Wien – Chris Hemsworth wirbelte mächtig Staub auf in Wien: „mit Schießereien, Explosionen, Helikopterabstürzen auf der Donauplatte”, sagt Marijana Stoisits über den Dreh zu der Netflix-Produktion „Extraction 2”, für die der Hollywoodstar im Februar in der österreichischen Hauptstadt drehte.
Stoisits ist Geschäftsführerin der Vienna Film Commission, die als Anlaufstelle für geplante Dreharbeiten in Österreichs Hauptstadt fungiert. Fragt man sie nach ihren Lieblingsfilmen, die in Wien gedreht wurden, fallen Stoisits zuerst die deutschsprachigen Dramen „Nordrand” (1999) und „Der Räuber” (2010) ein.
Doch sie hat auch nichts gegen Actionstreifen wie „Mission: Impossible - Rogue Nation” (2015). Hier turnte Tom Cruise über das Operndach, und in der Nähe flog ein Auto in die Luft. „Die zwanzig Minuten, die in Wien spielen, sind gut gemacht”, sagt sie über die Hollywood-Produktion und erinnert sich an den Aufwand für den Dreh: Etwa, dass dafür im Urlaubsmonat August „der Ring vor der Staatsoper fünf Nächte lang gesperrt” worden war.
Einzig die „Sissi”-Schnulzen aus den Fünfzigerjahren treffen nicht den Geschmack von Stoisits. „Die habe ich als Jugendliche gesehen, heute nicht mehr. Da weiß ich Besseres anzufangen mit meiner Zeit”, sagt sie und schmunzelt.
Keine Frage, Österreichs Hauptstadt ist so oder so großes Kino. Doch es lohnt sich, die Stadt einmal auf filmischen Spuren zu erkunden.
Die Stadt in einer Hauptrolle
Wien darf für sich in Anspruch nehmen, dass hier zwei der besten Filme aller Zeiten entstanden. In denen spielte die Stadt überdies eine Hauptrolle. Die Rede ist von den Klassikern „Der dritte Mann” (1949) und „Before Sunrise” (1995).
Im „dritten Mann” reist US-Schriftsteller Holly Martins (gespielt von Joseph Cotten) in das von den Alliierten geteilte Wien der Nachkriegszeit und erfährt, dass sein Freund Harry Lime (Orson Welles) bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Doch Lime hat den Tod nur vorgetäuscht und agiert als Krimineller, der gestrecktes Penizillin verkauft. Martins sucht nach Lime, kooperiert für die geplante Festnahme mit einem Major (Trevor Howard) und verliebt sich in Limes Freundin (Alida Valli), die ihn abblitzen lässt.
Der Erfolg basierte nicht nur auf der Story des zugrunde liegenden Romans von Graham Greene. Authentisch waren die Kulissen der zerbombten Stadt. Die Schwarz-Weiß-Bilder, die Kameraführung und die Licht-Schatten-Spiele verstärkten die Effekte, unterlegt mit der Zithermusik von Anton Karas.
Bis heute nachvollziehbar sind die Schauplätze: der Prater, wo sich Lime und Martins zu einer Fahrt im Riesenrad trafen, der Zentralfriedhof, der Josefsplatz mit dem Wohnhaus von Lime und die Abwasserkanäle, wo es nach einer Verfolgungsjagd zum Showdown kam.
Ein Museum zum dritten Mann
, wo die Eigentümer Gerhard Strassgschwandtner und Karin Höfler wahre Schätze zusammengetragen haben. „Alles Originale”, sagt Strassgschwandtner, der den Film „dreizehn-, vierzehnmal” gesehen habe.
Prunkstücke sind die Zither von Karas, Kameras und das Skript von Major-Darsteller Trevor Howard mit persönlichen Notizen. „Es war nicht nur ein guter Thriller, sondern ein sehr politischer Film, in dem viel Information zu Geschichte und Zeitgeschichte steckt”, sagt Strassgschwandtner. Das vertiefen die Museumssektionen zur Wiener Nachkriegszeit mit Hunger, Schwarzmarkt, Wiederaufbau.
läuft „Der dritte Mann” zweimal wöchentlich in der Originalversion. Spätestens nach dem Abspann gibt man Kinobesitzer Kurt Schramek recht, wenn er sagt: „Wer den Film nur in der deutsch synchronisierten Fassung gesehen hat, hat ihn nicht wirklich gesehen.”
Selbst Kennern gibt die lange Schlussszene, bei der Alida Valli über eine Allee des Zentralfriedhofs geht und den wartenden Joseph Cotten ignoriert, Zeit zur Neubetrachtung cineastischer Freiheit: Überall fallen Blätter herab, aber an den Bäumen hängen keine.
Und wer dank Museumsmann Strassgschwandtner weiß, dass die Finger, die der tödlich verwundete Harry Lime durch die Attrappe eines Kanaldeckels zur Straße hinausstreckt, nicht die von Orson Welles sind, sondern die von Regisseur Carol Reed, wird ebenso darauf achten.
