Steffen Baumgart entwaffnet die Corona-Faust zur Begrüßung mit einem festen Händedruck. Der neue Trainer des 1. FC Köln passt nicht wirklich in eine der Schubladen, in die er immer wieder gesteckt wird. Vielmehr ist er offen für Vieles und klar in seinen Meinungen. Das zeigt der 49-Jährige auch im Gespräch mit Martin Sauerborn.
Herr Baumgart, die Fußball-Europameisterschaft ist gespielt. Was nehmen Sie als Bundesliga-Trainer mit aus diesem Turnier?
Den starken Auftritt der Italiener. Er hat gezeigt, dass Fußball sich verändern kann und nicht nur Catenaccio bedeutet. Spanien hat mir gut gefallen und wir waren auch nicht so schlecht, wie wir gemacht wurden. Deutschland hätte auch jedes Spiel gewinnen können, unterlegen waren wir nicht. Und wenn wir gegen England da 1:0 machen, sagen die Experten hinterher alle etwas anderes. England war nicht besser, sondern hat die entscheidenden zwei Aktionen ausgenutzt.
Zur Person
Steffen Baumgart wurde am 5. Januar 1972 in Rostock. Er spielte in der damaligen DDR von 1988 bis 1991 Dynamo Schwerin und ging nach der Wende nach Aurich in die 4. Liga. Seine Profikarriere begann er 1994 bei Hansa Rostock. Dort spielte er mit einem Jahr Unterbrechung (1998/99 beim VfL Wolfsburg) bis 2002.
Es folgten Stationen bei seinem Herzensclub Union Berlin, bei Energie Cottbus und beim 1. FC Magdeburg. Als er 2011 seine Karriere nach 225 Bundesligaspielen (29 Tore) und 142 Zweitligaspielen (36 Tore) beim SV Woltersdorf in der Landesklasse Ost Brandenburg beendete, war der Stürmer auch schon Trainer. 2009/10 in Magdeburg, dann als Co-Trainer bei Hansa Rostock (2012/13).
Danach betreute er seinen Heimatclub, den Bezirksligisten SSV Köpenick, und den Regionalligisten Berliner AK. 2017 heuerte Baumgart beim Drittligisten SC Paderborn an und marschierte nach dem Klassenerhalt am Grünen Tisch bis in die Bundesliga durch. Seit dem 1. Juli ist der dreifache Familienvater Cheftrainer des 1. FC Köln. Sein Vertrag läuft bis 2023. (sam)
Was hat Ihnen am Spiel der Italiener gefallen?
Mit welcher Klarheit sie Fußball interpretiert und wie sie als Mannschaft agiert haben. England hatte die talentierteste Mannschaft und war auch mein Tipp vor der EM. Das ganze Getue und Gehabe ist aber nicht mein Ding. Deshalb bin ich froh, dass Italien gewonnen hat.
Gab es bei der EM neue Erkenntnisse für Ihre Arbeit?
Viele Mannschaften haben nicht nur im Gegenpressing agiert, sondern sich auch mal tiefer in der Defensive aufgestellt. Auffällig fand ich, dass in jeder Mannschaft alle Spieler mitgearbeitet haben. Ich fand die EM richtig gut, es gab nur wenige langweilige Spiele.
Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, Trainer zu werden?
Der junge Steffen wollte immer schon Trainer werden. Ich komme auch aus einer Trainerfamilie. Mein Opa war Handballtrainer und auch mein Vater hat viel in dem Bereich gearbeitet.
Sie sind trotzdem erst einmal Bundesliga-Spieler geworden?
Ich habe ehrlich gesagt, nicht so viel Talent bei mir gesehen, dass ich Bundesliga spielen kann und vor allem nicht so lange. Ich bin damals zu Hansa Rostock in die 2. Liga gegangen, weil ich gesagt habe, dass ich ein Bundesligaspiel brauche, um Trainer werden zu können.
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Also ist Trainer sein eine Passion für Sie?
Ich habe als Spieler schon immer darauf geachtet, was gut ist, und mit den Jungs darüber gesprochen. Auf dem Bolzplatz habe ich oft Skizzen auf den Boden gemalt, was man besser machen kann. Ich wollte immer nur Fußball-Trainer werden. Und ich weiß, dass ich immer etwas mit Fußball zu tun haben werde. Wenn ich mal kein Trainer mehr bin, werde ich einer von denen sein, die in der Kreisliga mit einem Krückstock draußen stehen und meckern. Fußball hat mir sehr viel gegeben und mein Leben geprägt. Er macht mir einfach Spaß.
Sie haben auch schon in der Bezirksliga als Trainer gearbeitet.
