Wenn man so will, waren beide Clubs aus finanzwirtschaftlicher Sicht Sanierungsfälle, als ich angefangen habe.
Der Spieleretat muss zur neuen Saison um 20 Prozent gesenkt werden. Wie bleibt der FC trotzdem schlagkräftig?
Das ist die große Herausforderung.
Wie gehen Sie es an?
Ich unterscheide immer zwischen Qualität und Potenzial. Qualität ist für mich ein Spieler, der nachgewiesen hat, dass er auf dem Niveau, auf dem er spielen soll, konstant solide Leistung bringt. Potenzial ist für mich ein Spieler, der die Eigenschaften mitbringt, auf einem höheren Niveau – in unserem Fall Bundesliga – zu spielen, der es bis dato aber noch nicht oder nicht konstant gezeigt hat. Wir werden nicht in der Lage sein, Qualität zu rekrutieren. Wir werden nur in der Lage sein, Potenzial dazu zu holen.
Welches Risiko sehen Sie?
Ich maße mir an, dass ich einen Spieler gut bewerten kann. Was ich aber nicht abschließend sagen kann, ist, wie schnell es geht, die Lücke vom Potenzial zur Qualität zu schließen.
Wie kann die Einschätzung gelingen?
Indem wir möglichst viele Leute einbinden. So haben wir das auch schon in Regensburg gemacht. Mich interessiert genau, wie das Trainerteam, die Sportliche Leitung, alle Scouts den Spieler sehen. Dabei geht es nicht nur um die sportliche Seite, sondern auch um die persönliche. Um die Frage, wie sich der Spieler präsentiert. Wir werden nie einen Spieler verpflichten, mit dem wir hier vor Ort nicht ausführlich gesprochen haben. Dabei läuft im Hintergrund ein Screening ab, um den Spieler besser einschätzen zu können. Wenn dann alle der Meinung sind, dass der Spieler den nächsten Schritt gehen könnte – dann machen wir es. Transferentscheidungen sind immer bis zum finalen Moment Kollektiventscheidungen, auch wenn ich am Ende die Hauptverantwortung trage.
Welche Parameter muss ein Spieler über das Fußballerische hinaus mitbringen?
Der FC will für Wille stehen. Also brauchen wir Spieler, die nicht so schnell aufgeben. Die Frustrationstoleranz ist gerade bei Potenzial-Spielern brutal wichtig. Zudem will der FC für Hingabe stehen. Hingabe ist für mich Identifikation. Denn nur, wenn ich mich mit etwas identifiziere, kann ich mich auch einer Sache hingeben. Ich muss also herausbekommen: Sieht der Spieler den FC nur als Durchgangsstation? Oder sagt er: Solange ich da bin, möchte ich meinen Teil dazu beitragen.
Was ist außerdem wichtig?
Der FC will auch für Treue stehen. In die Spielersprache übersetzt steht hinter Treue: Gib dein Bestes für deinen Nebenmann. Das ist eine der Kernideen, um die es im Fußball geht. Außerdem will der Club professionell sein. Auf einen Spieler übertragen heißt das: Wie gestaltet er sein unsichtbares Training? Damit ist gemeint die Vor- und Nachbereitung des Trainings, Ernährung, Schlafverhalten, Tagesrhythmus und Physiotherapie. In so einem Gespräch bekommt man vieles heraus. Denkt der Spieler auch wie ein Profi? Oder ist er nur auf dem Papier ein Profi?
Gibt sich Steffen Baumgart damit zufrieden, dass nur Potenzial geholt werden kann?
Steffen ist niemand, der fordert. Er kennt es gar nicht anders, weil er in Paderborn und auf seinen vorherigen Stationen genauso gearbeitet hat. Steffens Selbstverständnis als Trainer ist, jedem Spieler jeden Tag zu helfen, sich zu verbessern. Deshalb hat Steffen auch Lust, mit Spielern zu arbeiten, die noch Luft nach oben haben. Dabei kann er sich in seiner Rolle als Trainer voll entfalten.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Steffen Baumgart?
Sehr gut. Steffen ist sehr offen, umgänglich, reflektiert und immer dankbar für ein Feedback.
Wie weit sind die Vertragsverhandlungen mit ihm?
Wir haben uns grundsätzlich die Hand darauf gegeben, über die kommende Saison hinaus zusammenarbeiten zu wollen. Für Steffen und mich hat ein Kommitment alter Schule auch heute noch Bestand. Jetzt müssen wir die Formalien klären, bei denen wir zumindest schon die Erwartungshaltung abgesteckt haben.
