Vor genau einem Jahr wurde der Auftritt des 1. FC Köln in der Uefa Conference League bei OGC Nizza von schweren Ausschreitungen überschattet. Ein Blick auf Ursachen, Konsequenzen und die juristische Aufarbeitung.
Ein Jahr danachWelche Lehren der 1.FC Köln aus den Nizza-Krawallen zieht
Die Versprechen der Verantwortlichen des OGC Nizza waren klar benannt vor dem Auswärtsspiel des 1. FC Köln in der Uefa Conference League am 8. September 2022. Immerhin hatte die Uefa entsprechenden Druck ausgeübt. Gitter sollten im Stadion zur Abtrennung von Fanblöcken verbaut werden. Und auch die Zahl der Ordnungskräfte sollte deutlich aufgestockt werden. Denn bis zu 8000 Anhänger des FC hatten sich auf den Weg nach Südfrankreich gemacht, das offizielle Kartenkontingent für den Gästeblock liegt bei weniger als der Hälfte.
Doch es kam anders. Der französische Erstligist hielt seine Zusagen nicht ein. Es folgte ein Abend beispielloser Gewalt, an dessen Ende 40 Personen Verletzungen erlitten, darunter neun Polizisten. Der FC dürfte aus dieser Erfahrung für sich ableiten, sich bei künftigen Europapokal-Auswärtsspielen und ungeklärter Sicherheitssituation nicht auf Zusagen des Gastgeberclubs zu verlassen und sich im Zweifel auf das ausgewiesene Kartenkontingent für den Gästeblock zu beschränken. Auch wenn der FC bestrebt ist, möglichst viele seiner Fans mit Tickets zu versorgen. Und noch eine Lehre hat man am Geißbockheim gezogen: Der FC hätte als Club trotz 30 Mitarbeitern aus der Fanbetreuung vor Ort noch mehr Präsenz zeigen können und sich im Vorfeld akribischer mit Nizzas Logistik-Konzept auseinandersetzen müssen.
Mit einer kontrollierten Anreise haben die Ereignisse am Nachmittag vor dem Spiel nichts zu tun. Der geplante FC-Fan-Marsch bleibt gleich zu Beginn an einer unangekündigten Polizeisperre hängen. Die Kölner sollen nach drei Kilometern mit Bahnen zum Stadion gebracht werden, die aber nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Einige Fans müssen anschließend die mehr als zehn Kilometer bis zur Arena laufen. Begegnungen mit Fans aus Nizza heizen die Stimmung an.
Eine ganze Reihe von Ereignissen sorgt am Stadion für zusätzlichen Unmut. Die französische Polizei setzt überzogen Tränengas ein, die Einlass-Kontrollen erweisen sich als chaotisch. Berichtet wird von Übergriffen französischer Schläger auf kleinere, friedliche FC-Fangruppen außerhalb des Stadions. Diese Attacken bringen in Summe dann wohl auch das Fass zum Überlaufen. Nach und nach machen sich in einer Art Kettenreaktion 60 bis 70 gewaltbereite Zuschauer aus dem FC-Block auf in Richtung der Kurve mit den Nizza-Anhängern. Dort kommt es zu den schweren Ausschreitungen.
Der FC und die Polizei können am Ende nicht einmal ein Drittel der Täter identifizieren. Wohl auch, weil sich die Gruppe der Gewaltbereiten im Affekt spontan zusammenfindet. Die Analyse der Gruppen-Zusammensetzung bringt nicht mehr zutage, als dass es sich um einen bunten Haufen gehandelt habe, ohne dass eine Gruppierung auffallend dominiert, also eine Richtung vorgibt. Trotzdem entsteht ein Imageschaden für den streng gegen die eigenen Anhänger vorgehenden FC – und auch für seine Ultras. Klar wird einmal mehr: Der Einfluss der Ultras auf Gewaltbereite ist begrenzt. Die Intention der Ultras ist nicht Gewalt in die Stadien zu bringen, sondern die Unterstützung des 1. FC Köln aus einer Kurve heraus, die ihr Eigenleben hat und auch braucht.
Kölner Krawallmacher bedrohen selbst eigene Fans
Für ein paar Sekunden schaut FC-Fan Michael H. (50/Name geändert) der drohenden Gewalt direkt in die Augen. Ihm gegenüber steht ein kräftiger Mann mit nacktem Oberkörper, der Kopf steckt unter einer rot-weißen Sturmhaube, durch zwei Schlitze sieht er nur die Augen. „Das war pures Testosteron. Der Blick kam aus einer völlig anderen Welt“, erinnert er sich an die bizarre Auswärtsreise vor exakt einem Jahr. Er hatte sich gewagt, den Krawallmacher zu kritisieren. „Der Mann wollte auf mich losgehen. Aber gleichzeitig stürmten Nizza-Fans den Block, das war mein Glück“, erzählt er.
Vergleichbare Krawalle hatten sich auf europäischer Fußballbühne lange nicht ereignet. Am Ende dieses Tages gehört Michael H. nicht zu den Verletzten. Er hat schon viele Auswärtsreisen erlebt, unter anderem war mit dem FC beim Europa-League-Spiel in Belgrad. „Aber solch chaotische Zustände habe ich nirgendwo erlebt. Vor dem Stadion herrschte so viel Trubel, dass die Menschen schließlich ohne Ticketkontrolle reinkamen“, sagt der Fan. Nach dem Schlusspfiff sei er noch in der Innenstadt von Nizza unterwegs gewesen und habe Kölner Fans mit blauen Augen und blutigen Nasen gesehen. „Und das waren keine Ultras, sondern normale Stadiongänger“, sagt er.
16 Strafverfahren und bislang eine Haftstrafe
Von seiner Bewertung der Ereignisse, die sich an jenem 8. September 2022 im und vor dem „Stade de Nice“ abspielen, rückt Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn auch nach einem Jahr nicht ab. „Wer mit einem Eisen-Poller auf andere einschlägt oder mit Feuerwerkskörpern schießt, der begeht schwere Kriminalität“, sagt der erfahrene Jurist. Als „Schwerkriminelle“ hatte er die Täter damals bezeichnet. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft 16 Verfahren zur Anklage gebracht. Bei sieben stehen die Verhandlungen noch aus — neben Köln auch in Brühl und Bergheim.
Bislang sitzt nur einer der beteiligten Krawallmacher im Gefängnis. Ein Hooligan (36) wird gleich im ersten Prozess in Bergisch Gladbach hinter Gitter geschickt, angeklagt ist er wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs. Ein Jahr Haft ohne Bewährung lautet das Urteil. Bei den Ausschreitungen schlägt und tritt der Mann nach Kontrahenten, auch dann noch, als sie längst auf dem Boden liegen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Am Nikolaustag steht vor dem Landgericht eine Berufungsverhandlung an.
Wenige Tage später folgt der erste Prozess in Köln. Vor einer Schöffenabteilung des Amtsgerichts sind zwei Männer aus der Ultra-Szene angeklagt — einer von ihnen sitzt bei Prozessbeginn bereits drei Monate in Untersuchungshaft. Allein das ist Strafe, verpasst der Mann hinter Gittern doch die Geburt seines ersten Kindes. Zwei Jahre Haft auf Bewährung bekommt der Mann am Ende für schweren Landfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung sowie wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz. Der Mitangeklagte kommt mit einem Jahr Haft auf Bewährung davon. Die weiteren Prozesse enden mit Bewährungsstrafen und teilweise mit Geldstrafen.