Ich wurde gefragt – und das ist auch Fußballtraining. Deswegen habe ich das gemacht. Köpenick-Oberspree ist außerdem mein Heimatverein, bei dem ich bis vor vier Jahren noch Alte Herren gespielt habe. Als ich sie nach der Hinrunde in der Bezirksliga übernommen habe, hatten sie ein Torverhältnis von Minus 70 und vier Punkte. Die Mannschaft war nicht gut genug. In der Rückrunde haben wir dann zwölf Punkte geholt und nur noch Minus 25 Tore gemacht. Wir waren immer noch schlecht und sind abgestiegen, aber es hat sich etwas verbessert. Etwas zu verändern und besser zu machen, ist immer mein Ziel.
Fußball ist ein Fehlersport. Wie gehen Sie mit Fehlern um?
Ein Fehler ist dann ein Fehler, wenn ich ihn als solchen akzeptiere. Ein Fehlpass etwa ist ein Fehler, weil der Gegner den Ball bekommt. Aber ich kann ihn mir ja wieder holen. Es geht nicht darum, dass wir Fehler machen, sondern dass die meisten Menschen Fehler bewerten. Als Cheftrainer stehe ich in der Verantwortung und stelle mich den Fehlern. Viele andere sind nicht in meiner Position und meiner Verantwortung, glauben aber danach einen Kommentar dazu abgeben zu müssen. In der Verantwortung sein, heißt etwas anderes, als über Verantwortung zu reden. Das stört mich bei all den Experten, die selber Fußball gespielt haben und teilweise unter der Gürtellinie austeilen. Ich mag Menschen nicht, die andere einfach kritisieren und selbst keine Antworten geben können, sondern nur irgendwelche Ideen haben.
Sie sagen auch, dass Ihre Spieler lieber mal etwas falsch sollen, damit Sie es besser erklären können?
Wenn ich den Jungs nur sage, dass sie einen Fehlpass gespielt haben, ist das keine Hilfe. Wenn ich ihnen aber erkläre, wie es vielleicht kein Fehlpass geworden wäre oder es einen einfacheren Weg gegeben hätte, sind wir schon mal einen Schritt weiter. Lösungen finden wir nicht, indem wir alles richtig machen. Wir finden sie, wenn auch mal etwas Negatives passiert und wir daraus lernen. Ich muss als Trainer Lösungen anbieten und die Jungs dazu bringen, dass sie an den Weg glauben. Es geht um Vertrauen. Nicht darum, dass ich den Jungs vertraue, sondern sie ihrem Trainer vertrauen und versuchen umzusetzen, was er ihnen erzählt.
Wie bauen Sie ein solches Vertrauen auf?
Vertrauen kommt, wenn die Spieler merken, dass es funktionieren kann. Wenn ich als Trainer etwas begründen und erklären kann. Die Spieler sollen mitdenken. Eine Entscheidung gemeinsam zu tragen, weil sie logisch ist und einen Weg aufzeigt, bedeutet nicht dass ich jedes Spiel gewinne, aber auf Strecke mehr Spiele gewinne. Dabei muss ich den Jungs die Möglichkeit geben, nicht alles richtig zu machen.
Ihnen eilt der Ruf voraus, Spieler besser machen zu können?
Bisher ist es mir immer gelungen. Das Talent ist bei jedem da. Es geht darum, den Spielern die Möglichkeit zu geben, mit dem Talent umzugehen, an ihm zu arbeiten. Talent bedeutet nicht gleich Erfolg, sondern erst einmal nur Fähigkeiten zu besitzen, die andere nicht haben. Viele weniger talentierte Spieler setzen sich durch, weil sie das Arbeiten nicht gelernt haben. Das Arbeiten muss ich ihnen beibringen. Mit ihnen reden, es ihnen zeigen und ihnen auch mal in den Hintern treten. Unsere Mannschaft in Köln hat viel Potenzial und Talent. Das bedeutet aber nicht gleich Bundesliga, sondern erst einmal arbeiten, damit es auch Bundesliga-Niveau wird.
Sie arbeiten seit zwei Wochen mit der Mannschaft auf dem Platz. Wie sind Ihre ersten Eindrücke?
Ich bin wirklich sehr zufrieden. Der körperliche Zustand der Spieler ist super und sie haben richtig Bock. Ich muss mich hier nur noch an die Anzahl von Schlagzeilen gewöhnen.
Apropos Schlagzeilen. Wie haben Sie den FC vor Ihrem Amtseintritt eigentlich von außen wahrgenommen?
Etwas wild. So, dass Sachen zu falschen Zeitpunkten da landen, wo sie nicht landen sollten. Es sollte nicht darum gehen, wer sich wie und wo darstellt. Ich meine, dass das Wichtigste immer der Verein ist. Da steht niemand drüber. Jeder, der mir erzählt, dass er den FC liebt, muss mir das beweisen, in dem er dem Verein nicht schadet und alles für ihn gibt. Wenn wir es schaffen Ruhe zu bewahren, klar zu sein und nicht alles in der Öffentlichkeit austragen, ist das hier ein großer Verein - und zwar nicht nur aus seiner Tradition heraus.
Wie bewerten Sie den Kader?
