In einer Infoveranstaltung wurden in Vogelsang Aspekte um die Schließung der Notaufnahme in Schleiden beleuchtet. Es herrschen Frust und Sorge.
Klinik SchleidenVor Schließung der Notaufnahme gibt's viel Frust und keine echten Lösungen
Die Hoffnung, dass jemand ein weißes Kaninchen in Form einer Rund-um-die-Uhr-Notfallversorgung für das Schleidener Tal aus dem Hut zaubern würde, hat keiner der rund 300 Besucher, die ins Vogelsang-Kino strömen. Flagge zeigen – das ist die Intention, die viele als Motivation für ihren Besuch äußern. Flagge zeigen, dass das Schleidener Tal nicht zu den Abgehängten gehören will. Flagge zeigen, dass die Verantwortlichen sich bitteschön auf die Hinterbeine setzen und Konzepte entwickeln, wie eine gute medizinische Versorgung sichergestellt werden kann.
Das äußert sich auch in den Reaktionen: Verhaltenen, aber höflichen Applaus erhält jeder der Protagonisten, die im Rahmen der Infoveranstaltung die verschiedenen Aspekte der Misere beleuchten. Buh-Rufe, Unflätigkeiten und Beleidigungen bleiben trotz des hoch emotionalen Themas aus.
Kreiskrankenhaus Mechernich kämpft mit Finanzierung und Fachkräftemangel
Die Sorgen sind groß vor der Schließung der Notaufnahme im Schleidener Krankenhaus zum Monatsende, bei den Bürgern genauso wie bei den Bürgermeistern der am härtesten betroffenen Kommunen Schleiden und Hellenthal, Ingo Pfennings und Rudolf Westerburg. Letzterer formuliert den Wunsch nach einer vollständigen Krankenhausversorgung – und die Forderung nach einem rund um die Uhr besetzten medizinischen Standort.
Dass das kein leichtes Unterfangen wird, wird deutlich. Martin Milde, Geschäftsführer der Kreiskrankenhaus GmbH, beschreibt die Misere der Klinik-Finanzierung, die Krankenhäuser bundesweit an den Rand des Abgrunds treibt und die letztendlich zu der Schieflage in Schleiden mit einem jährlichen Defizit von drei Millionen Euro geführt hat.
Was ob des viel beschworenen Wertes der Gesundheitsversorgung logischerweise sofort die Frage aufwirft, ob die Kommunen, vielleicht auch der Kreis, nicht mal zusammenlegen und die drei Millionen lockermachen könnten? Das entlockt Milde ein eher unglückliches Lächeln. Nein, Geld alleine hilft der Klinik nicht – zu eklatant ist gleichzeitig der Personalmangel.
Neue Mitarbeiter für den Standort Schleiden zu gewinnen, sei nahezu ein Ding der Unmöglichkeit: „Wir finden kein Pflegepersonal, wir finden kein ärztliches Personal. Selbst einen Controller zu finden, ist unfassbar schwer.“ Die Not mit Kräften aus Zeitarbeitsfirmen zu lindern, sei auch keine Lösung: „Die kosten das Dreifache im Vergleich zu Festangestellten, haben keinen Bezug zum Krankenhaus. Und viele machen ihren Dienst dann mehr schlecht als recht.“
Was also tun? Milde macht keinen Hehl daraus, dass die Schließung des Standorts Schleiden die einfachste Lösung gewesen wäre – gegen die sich jedoch alle Beteiligten ebenso schnell wie deutlich ausgesprochen haben. Dass die anstehenden Einschnitte samt der „Kollateralschäden“ schlimm seien für die Region, sei ihm sehr bewusst und gefalle ihm wirklich nicht. In Totengräberstimmung mag er aber nicht verfallen: „Was passiert, wird die Notfallversorgung verschlechtern. Aber es wird keine Katastrophe.“
Der Rettungsdienst stellt sich auf mehr Einsätze ein und hat Pläne
Katastrophenalarm löst auch Landrat Markus Ramers nicht aus, macht aber seinem Frust Luft: „Die Lage ist extrem frustrierend und niederschmetternd. Uns rettet kein höheres Wesen, keine Landes- oder Bundespolitik. Wir sind auf uns alleine gestellt in finanziell schwieriger Lage.“ Er geht davon aus, dass auf sein Haus als Träger des Rettungsdienstes eine Menge zukommt, da der Notruf 112 deutlich häufiger gewählt wird.