Wird der FC Salih Özcan halten können?
Salih hat in dieser Saison einen wahnsinnigen Entwicklungssprung gemacht. Er hat sich zu einem Schlüsselspieler entwickelt. Jetzt müssen wir ihm aufzeigen, warum es ihm guttun könnte, hier sein Leistungsniveau zu stabilisieren. Salih muss das dann abwägen mit der sportlichen Chance, auf das nächste Level zu springen. Wirtschaftlich sind wir nicht konkurrenzfähig gegen das kolportierte Interesse aus der Champions League. Das ist eine andere Welt. Da können wir uns strecken, wie wir wollen.
Spielt Geld für Özcan eine große Rolle?
Salih ist kein monetär motivierter Spieler. Er weiß, was er am FC hat, und hängt hier mit dem Herzen dran. Wenn er geht, dann deshalb, weil er sportlich den nächsten Schritt machen will. Wenn es so kommt, könnten wir ihm das nicht verübeln.
Wie stellt sich die Situation bei Anthony Modeste dar?
Ich habe Tony ganz klar gesagt, dass ich mir wünsche, dass er nächstes Jahr hier spielt. Wir werden ihm kein Preisschild umhängen. Weil wir möchten, dass er bleibt.
Gilt das auch für Ellyes Skhiri?
Ellyes ist ein Musterprofi, der sicherlich auch noch gewisse Karrierepläne hat. Er kommt jetzt ins beste Alter, das man als Sechser haben kann. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er ins Nachdenken geriete, wenn Angebote reinkämen.
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Zumal der FC zu Verkäufen gezwungen ist.
Aktuell können wir aber noch nicht sagen, ob es welche geben wird. Weil wir nicht wissen, welche Angebote reinflattern werden. Der Transfermarkt ist noch sehr verhalten bis nicht existent. Das ändert sich erfahrungsgemäß, sobald die Saison ganz vorbei ist.
Wie kann der Spagat mit der Teilnahme am internationalen Geschäft gelingen?
Die Doppelbelastung ist für mich in erster Linie eine Frage der Steuerung der Trainingsbelastung. Da wir mehr Spielbelastung haben, müssen wir die Trainingsbelastung natürlich anpassen. Gerade für unser Spiel benötigen wir jedoch Trainingsimpulse. Wir werden uns daher sehr gut beratschlagen, wie wir damit umgehen. Zumal die Doppelbelastung für uns alle eine neue Herausforderung ist. Weder das Trainerteam noch ich hat schon mal international gespielt.
Wie bewerten Sie die Arbeit von Interims-Sportchef Jörg Jakobs?
Jörg ist extrem uneitel. Er ist komplett allürenfrei und nimmt sich selbst nicht wichtig. Ihm geht es immer nur um die Sache. Wenn man diese Faktoren zusammenfasst, ist das für die Tätigkeit, die er ausgeübt hat, ungewöhnlich. Das beschreibt ihn sehr gut und damit in weiten Teilen seine Arbeit.
Welche Vision haben Sie mit dem 1. FC Köln?
Ich löse meine Vision gerne vom rein sportlichen Denken. Das gemeinsame Ziel von Vorstand, Philipp Türoff (kaufmännischer Geschäftsführer, Anm. d. Red.) und mir ist, dass der FC dahin kommt, dass wir der Strahlkraft des Clubs auf allen Ebenen gerecht werden. Das war aus meiner Außenwahrnehmung in den vergangenen 30 Jahren immer nur bedingt der Fall. Der FC ist ein brutal großer Club mit einer brutalen Wucht. Das Abschneiden spricht aber nicht dafür. Sportlicht nicht, und auch nicht wirtschaftlich. Wir haben den Anschluss verloren an die Clubs, die eine ähnliche Strahlkraft haben. Da sind wir meilenweit hinten dran. Wir müssen gucken, dass wir den Abstand verkürzen. Einholen wird nicht mehr gehen. Dafür wurde der Anschluss in einer entscheidenden Phase verpasst, als der Fußball sich professionalisiert und kommerzialisiert hat.
Wie lange wird es dauern, den Abstand zu verkürzen?
Wir müssen jetzt erstmal wirtschaftlich gesund werden. Nur auf einem gesunden Fundament kannst du anfangen zu bauen. Wenn das Fundament schon bröckelt, musst du nicht anfangen, in die Höhe zu bauen.