Der 1. FC Köln befindet sich im Umbruch. Mit der Installation von drei Geschäftsführern hat sich der Fußball-Bundesligist im vergangenen Jahr auf Leitungsebene komplett neu aufgestellt. Im Gespräch mit Martin Sauerborn und Tobias Carspecken lässt Sportchef Christian Keller ein arbeitsreiches erstes Jahr am Geißbockheim Revue passieren.
Interview mit Sportchef Keller„Das Potenzial des 1. FC Köln wieder freilegen“
Herr Keller, Sie sind am 1. April ein Jahr beim 1. FC Köln tätig. Kommt es Ihnen länger vor?
Es ist tatsächlich viel passiert (schmunzelt).
Wie haben Sie den FC kennengelernt?
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Als einen Club mit extremer Strahlkraft und mit einem Standort, der mit dem Club verschmolzen ist. Die Menschen fühlen den Club mit. Wie die Leute beispielsweise beim Rosenmontagszug unseren Wagen bejubelt haben, das war sehr einprägend. Die Verbindung aus Stadt, Region und FC ist extrem ausgeprägt.
Welches Potenzial erkennen Sie?
Im FC steckt ein Riesenpotenzial. Als Verantwortliche haben wir den Auftrag, dieses Potenzial wieder Stück für Stück freizulegen. Etliches ist sehr gut beim FC. Aber wir haben auch ein paar elementare Baustellen, die wir zunächst lösen müssen, um langfristig wieder nach vorne zu kommen. Das sind allen voran unsere finanzwirtschaftliche sowie die infrastrukturelle Situation. Daran müssen wir arbeiten – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der sportlichen Wettbewerbsfähigkeit.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie den FC als „Sanierungsfall“ bezeichnet. Wie weit ist die Gesundung vorangeschritten?
Erstmal ging es ums Überleben, jetzt geht es ums Gesundwerden. Da machen wir gute Schritte. Aber wir sind noch lange nicht fertig. Je nachdem, wie gut es läuft, brauchen wir schätzungsweise noch drei bis fünf Jahre.
Was bedeutet das für die sportliche Zielsetzung?
Wir haben uns eine klare Positionierung gegeben, die wir auch weiterhin aufrechterhalten werden – die des Entwicklungsclubs. Das ist alternativlos. Wir werden vielleicht in Einzelfällen, aber sicherlich nicht in Serie die namhaften Akteure zum FC holen können, die sich der Fan womöglich wünschen würde. Klar ist: Wenn du darauf angewiesen bist, Spieler zu holen, die sich erst noch entwickeln und an das Niveau anpassen müssen, dann hast du immer mal wieder Dellen drin – so wie aktuell und im Herbst. Das ist ganz normal.
Ist der Klassenerhalt damit auf Jahre das oberste Ziel?
Wenn wir es in der Sanierungsphase schaffen, die Bundesliga stabil zu halten, haben alle einen guten Job gemacht. Trotzdem kann es wie im vergangenen Jahr eine Ausreißer-Saison nach oben geben – wenn alles passt.
Der FC hat sich zu einem neuen Weg mit drei Geschäftsführern entschieden. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Philipp Türoff und Markus Rejek?
Gut. Und kontrovers. Natürlich wurden unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Vorerfahrungen rekrutiert. Das Wichtigste ist aber, dass jeder von uns dreien komplett hinter der FC-Identität steht. Wir haben alle drei ein ähnliches Normen- und Werteprofil. Darin, wie wir den Profifußball sehen und was uns im Umgang mit Menschen wichtig ist, haben wir eine hohe Übereinstimmung. Das ist die Grundlage, um konstruktiv, aber bei Bedarf auch kontrovers zusammenzuarbeiten. Dann kann es bei einzelnen Themen in der Diskussion auch mal weit auseinander gehen. Aber am Schluss führt es sich wieder zusammen, weil alle von der gleichen Basis aus kommen. Und deshalb bin ich sehr zufrieden mit unserer Zusammenarbeit.
Die Vita der drei Geschäftsführer lässt darauf schließen, dass alle drei gerne das große Ganze sehen. Wie schwer ist es da, die einzelnen Bereiche abzustecken?