Dessen ebenso schwierige Lage sowie vorhandene und angedachte Maßnahmen – etwa Personal aus der Freizeit in den Einsatz beordern, die Einführung eines neuen Fahrzeugkonzeptes mit dem N-KTW oder das Pilotprojekt Gemeindenotfallsanitäter, das man angehen wolle –, erklärten Geschäftsbereichsleiterin Julia Baron und Martin Fehrmann, Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr. Dass das das Problem nicht löst, verdeutlicht Ramers: „Ich mache keine Versprechen: Alle Maßnahmen des Rettungsdienstes können den Wegfall der Notaufnahme nicht kompensieren.“
Viele niedergelassene Ärzte gehen in Rente und haben oft keine Nachfolger
Das kann auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) mit ihren 330 Vertragsärzten im Kreis nicht. Kreisvorsitzender Frank Gummelt stellte die Sicherstellung der ambulanten Versorgung als wichtigste Aufgabe der KV heraus. Aber: Eitel Sonnenschein herrscht auch dort nicht. Der Fachkräftemangel und der Wandel der Arbeitswelt, etwa mit Präferenzen zur Teilzeitarbeit und zum Angestelltenverhältnis anstelle einer eigenen Praxis, stellt auch die niedergelassenen Ärzte vor enorme Probleme. Ein Gravierendes klopft bereits deutlich an die Tür: eine drohende Unterversorgung im Bereich der Hausärzte durch Arztsitze, die sich nicht nachbesetzen lassen.
Als „eigentlich gut“ bezeichnet Gummelt die Versorgung, die im Kreis derzeit bei 102,4 Prozent liege. Das drohende Unheil zeigt er anhand der Altersstruktur: Das Durchschnittsalter der Hausärzte im Kreis liegt bei 54,2 Jahren, im Mittelbereich Schleiden, der weitgehend den Südkreis umfasst, bei 56,3 Jahren. 30,2 Prozent der Ärzte sind dort älter als 60 Jahre, 11,6 Prozent gar älter als 70. „Wir sind dankbar, dass sie da sind, obwohl sie im Rentenalter sind“, sagt Gummelt. Und dann? „Kollegen finden keine Nachfolge und schließen die Praxis. Deren Patienten treffen dann auf eine Region, die bereits an der Leistungsgrenze ist.“
Wie schwierig die Nachbesetzung eines Arztsitzes sein kann, zeige sich seit Jahren am Beispiel Dahlem. Die Gemeinde ist als einzige im Kreis Euskirchen im seit 2018 bestehenden Strukturfonds der KV Nordrhein zur zielgerichteten Niederlassungsförderung. Etwas mehr als 500.000 Euro erhielte ein Arzt, der sich dort niederlassen würde – geholfen hat dieses „Lockmittel“ bislang nicht.
116117: Die Arztbereitschaft ist oft richtiger als der Notruf
Werbung macht Gummelt für den ärztlichen Bereitschaftsdienst, der unter der Telefonnummer 116117 erreichbar ist. Die bis vor etwa einem Jahr bestehenden Probleme, dass die Patienten da zehn Minuten gehangen und vielfach aus Frust doch den Notruf 112 gewählt haben, seien beseitigt. Die Nummer laufe nun nicht mehr in Duisburg, sondern in Köln auf – und in 97 Prozent der Fälle werden die Anrufe laut Gummelt binnen zwei Minuten beantwortet.