Der Wien-Werbespot im Kino
„Ein Film wie ein Wien-Werbespot”, heißt es im Buch „Drehort Wien” über „Before Sunrise”. Gefühlvoll verstand es Regisseur Richard Linklater, die Stadt über das Miteinander der Französin Celine (Julie Delpy) und des Amerikaners Jesse (Ethan Hawke) in Szene zu setzen. Die jungen Leute lernen sich im Zug kennen, steigen zusammen in Wien aus und gehen bis zur Abreise am nächsten Morgen auf Entdeckungstour.
etwa wählen sie einen Tisch abseits der Fensterfront. Hier kehrten im Psychodrama „Eine dunkle Begierde” (2011) auch der von Viggo Mortensen gespielte Sigmund Freud und der von Michael Fassbender gespielte Carl Jung ein.
nieder. Der leise, romantische Film war ein Welterfolg. „So einfach kann Kino sein, wenn man den richtigen Hintergrund hat”, lautet das treffende Urteil im Buch „Drehort Wien”.
Ein Wiener und seine kleinen Blockbuster-Rollen
In „Before Sunrise” hatte der Wiener Hanno Pöschl, 72, eine Nebenrolle. Zu Filmbeginn streitet er sich lautstark mit seiner Frau im Zug, was Celine veranlasst, den Platz zu wechseln und mit Jesse ins Gespräch zu kommen - die Initialzündung der Lovestory.
Pöschl denkt gerne daran zurück, dass er für den Film doppelt kassierte: zum einen die Gage und zum anderen eine Motivgebühr für sein „Kleines Café”, vor dem das frisch geborene Liebespaar sitzt und von einer Wahrsagerin aufgesucht wird. Pöschl war bereits damals Besitzer des Lokals am Franziskanerplatz, in dem man ihn seither gelegentlich antrifft.
Den lukrativsten Arbeitstag seines Lebens hatte Pöschl aber bei einem Gastauftritt im James-Bond-Film „Der Hauch des Todes” (1987). Er spielte den Mann, der am Riesenrad im Prater „die Türe der Gondel auf- und zumacht”, so Pöschl. Im Film hatte er einen einzigen Satz zu sagen: ob der Geheimagent Bond, gespielt von Timothy Dalton, eine weitere Runde fahren wolle. Fünf Worte auf Englisch. Den Lohn dafür empfand Pöschl als „obszön”. Wie viel genau er bekam, verrät er nicht.
Halb nackt auf der Straße
Komplett stumm blieb Pöschl als russischer Agent an der Seite von Clint Eastwood, der im Kalten-Krieg-Thriller „Firefox” (1982) gleichzeitig Regie führte. Im Gegensatz zu Produktionen in seiner Heimat erlebte der wunderbar schräge Pöschl unter Eastwood eine Luxusbehandlung: „Da hatte ich meinen eigenen Wohnwagen.”
Dagegen musste er sich bei „Exit ... nur keine Panik” (1980) mitten auf der Straße umziehen, als Sichtschutz nur umschlungen vom Handtuch einer Garderobiere, erzählt Pöschl. „Außerdem trug ich damals keine Unterhose, das war eine Marotte.”
Tragende Rollen hatte Pöschl als Bordellbesitzer Konecny im Wien-Film „Revanche” (2008), der für den Auslandsoscar nominiert war, und in „Geschichten aus dem Wienerwald” (1979) unter der Regie von Oscarpreisträger Maximilian Schell.
Spitz und vielsagend blickt er zurück: „Dieses Stück hat so eine Kraft, dass es nicht einmal Schell ruinieren konnte.” Mittlerweile hat sich Pöschl aus dem Schauspielgeschäft zurückgezogen. „Ich mag es nicht mehr”, sagt er lapidar.
Das Sacher und Jack Ryan
Wien und der Film - das ist eine Begegnung auf Schritt und Tritt, auch bei Fremdenführerin Gerti Schmidt. Besuchern muss sie bei ihren Touren immer zeigen, wo Tom Cruise an der Oper herumkraxelte. Sie war schon mit Location-Scouts aus Bollywood unterwegs. „Ich liebe Filme, in denen die Stadt vorkommt”, sagt Schmidt.
begrüßt sie den Portier und ruft den TV-Zweiteiler „Das Sacher” (2016) ins Gedächtnis.
Auf dem Stephansplatz weiß sie, wo 2021 Szenen der dritten Staffel der Actionserie „Jack Ryan” gedreht wurden. Vor dem Rathaus erklärt sie, dass die Fassade für „Die Frau in Gold” (2015) mit Hakenkreuzfahnen beflaggt war. „Auch wenn man wusste, dass es nicht echt war, fand ich das irgendwie bedrückend.”
Schwenk in die Moderne
Wien als Drehort ist auf der Kinoleinwand nicht immer Wien. Bei James Bond wurde hier gedreht, aber der dargestellte Ort in „Der Hauch des Todes” sollte Bratislava sein. Gleiches gilt für den Eastwood-Streifen „Firefox”, wo die in Wien gedrehten Szenen in Moskau spielen. Der in Frankreich spielende Film „Die drei Musketiere” (1993) wurde an verschiedenen Orten in Österreich - darunter auch Wien - gedreht.
ein Rundgang zu Stationen mit Requisiten, die auf der Leinwand zu sehen waren. Passend dazu gibt es Film-Einspieler, doch der „Sissi”-Stoff wirkt ein wenig angestaubt.
Umso angetaner war Filmexpertin Marijana Stoisits vom Netflix-Actionkracher mit Chris Hemsworth: „Da stand endlich mal nicht die klassische, imperiale Architektur im Fokus, sondern das moderne Wien.”