Wir haben Themenkomplexe definiert, bei denen wir gemeinsam entscheiden, beispielsweise bei der Finanzplanung. Philipp Türoff leitet den Bereich operativ. Aber keiner von uns drei könnte Geschäftsführer sein, ohne sich um die Zahlen zu kümmern. Dann gibt es Themen, bei denen der jeweilige Bereichsverantwortliche entscheidet. Wenn wir beispielsweise im Lizenzbereich über die Verpflichtung eines neuen Spielers entscheiden, stelle ich die Beweggründe meinen Kollegen vorab vor. Damit sie ein Gefühl dafür bekommen, warum die Entscheidung so getroffen wird. Meine Kollegen müssen die Entscheidung schließlich mittragen. Genauso machen es meine Kollegen in ihren Bereichen auch mit mir. Sicherlich führt die Struktur mit drei Geschäftsführern mitunter zu Diskussionen, aber das ist ja auch gut so. Denn im Idealfall entsteht aus Perspektivenvielfalt eine bessere Lösung.
Finden Sie es mutig, dass gleich drei Geschäftsführer neu eingestellt wurden?
Natürlich kann es dauern, bis sich drei Neue eingelebt haben. Keiner von uns kannte den FC von innen. Und dann stellen sich ja immer auch Fragen. Passen die Einzelnen direkt rein? Und: Wie schnell können sie loslaufen? Im Fußball muss es manchmal schnell gehen.
Eine entscheidende Frage ist auch, was eine komplette Neubesetzung der Geschäftsführung mit einer Organisation macht.
...und wenn die drei neuen Chefs dann auch noch viel verändern, ist die Unruhe vielleicht nochmal etwas größer.
Gibt es auf der Geschäftsstelle im Moment viel Unruhe?
Wir sind aufgrund der finanzwirtschaftlichen Lage dazu gezwungen, jeden Stein umzudrehen. Als Geschäftsführer lernen wir die Organisation aber auch nur dann kennen, indem wir hinter jeden Stein gucken. Nur so können wir beurteilen, ob etwas sehr gut, gut oder weniger gut ist und Mitarbeitern Hilfestellungen leisten. Die Mitarbeiter sind stark gefordert, das ist schon so. Das Tempo, in dem Veränderungen angestoßen werden, ist hoch.
Worauf müssen Sie dabei achten?
Wenn man zu viele Bälle gleichzeitig hochhält, muss man aufpassen, dass man sich nicht verjongliert. Zu viel auf einmal kann dazu führen, dass nichts zu Ende gebracht wird. Durch zu viel Veränderungsimpuls kann die Statik leiden.
Ist die Aufgabe beim FC noch größer, als Sie gedacht haben?
Ich hätte nur eingeschränkt erwartet, dass ich – obwohl mein Tätigkeitsfeld im Vergleich zu meinem vorherigen Club reduzierter ist – trotzdem rund um die Uhr arbeite (lacht). Wir nehmen viele Themen in die Hand und probieren, sie zukunftsgerecht aufzustellen. Einige Themen können dabei nicht nur delegiert werden, sie müssen auch begleitet werden. Das erfordert Zeit, viel Zeit.
Der FC ist seit fünf Spielen sieglos und schwebt wieder in Abstiegsgefahr. Wie kommt der Club da wieder raus?
Bei einer jungen Mannschaft mit vielen Spielern, die auf dem Niveau neu sind, kann es grundsätzlich immer passieren, dass so eine Delle eintritt. In Teilen ist sie selbstverschuldet, in Teilen aber auch normal. Nehmen wir das Spiel in Dortmund, wo von unserer Mannschaft nur wenige unserer Spielprinzipien umgesetzt wurden. Wir haben in Basiselementen, die unser Spiel ausmachen, nicht annähernd unser Leistungsvermögen auf den Platz gebracht. Der Hauptansatzpunkt lautet daher, im Training konsequent an den wichtigsten Spielprinzipien zu arbeiten.
Ist der Abstieg für Sie ein Thema?
Die Sinne sind geschärft. Wenn wir bei neun ausstehenden Spielen nur sechs Punkte Vorsprung haben, können wir nicht sagen, dass wir es geschafft haben. Aber: Wir haben alle Qualitäten, um jetzt wieder anfangen zu punkten.
Kommt das Derby am 2. April gegen Gladbach gerade recht?
Als 1. FC Köln können wir grundsätzlich jedes Bundesligaspiel verlieren. Wir haben aber auch das Selbstvertrauen, zu sagen, dass wir – die Bayern vielleicht mal ausgeklammert – gegen jeden Gegner gewinnen können. Diese Überzeugung muss einfach da sein. Und auch die Überzeugung, in unseren Prinzipien zu bleiben und sie konsequent umzusetzen. Unsere Spielidee funktioniert nur im Kollektiv. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um erfolgreich zu sein.