Ein Arzt schätze dann ein, was zu tun sei – jedoch habe der keine Verpflichtung, zum Patienten zu fahren. In dem Zusammenhang appelliert Gummelt an die Menschen: „Denken Sie nach, wann ein Arzt sein muss. Wer seit drei Wochen Rückenschmerzen und jetzt gerade Zeit hat, hat in einem Notdienst nichts zu suchen.“
AOK-Regionaldirektor skizziert ein Gesundheitszentrum für Schleiden
Die Krankenhäuser haben Probleme, der Rettungsdienst hat Probleme, die KV hat Probleme. Haben die Krankenkassen eine Lösung? Das weiße Kaninchen hat auch AOK-Regionaldirektor Helmut Schneider nicht im Hut – aber eine sehr konkrete Idee für Schleiden, die er in Vogelsang skizzierte. Dort könnte demnach ein Gesundheitszentrum etabliert werden, das eine „Rundum-Basisversorgung“ bietet – das aber auch nur zu den normalen (Tages-)Zeiten arbeitet und nicht die gewünschte Rund-um-die-Uhr-Versorgung bietet.
Dort würden Ärzte etabliert, zuvorderst Haus-, aber auch Fachärzte wie Orthopäden oder Augenärzte. Dazu kämen beispielsweise Physiotherapeuten, Psychotherapeuten und Logopäden. Und eine Kurzzeitpflege, woran ebenfalls ein enormer Mangel herrscht. Dazu würde sich eine „nichtärztliche Delegation“ gesellen, zu der etwa Nichtärztliche Praxisassistenten (NäPA) oder Physician Assistants (Arztassistenten) zählen. Letzteres setzt ein dreijähriges Studium voraus – und ist ein recht neuer Beruf, in dem noch nicht viele ausgebildete Kräfte auf dem Markt sind. Zusammengefasst würde all dies in einer Managementgesellschaft, die sich wiederum um Organisatorisches wie Abrechnungen, Personalwesen oder IT kümmert.
Doch auch das will alles organisiert und vor allem bezahlt werden. Hier nimmt Schneider gleich mal die Kommunen in die Pflicht: „Die müssten dann auch Geld zuschießen.“ In Form eines Zweckverbands könnte das etabliert werden.
Offen ist, ob die Kommunen hierfür ein neues und mit einer extrem kurzen Antragsfrist versehenes Programm des Landes in Anspruch nehmen wollen, das über drei Jahre eine zu 80 Prozent förderfähige Summe von 250.000 Euro jährlich vorsieht, das aber nur an zwei Projekte vergeben wird. Die Bürgermeister, durchaus erfahren mit derartigen Programmen, sind nicht direkt freudestrahlend losgaloppiert. Sie verweisen darauf, dass man das Gewünschte in Form von Landes- oder Bundesmitteln zuweilen auch auf anderen Wegen erhalten könne.
Die Bürger bringen in Vogelsang ihre Sorgen zum Ausdruck
Zur Generalabrechnung kam es in Vogelsang nicht. In ruhigem, sachlichem Ton wurden einige Punkte erörtert, eine Lanze für die Pflege gebrochen und Besorgnis geäußert.
„Wir sind hier gefährdet, weil Standards nicht eingehalten werden. Ich hoffe, Sie können gut schlafen, Herr Ramers. Das ist die Gefährdung von Menschen. Die Alternative ist: Wir ziehen weg“, sagte etwa ein Besucher. Insgesamt sieht Mitveranstalter Rudolf Westerburg das Ziel des Abends erreicht: „Bei allem Unverständnis Verständnis schaffen.“
„Kein Marmagen 2.0“
Dass das Krankenhaus Schleiden auf kurz oder lang ganz geschlossen wird und dort eine Geflüchtetenunterkunft eingerichtet wird, wird immer wieder in Sozialen Medien als Szenario kolportiert. Dem tritt Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings entschieden entgegen: „Es wird in Schleiden kein Marmagen 2.0 geben.“
In der Stadt gebe es mit der Landesunterkunft in Vogelsang und der städtischen im einstigen Mobau bereits zwei Einrichtungen – und eine weitere werde nicht hinzukommen.