AboAbonnieren

FC verpasst SensationVon der Relegation in den Europapokal

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt

Wataru Endo schießt das 2. Tor für die Stuttgarter

Stuttgart – Es dauerte nach dem Abpfiff nur wenige Sekunden und schon war der Rasen in der Mercedes-Benz Arena von Stuttgart ein einziges Menschenmeer. Die völlig entrückten Fans des VfB Stuttgart konnten ihr Glück nicht fassen und ließen ihren Gefühlen an diesem 14. Mai 2022 freien Lauf.

Kapitän Wataru Endo hatte die Anhänger in der zweiten Minute der Nachspielzeit in einen Freudentaumel versetzt. Endo traf in der zweiten Minute der Nachspielzeit zum 2:1 (1:0)-Sieg gegen den 1. FC Köln und zum nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt der Schwaben. Auch zur Freude von Alexander Wehrle. Der langjährige Geschäftsführer des 1. FC Köln darf als neuer Vorstandsvorsitzender mit dem VfB auch nächste Saison erste Liga spielen.

Die Kölner retteten sich nach einem großen Kampf so schnell sie konnten in die Kabine, nachdem sie zum ersten Mal in dieser Spielzeit zwei Partien in Folge verloren hatten. Gut zehn Minuten lang hatte das Team von Trainer Steffen Baumgart am 34. Spieltag der Bundesliga-Saison 2021/22 sogar noch einmal von der Europa League träumen dürfen, ehe Konkurrent Union Berlin doch noch zum Sieg traf. Tabellenplatz sieben und die Qualifikation für die Playoffs der Conference League war für den FC aber viel mehr als nur ein Trost - nämlich der verdiente Lohn für eine überragende Saison.

Stimmen zum Spiel

Mark Uth: Maximal unglücklich für uns, die Hoffnung war immer da und wir haben auf das zweite Tor gedrückt. Dann kommt in der 90. Minute wieder ein Standard-Gegentor. Das ist echt blöd für uns, aber wir haben eine überragende Saison gespielt. Wir können stolz auf diese Saison sein. Nach der letzten Saison war es wichtig, dass wir Steffens Fußball so umgesetzt haben. Wir sind dankbar für die Arbeit des Trainerteams. Er hat uns einfach gesagt wir sind stark genug. Wir arbeiten hart in der Vorbereitung und dann setzen wir es um. Davor ziehe ich meinen Hut.

Marvin Schwäbe: Wir haben alles nach vorne geworfen und waren kurz davor, die Europa League sicher zu machen. Dann kommt das Gegentor auf der anderen Seite. Ärgerlich für uns. Keine Ahnung, ob das das Spiel meines Lebens war. Am Ende haben wir verloren, das ärgert mich. Ich kann aber sicher stolz auf meine Leistung sein. Ich hatte ein gutes Gefühl heute. In der ersten Halbzeit haben wir nicht gezeigt, was wir wollten, in der zweiten schon mehr. Für uns ist diese Saison nach dem Jahr davor definitiv ein Riesenerfolg. Wir spielen wieder international.

Alexander Wehrle (VfB-Vorstandsvorsitzender): Danke für die sensationelle Unterstützung unserer Fans. Jetzt lasst uns feiern.

Die Atmosphäre in der ausverkauften Mercedes-Benz Arena war schon vor Spielbeginn gigantisch. Die VfB-Fans in der Canstatter Kurve feierten erst die Stuttgarter Meistermannschaft von 1992 um Guido Buchwald ab und empfingen dann das aktuelle Team mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Auf der anderen Seite tauchten mehr als 7000 FC-Fans den Gästeblock in dunkles Rot. Steffen Baumgart passte seine Arbeitskleidung an und wählte erstmals in dieser Saison ein rotes Poloshirt. Die Kölner Anhänger hatten auch für alle Stadionbesucher etwas – wenn auch sehr Unangenehmes - mitgebracht. Die rot-weißen Rauchschwaden, die die gezündeten Bengalos produzierten, reizten jedenfalls alle Sinne.

Das Feuer auf dem Platz entfachten allerdings zunächst nur die Hausherren. Der FC hatte zwar permanent den Ball (73 Prozent in Hälfte eins) und kombinierte recht gefällig, in Strafraumnähe verzettelten sich die Kölner aber regelmäßig. Es mag daran gelegen haben, dass Europa League-Konkurrent Union Berlin schon früh 2:0 gegen den VfL Bochum führte und uneinholbar für die Geißböcke blieb. Die Stuttgarter vergeudeten keine Zeit, um das Ergebnis auf die Anzeigetafel zu bringen und ihren Gegner zu beeinflussen. Es wirkte, denn erst in der 45. Minute prüfte Anthony Modeste nach einem Pass von Salih Özcan VfB-Keeper Florian Müller zum ersten Mal ernsthaft.

