„Wir schaffen das“Flüchtlinge erzählen, wie sie in der Region Tritt gefasst haben
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„Wir schaffen das“. Fünf Jahre nach Angela Merkels bekanntestem Zitat haben wir nachgefragt in Köln, Bonn und den Landkreisen.
Wie viele Flüchtlinge sind gekommen, wie viele leben heute hier?
Wir haben mit Flüchtlingen gesprochen, die ihr Schicksal in die Hand genommen haben und mit Menschen, die ihnen halfen.
„Hier ist meine Heimat, Waldbröl ist meine Heimat“, sagt Farid Haji (28) mit Überzeugung. Der junge Mann stammt aus der Stadt Dohuk im Norden des Irak. „Wir sind am 12. November 2015 in der Stadt angekommen. Meine Frau, meine drei Kinder – vier, sechs und neun Jahre alt – sind von Anfang an sehr herzlich aufgenommen worden. Ich habe schnell Deutsch gelernt, eine Ausbildung gemacht und arbeite seit 1. August in einem neu eröffneten Friseursalon in Waldbröl – es ist mein zweiter Job, ich habe ein tolles Angebot bekommen. Schon im Irak habe ich als Friseur gearbeitet. In Deutschland hat alles ohne Probleme geklappt. Wir sind glücklich – meine Kinder können ohne Gefahr draußen spielen und zur Schule gehen. Sie lernen fleißig und ich weiß, dass sie hier eine Zukunft haben. Im Irak hätte es keine Zukunft für sie gegeben.“
Für die Behörden war und ist die bürokratische Bewältigung der Flüchtlingskrise alles andere als leicht, wie Birgit Hähn, Ordnungsdezernentin des Oberbergischen Kreises wohl stellvertretend für alle Kommunen feststellt. „Das haben wir nur durch einen enormen Kraftakt aller beteiligten Abteilungen, so kann man es sagen, geschafft“. (höh)
Von Damaskus nach Deutschland
Anuar Abo Harb (21) kam im Herbst 2015 mit ihrer Mutter und drei Geschwistern von Damaskus nach Deutschland, wo der Vater schon ein Jahr lebte. Heute macht sie eine Ausbildung zur Arzthelferin in einer kardiologischen Praxis.
„Wir sind bei Nacht geflohen, weil wir nicht mehr in Syrien leben konnten. Erst in den Libanon und dann in die Türkei, danach mit dem Boot nach Griechenland. Am Anfang war es sehr schwer, ich fühlte, dass ich fremd bin in Deutschland. Jetzt läuft alles sehr gut: Ich habe eine Ausbildung gefunden, habe Kollegen in der Praxis, die mich sehr unterstützen. Bis jetzt habe ich dort auch niemanden erlebt, der mich fragt: Warum trägst Du ein Kopftuch, warum bist Du hier? Schwierig ist mein begrenzter Aufenthalt: Ich mache eine Ausbildung, mache meinen Führerschein. Aber ich weiß nicht, ob ich in Deutschland bleiben kann. Das ist echt schwer, man denkt viel daran.“ (dk)
Bomben und Morde in der Heimat
Nadir Haidari kam mit seinen zwei Söhnen Javad und Sajad kam 2015 nach Deutschland. In seiner Heimat musste er immer wieder nach Bombenanschlägen und Morden durch die Taliban den Wohnort wechseln, floh zweimal in den Iran und schaffte es schließlich mit den Kindern zu Fuß und mit dem Bus in die Türkei.
Das Schlauchboot nach Griechenland wäre beinah gesunken - „Wir haben mit unseren Mützen geschöpft, um nicht unterzugehen!“, schließlich ging es quer durch den Balkan bis nach München. Auf der Reise waren sogar die Kinder von Polizisten mit Knüppeln geschlagen worden. Die Freundlichkeit in Deutschland tat gut. Endlich gab es neue Kleidung, warmes Essen und Sicherheit. Die Kinder, damals 9 und 12 Jahre alt, durften in die Schule. Über Kontakte in der Grundschule fand er bald eine Wohnung in Bornheim.
Wie sich Flüchtlinge in der Region verteilen
Köln
13 613 Flüchtlinge lebten auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle im August 2016 in Köln. Die meisten kamen aus den Balkanstaaten und aus Syrien, dem Irak und Iran in die Domstadt. Zuletzt lebten noch 6732 Flüchtlinge in Köln, die meisten von ihnen inzwischen in Wohnungen (2473), nachdem im Juli 2016 noch 4185 Flüchtlinge in Turnhallen untergebracht waren. Nun verteilen sich die Menschen auf die 17 Wohnheimen (976),acht mobile Wohneinheiten (1009), 14 Systembauten (1483), sowie Hotels und ähnliches (628), sowie zwei Notunterkünfte (163).
