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Interview mit Bochums Trainer vor FC-Spiel„Wir wollen das Staunen aufrecht erhalten“

Lesezeit 6 Minuten
Thomas Reis

Thomas Reis

  1. Wenn der VfL Bochum und der 1. FC Köln am Samstagabend (18.30 Uhr, Sky) in der Fußball-Bundesliga aufeinandertreffen, ist das auch das Duell zweier befreundeter Trainerkollegen.
  2. Tobias Carspecken sprach mit VfL-Coach Thomas Reis (48) über Bochums Rolle als Aufsteiger und seinen guten Draht zu Steffen Baumgart.

Herr Reis, Steffen Baumgart ist zuletzt als Souvenir-Jäger in Erscheinung getreten. Sind Sie auf einen möglichen Textiltausch vorbereitet?

Ich wüsste gar nicht, was der Steffen von mir haben wollen würde (lacht).

Würde umgekehrt die Schiebermütze Sie denn reizen?

Schwierig. Ich bin kein Mützenträger, auch wenn Steffens Mütze in Köln zum Renner geworden ist. Ich bin eher der Hoody-Typ.

Zur Person

Thomas Reis, geboren am 4. Oktober 1973 in Wertheim, ist seit dem 6. September 2019 Cheftrainer des VfL Bochum. Zu diesem Zeitpunkt rangierte der VfL nach fünf Spieltagen auf dem vorletzten Platz der Zweiten Bundesliga. Reis führte die Mannschaft aus dem Tabellenkeller ins gesicherte Mittelfeld, ehe ihm in der vergangenen Saison mit dem Gewinn der Zweitliga-Meisterschaft der große Coup gelang. Zuvor war der frühere Abwehrspieler von 2009 bis 2016 als Trainer im Nachwuchsbereich des VfL tätig. Nach einer Station als U19-Coach des VfL Wolfsburg kehrte Reis zu Beginn der Zweitliga-Saison 2019/20 zum Revierclub zurück, für den er als Profi 176 Erst- und Zweitligaspiele absolvierte. Sein vorzeitig verlängerter Vertrag läuft bis zum Sommer 2023. (tca)

Wie groß ist die Vorfreude auf das Westduell?

Samstagabendspiele sind an jedem Spieltag etwas Besonderes. Das Flutlicht wird brennen. Wir freuen uns drauf. Es werden zwar nur 750 Zuschauer da sein, aber die haben auch im Pokal-Achtelfinale gegen Mainz (3:1) eine tolle Stimmung gemacht.

Was hätten Sie entgegnet, wenn man Ihnen vor der Saison gesagt hätte, dass sich Bochum und Köln am 20. Spieltag zu einem Mittelfeldduell treffen?

Das hätte ich für uns sofort unterschrieben. Wir sind in der Bundesliga angekommen und machen es bislang sehr gut. Trotzdem müssen wir realistisch bleiben. Um in der Bundesliga eine Chance zu haben, müssen wir in jedem Spiel Vollgas geben und bei 100 Prozent sein.

Sie haben im Sommer erklärt, dass ein möglicher Klassenerhalt des VfL einem „Wunder“ gleichkäme. Haben Sie das Steigerungspotenzial Ihrer Mannschaft womöglich unterschätzt?

Auch der Aufstieg war schon irgendwo ein Wunder. Niemand wusste so recht, was danach auf uns zukommt. Für mich war es wichtig, dass wir aus den Fehlern lernen, die wir zu Beginn der Saison gemacht haben (Bochum holte nur vier Punkte aus den ersten sieben Spielen, Anm. d. Red.). Das haben wir sehr gut umgesetzt. Wir versuchen, uns die Dinge langsam zu erarbeiten. Wenn wir stabil stehen, kommen wir immer zu guten Möglichkeiten, weil wir über schnelles Personal verfügen, um den Gegner vor Aufgaben zu stellen. Wir haben uns die 23 Punkte verdient, wissen aber auch, dass diese Ausbeute nicht reichen wird.

Wie stellt sich die Ausgangslage dar?

Wir befinden uns auf einem Tabellenplatz, sodass wir von anderen Mannschaften gejagt werden. Die Ausgangslage ist positiv, sie führt aber nicht dazu, dass wir überheblich werden. Es ist alles sehr, sehr eng. Praktisch alle Mannschaften, die hinter uns stehen, haben individuell mehr Möglichkeiten als wir. Von Wolfsburg, Gladbach, Hertha über Augsburg bis hin zu Stuttgart und Bielefeld – das ist hinsichtlich der Etats normalerweise eine andere Welt. Wir wissen es richtig einzuschätzen, dass diese Teams zu jeder Zeit in einen Lauf kommen können. Wir wollen den Abstand wahren.

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Sie durchlaufen Ihr erstes Bundesliga-Jahr als Trainer. Leben Sie Ihren Traum?