Marvin Schwäbe überzeugendster Spieler

Zu diesem Zeitpunkt hätte Stuttgart schon hoch führen müssen. Nach einem ersten Versuch von Borna Sosa (7.) leistete sich der indisponierte Luca Kilian seinen ersten Aussetzer. Der FC-Innenverteidiger ließ erst den Ball zweimal im eigenen Strafraum springen und zog dann den wuseligen Tiago Tomas zu Boden. Den ersten Elfmeter gegen die Kölner in dieser Saison trat VfB-Torjäger Sasa Kalajdzic zwar hart, aber nicht gut genug für Marvin Schwäbe. Der Kölner Torwart riss seine linke Faust hoch und wehrte spektakulär ab (12.).

Schwäbe war überhaupt allerbester Akteur seiner Farben und wohl auch auf dem Platz. Ob gegen die Fernschüsse von Orel Mangala (16.) und Kalajdzic (21.) oder im Eins-gegen-Eins mit Konstantinos Mavropanos (35.) und Tiago Tomas (45.+2) – der 27-Jährige hielt überragend und sein Team im Spiel. Er hatte auch das Glück des Tüchtigen. Wataru Endo drosch den Ball erst aus fünf Metern frei stehend über den Kasten (32.) und drei Minuten später wieder ungestört an den Querbalken.

Trotz Schwäbe lag das Baumgart-Team zur Pause aber zurück. Kalajdzic bügelte seinen verschossen Strafstoß schon Sekunden später wieder aus und köpfte eine Ecke des Ex-Kölners Chris Führich aus sechs Metern zum 1:0 ein (12.). Ein Treffer, der eine Überprüfung durch Videoassistent Günter Perl verdient gehabt hatte.

Gelbe Karte für Steffen Baumgart

Der zwei Meter lange Österreicher hatte gegen den zehn Zentimeter kleineren Timo Hübers nicht nur Größenvorteile, sondern verschaffte sich mit dem Arm im Gesicht des FC-Innenverteidigers auch noch unfair mehr Raum. Die Proteste der Kölner blieben aber erfolglos. Nachdem Schiedsrichter Robert Schröder ein paar weitere zweifelhafte Entscheidungen getroffen hatte, holte sich der tobende Steffen Baumgart die Gelbe Karte ab (28.) und beruhigte sich.

Zur Pause erfuhren auch die letzten Unwissenden, wie es auf den anderen relevanten Plätzen stand. Union führte weiter 2:0 gegen Bochum und Dortmund lag zu Hause 0:1 gegen den VfB-Konkurrenten Hertha BSC zurück. Die nötige Schützenhilfe war bis dahin in beiden Stadien ausgeblieben. Die Blitztabelle wies zur Halbzeit für den FC also weiter die Playoffs der Conference League aus und für Stuttgart den Relegationsplatz.

Die Dinge sollten sich zuspitzen. Als der Ex-Kölner Simon Zoller in der Alten Försterei zum 1:2 traf (55.) waren die Geißböcke wieder im Geschäft und brauchten neben einem eigenen Sieg nur noch ein weiteres Bochumer Tor. Anthony Modeste nutzte prompt einen kapitalen Fangfehler von VfB-Torwart Florian Müller zu seinem 20. Saisontor m 1:1 aus (59.). Jetzt fehlte auch der Baumgart-Elf nur noch ein Tor. Dann glich auch noch Dortmund gegen die Hertha aus und alles war wieder möglich (68.).

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Dramatik nahm weiter zu, denn die Bochumer zeigten Willen und glichen in Berlin zum 2:2 aus (78.). Jetzt brauchte der FC nur noch ein eigenes Tor. Baumgart reagierte sofort, wechselte mit Ondrej Duda und Tim Lemperle für Kilian sowie Uth offensiv und stellte auf Dreierkette um (79.). Zunächst musste allerdings Schwäbe noch zwei Mal sein außerordentliches Können gegen Omar Marmoush (82./83.) präsentieren.

Der FC drückte und dann wendete sich das Blatt erneut. Der BVB erzielte das 2:1 gegen die Hertha (84.) und Union ging 3:2 in Führung (88.). Nun wären die Stuttgarter bei einem Sieg gerettet. Und es geschah. In der Nachspielzeit wuchtete Endo eine Eckball-Kopfballverlängerung seines japanischen Landsmanns Hiroki Ito zum 2:1 ins Netz (90.+2). - und bei den Stuttgartern brachen alle Dämme. Aber auch der rote Kölner Block feierte noch lange nach dem Abpfiff geschlossen seinen FC und hatte nach einer sensationellen Saison und Platz sieben auch allen Grund dazu.

VfB Stuttgart: F. Müller; Mavropanos, Anton, Ito; Karazor (85. Coulibaly), Endo; Sosa, Tiago Tomas (59. Marmoush), Führich (59. Tommy/90.+8 Massimo); Kalajdzic. – 1. FC Köln: Schwäbe; Ehizibue (64. Schmitz), Kilian (78. Duda), Hübers, Hector (46. J. Horn); Özcan, Skhiri; Ljubicic, Uth (78. Lemperle), Kainz (64. Schindler); Modeste. – SR.: Schröder (Hannover). – Zuschauer: 58.453 (ausverkauft). – Tore: 1:0 Kalajdzic (12.), 1:1 Modeste (59.), 2:1 Endo (90.+2). – Gelbe Karten: Coulibaly; Baumgart, J. Horn, Schmitz, Modeste, Schwäbe.