Die Mannschaft wird sich im Sommer durch auslaufende Verträge verändern. Spielt das in so einer Phase eine Rolle?
Ich glaube, dass das keine Rolle spielt. Weil alle wissen, woran sie sind. Das kann auch heißen, dass es noch Fragezeichen gibt, die wir klar kommuniziert haben. Aber jeder Spieler kann ja für sich selbst entscheiden, wie er mit einem Fragezeichen umgeht. Zudem haben wir eine integre Mannschaft. Sie macht nicht alles richtig, hat aber das Herz am richtigen Fleck. Das sind charakterlich gute Jungs, die wenig Profifußballallüren haben.
Wie groß ist die Herausforderung, vor der Sie als Sportchef in der Sommer-Transferperiode stehen?
Je nachdem, wie groß die Veränderungen ausfallen, müssen wir adäquate Lösungen finden. Bei Ellyes Skhiri ist klar, was passieren wird. Daher müssen wir uns auf der Sechs mit einem Spieler verstärken, der annähernd in der Lage ist, in seine Fußstapfen zu treten. Natürlich setzen wir weiterhin auch auf die sehr positive Entwicklung von Eric Martel. Aber man darf nicht verkennen, dass Eric 20 ist und Ellyes 27.
Heißt: Erfahrung lässt sich nicht immer nur durch Talent ersetzen?
Die Rookies sind wichtig, sie machen es auch gut. Aber ausschließlich mit ihnen geht es nicht. Klar ist: Ellyes wird eine Lücke hinterlassen, die es zu schließen geht.
Gibt es noch eine kleine Resthoffnung, dass er bleibt?
Die sehe ich nicht. Wenn der Spieler sagt, dass er in einem entscheidenden Alter seiner Karriere probieren will, den nächsten Schritt zu gehen und regelmäßig international zu spielen, dann muss man das akzeptieren. Es geht bei Ellyes nicht ums Geld. Es geht um die sportliche Perspektive.
Gibt es in der Zukunftsfrage von Kapitän Jonas Hector einen neuen Stand?
Der Stand ist unverändert. Wir werden etwas sagen, wenn es etwas zu sagen gibt. Aber es gibt im Moment nichts zu sagen.
Wie sieht es beim Ur-Kölner Timo Horn aus?
Ich möchte keine Einzelpersonalien kommentieren. Nur die, wo die Entscheidung klar ist – wie bei Ellyes.
Wie geht es Mark Uth, der wegen einer Schambeinproblematik nahezu die gesamte Saison verpasst hat?
Es ist eine komplexe Strukturverletzung, bei der der Heilungsverlauf nicht genau prognostizierbar ist. Das Wunschszenario war, dass es bei Mark im März mit einem Trainingseinstieg funktionieren kann. Mit dem Zusatz, dass es auch deutlich länger dauern kann. Das ist bei dieser Art von Verletzung so. Der Rehabilitationsprozess wird insofern noch Zeit in Anspruch nehmen.
Können Sie unter diesen Umständen für die nächste Saison seriös mit Uth planen?
Ich bin kein Arzt und muss mich auf das verlassen, was die Experten sagen. Und da ist die Aussage relativ klar: Dass diese Verletzung am Schluss komplett ausheilen und er wieder voll belastbar sein wird. Nur: Die Dauer ist offen.
Ist Uth in der Lage, nochmal eine tragende Rolle zu übernehmen?
Ein erfahrener Spieler braucht im Regelfall deutlich weniger Zeit, um nach einer Verletzung wieder auf Niveau zu kommen. Sollte Mark aber nun wirklich bis Sommer raus sein - wofür es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit gibt -, dann kann man keine Wunderdinge von ihm erwarten. Bis Mark wieder in der bestechenden Form sein wird, in der er vergangenen Sommer war, wird es Zeit brauchen. Das ist aber ganz normal. Trotzdem hat Mark Klasse und Erfahrung, die wir brauchen.
Welchen Eindruck macht Uth mental auf Sie?
Mark durchlebt ein gesundheitliches Seuchenjahr. Dennoch ist er ein Vollblutfußballer. Er ist stark genug. Er wird das hinkriegen, weil er stabil ist.
Teil zwei des Interviews mit Christian Keller erscheint in der Dienstagsausgabe.