Diesen Traum habe ich mir über mehrere Jahre erarbeitet. Ich war lange in der Jugend des VfL tätig, ehe ich in den Wolfsburger Nachwuchs gegangen bin, um mich auch außerhalb Bochums weiterzuentwickeln. Dann habe ich die Chance erhalten, die VfL-Profis zu übernehmen. Ich denke, es gibt schlechtere Einstiege, wenn ich die Entwicklung des VfL Bochum unter meiner Regie betrachte. Es ist sehr schön, Teil dieser Geschichte zu sein.

Was imponiert Ihnen am meisten?

Die Mannschaft vertraut mir und ich vertraue meiner Mannschaft. Da ist etwas zusammengewachsen. Das Kollektiv hilft, dass momentan ein weiteres Erstliga-Jahr keine bloße Utopie ist.

Würde der Klassenerhalt die vorläufige Krönung Ihrer Trainer-Karriere bedeuten?

Dann hätten wir ein zweites Wunder erreicht. Das wäre sensationell. Wir waren vor der Saison Abstiegskandidat Nummer eins oder zwei. Trotz geringer Mittel bringen wir momentan viele Leute zum Staunen. Man spürt, dass die Leute froh sind, dass mit Bochum nach elf Jahren ein Traditionsverein zurück in der Bundesliga ist. Wir wollen zusehen, dieses Staunen aufrecht zu erhalten.

Sie sind seit 2009 nahezu ununterbrochen in verschiedenen Trainer-Positionen für den VfL tätig. Warum passt das zwischen Bochum und Ihnen so gut?

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass der VfL Bochum, für den ich bereits als Spieler aktiv war, ein besonderer Verein für mich ist. Ich weiß, wie der Club tickt. Das Umfeld spürt, dass ich mit Herzblut dabei bin. Dass ich den VfL lebe mit all seinen Eigenschaften, die ihn schon immer ausgemacht haben. Dieses Familiäre, unbeugsam zu sein und sich nicht unterkriegen zu lassen. Mit wenig Mitteln klarzukommen. Das passt.

Haben Sie als Spieler auch schon so getickt?

Ich denke, dass ich auch zu aktiven Zeiten mit meinen Möglichkeiten viel erreicht habe. Hätte ich noch ein bisschen mehr Dynamik gehabt wie Gerrit Holtmann (aktueller Außenbahnspieler des VfL Bochum), wäre ich vielleicht Nationalspieler geworden (lacht).

Welche Rolle ist dem VfL in näherer Zukunft zuzutrauen?

Die finanzielle Schere ist im Gegensatz zu früher komplett auseinandergegangen. Wir sind mit einem Etat von 24 Millionen Euro in die Saison gegangen. Darüber kommt erstmal lange nichts, lediglich Fürth ist finanziell quasi auf Augenhöhe. Wir sind meilenweit davon entfernt, wie der FC Augsburg, der seine elfte Erstliga-Saison in Folge spielt, 16 Millionen Euro für einen Spieler (Ricardo Pepi) ausgeben zu können. Wir müssen versuchen, es mit Gier, Euphorie und Wille wettzumachen.

Sie haben FC-Trainer Steffen Baumgart während des Fußballlehrer-Lehrgangs 2014/15 kennengelernt. Wie schnell haben Sie gespürt, dass Sie auf einer Wellenlänge funken?

Steffen war von Anfang an so, wie er nun mal ist. Sehr forsch. Ein lustiger Typ. Er hat eine absolute Gier auf Erfolg. Das sieht man auch an seinen Mannschaften. Sie spielen aggressiv, pressen sehr hoch und haben eine klare Idee. Er hat schon in Paderborn tolle Arbeit geleistet und setzt sie nun in Köln fort.

Überrascht es Sie, dass der Fast-Absteiger FC eine deutlich verbesserte Saison spielt?

Ich war vielmehr gespannt darauf, wie Steffen den 1. FC Köln meistert. Der Verein ist ja nochmal eine ganz andere Hausnummer. Er passt mit seiner Art sehr gut zum FC. Er reißt an der Seitenlinie fast mehr Kilometer als seine Spieler auf dem Feld (schmunzelt). Man sieht, wie gut er Köln tut. Und bei Anthony Modeste denke ich mir: Boah, was hat er mit dem gemacht? Der FC und Steffen – das kann ein spannendes Projekt werden.

Zählen Sie die Kölner zu den Konkurrenten im Abstiegskampf?

Der FC spielt eine sehr solide Saison und punktet wie wir derzeit relativ konstant. Es müsste mit dem Teufel zugehen, dass da noch etwas passiert.

Wittern Sie in Kölns tragischem Pokal-Scheitern eine Chance?

So etwas kann auch pushen, wenn man sich sagt: So ein Mist, wir haben eine große Chance vertan. Der FC wirkt auf mich sehr stabil.

Im Hinspiel unterlag der VfL mit 1:2. Gelingt die Revanche?

Ich erwarte, dass beide Mannschaften mit offenem Visier agieren. Wir wollen zusehen, dass wir die drei Punkte hier behalten. Es wäre schön, wenn Steffens Laune nach dem Spiel nicht so gut wäre wie bei uns (schmunzelt).