Jeder Kader ist spannend, weil jeder Spieler in jedem Kader seinen Charakter mitbringt und Situationen anders aufnimmt. Für die älteren Spieler bin ich hier der vierte, fünfte Trainer in den vergangenen zwei Jahren. Die sagen sich, lass ihn erst mal reden und dann schauen wir, was dahinter steckt. Das ist völlig normal. Das habe ich als Spieler auch so gemacht, wenn einer da vorne stand und gesagt hat, dass er der neue Gute ist. Es macht Spaß, die Spieler tagtäglich zu beobachten. Nehmen sie es an oder nicht? Liegt es an mir oder muss ich ihnen noch mehr mit auf den Weg geben.
Anthony Modeste ist wohl solch ein Spieler. Wie bewerten Sie seine Situation?
Ich schaue nicht zurück. Tony hat die Qualität und jetzt liegt es an mir und an ihm, etwas daraus zu machen. Ich würde seine Qualität gerne auf den Platz bringen. Wenn er mitgeht und Spaß bekommt, dann sind wir einen Schritt weiter, auch wenn es am Anfang für ihn mit den ganzen Läufen sicher wehtun wird.
Sie spielen am liebsten mit einer Viererkette. Warum?
Weil ich sie am besten erklären kann und sie mir liegt. Aus der Viererkette heraus habe ich alle Möglichkeiten, andere Systeme und Ideen zu entwickeln und mehr Spieler vor den Ball zu bekommen. Ausschlaggebend bleibt für mich aber, was auf dem Platz passiert. Mir hat mal ein Co-Trainer gesagt, dass ein System eher eine Hilfestellung ist und nicht entscheidend dafür, ob du gewinnst. Bei unserem aktuellen Kader denke ich deshalb gerade über eine Dreierkette als Möglichkeit nach.
Hängt das mit der Situation auf den Außenpositionen zusammen?
Ja, dort haben wir durch Verletzungen und den Abgang von Iso Jakobs eine Vakanz. Und in der Innenverteidigung sind wir sehr gut aufgestellt. Mit Typen, die eine Dreierkette spielen könnten. Es geht darum, sieben Spieler vor dem Ball zu haben, um unsere offensive Ausrichtung, um Möglichkeiten im Anlaufen. Wir wollen den Gegner vorne finden.
Sie präferieren auch das Spiel mit zwei Spitzen?
Ich war selber Stürmer und es ist gruselig, sich alleine zwischen zwei Innenverteidigern aufzureiben. Ich kenne nicht einen Stürmer, der sagt, super, das gefällt mir. Für mich war es ein besseres Gefühl, wenn mindestens einer unterstützend neben mir war. Außerdem kann ich nicht sagen, ich habe eine offensive Ausrichtung und spiele dann nur mit einem Stürmer. Es geht ja darum, möglichst weit vorne anzulaufen.
Ist der Kader im Angriff Stand jetzt gut genug aufgestellt?
Wir haben mit Mark Uth, Tony Modeste und Seb Andersson gestandene Spieler. Tim Lemperle und Jan Thielmann sind richtig gut. Beide sehe ich nicht außen, sondern vorne. Wir müssen schauen, wie sich die Dinge entwickeln und wer letztendlich gesund ist und spielen kann.
Muss der FC noch Spieler verpflichten?
Im ersten Schritt sage ich nein. Wenn wir noch Spieler abgeben oder Spieler nicht einsatzfähig sind, können wir aber nicht nur mit Talent in die Bundesliga gehen. Wir warten da mal ab. Die Reihenfolge ist aber klar: Erst wenn Spieler gehen, holen wir welche.
Zum Abschluss noch eine Frage zur EM an den Trainer Baumgart. Hätten sie im Finale als englischer Coach die drei jungen Spieler ins Elfmeterschießen gesteckt?
Es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Ich hätte es als Trainer aber auf keinen Fall gemacht. Da waren genug gestandene Spieler auf dem Platz und die muss ich als Trainer dann auch mal zwingen, in solch einer Situation. Hier im FC-Kader wäre das anders gewesen – da hätten genug junge Spieler den Mumm gehabt und würden sofort den Finger heben. Die müsste ich wahrscheinlich sogar bremsen.
Wie haben Sie den FC vor Ihrem Amtseintritt von außen wahrgenommen?
Etwas wild. So, dass Sachen zu falschen Zeitpunkten da landen, wo sie nicht landen sollten. Es sollte nicht darum gehen, wer sich wie und wo darstellt. Ich meine, dass das Wichtigste immer der Verein ist. Da steht niemand drüber. Jeder, der mir erzählt, dass er den FC liebt, muss mir das beweisen, in dem er dem Verein nicht schadet und alles für ihn gibt. Wenn wir es schaffen Ruhe zu bewahren, klar zu sein und nicht alles in der Öffentlichkeit austragen, ist das hier ein großer Verein - und zwar nicht nur aus seiner Tradition heraus.