Bonn
6000 Asylbewerber sind der Stadt Bonn seit 2015 zugewiesen worden. Aktuell leben in der Bundesstadt mehr als 8000 Menschen mit Fluchthintergrund. Manche stehen noch am Anfang des Asylverfahrens, andere haben bereits eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis . 1404 Geflüchtete leben in städtischen Unterkünften.
Rhein-Erft-Kreis
Wie viele Flüchtlinge seit September 2015 in den Rhein-Erft-Kreis eingereist sind, kann die Verwaltung nicht genau beantworten. 1904 Personen sind namentlich bekannt, sie seien auch bis heute dort wohnhaft. Zu ihrer Unterbringung wurde unter anderem in Frechen ein großes Containerdorf mit dem Namen „Wohnen am Mühlenbach“ im Oktober 2016 nach nur sechs Monaten Bauzeit für 4,7 Millionen Euro schlüsselfertig übergeben. 72 Wohneinheiten für maximal 432 Bewohner. So viele Menschen haben dort aber nie gelebt. Im Dezember 2016 zogen die ersten 53 Bewohner ein. Heute leben dort 156 Menschen.
Rhein-Sieg-Kreis
7411 Menschen suchten seit Oktober 2015 im Rhein-Sieg-Kreis Asyl. Zum Stichtag 26. August lebten 9404 Flüchtlinge im Kreisgebiet – mit höchst unterschiedlichem Aufenthaltsstatus: Als Asylberechtigte sind 511 Menschen anerkannt, 4235 erhielten den Flüchtlingsstatus. Subsidiären Schutz bekamen 1896 Personen, Aussicht auf Asyl oder Flüchtlingsstatus haben diese Menschen nicht. Nur geduldet leben schließlich 1254 Menschen im Kreis: Sie wurden zur Ausreise aufgefordert, ihre Abschiebung wird aber nicht forciert.
Die Flüchtlinge wurden in Turnhallen, sowie angemieteten Hotels und Wohnhäusern untergebracht. Mancherorts entstanden Containerbauten. In der Zentralen Unterbringungseinrichtung des Landes in Sankt Augustin, der ehemaligen Medienzentrale der Bundeswehr, sind es aktuell etwa 500 Menschen.
Oberberg
4190 Flüchtlinge wurden dem Oberbergischen Kreis durch die Bezirksregierung Arnsberg zugewiesen. Zurzeit leben im Kreisgebiet etwa 3150 Menschen, denen ein Schutzstatus und damit ein Aufenthaltstitel erteilt worden ist. Rund 900 Menschen befinden sich in einem Asylverfahren, etwa 710 Personen haben den Status einer Duldung.
Die zu Beginn der Flüchtlingskrise eingerichteten Notunterkünfte in Engelskirchen, Wiehl, Nümbrecht und Marienheide werden nicht mehr als solche genutzt. Die Städte und Gemeinden unterhalten weiterhin Wohnheime, die aber nicht mehr ausgelastet sind. Die meisten der von den Kommunen angemieteten Wohnungen sind inzwischen aufgegeben worden.
Rhein-Berg
4895 Flüchtlinge sind seit 2015 im Rheinisch-Bergischen Kreis angekommen. 1707 Menschen wurden seit 2015 der Kreisstadt Bergisch Gladbach zugewiesen. Drei der großen Sammelunterkünfte in der Stadt sind aufgelöst. Zuletzt wurde im Juni das Containerdorf im Stadtteil Lückerath aufgegeben. Heute leben noch insgesamt 167 Geflüchtete in zwei städtischen Unterkünften.
Kreis Euskirchen
3748 Asylbewerber wurden den Kommunen im Kreis Euskirchen seit September 2015 zugewiesen, darunter 1487 mit Schutzstatus. Untergebracht wurden sie in eigenen und angemieteten Wohnungen, ebenso in leerstehenden Schulgebäuden und Bahnhöfen: Familien zusammen, Alleinreisende zu mehreren Personen in Wohnungen oder Zimmern.
Mittlerweile besuchen die Söhne ein Berufskolleg in Bonn und die Europaschule in Bornheim. Dass die Kinder in Frieden lernen können, das gehört für Vater Haidari zum Besten im neuen Leben in Deutschland. Es war für ihn nicht einfach, mit den zunächst nur wenigen Brocken Deutsch Arbeit zu finden. Der 55-Jährige hat einen Vollzeit-Job als Landarbeiter in einem Bornheimer Biobetrieb und ist sehr zufrieden. Was ihn erstaunt in Deutschland: Das viele Papier, mit dem man sich anmelden muss, wenn man arbeiten will. Sein älterer Sohn Javad hat sich schon ehrenamtlich engagiert: Wochenlang hat er während des Lockdowns, als keine Schule war, für die Lebensmitteltafel Tüten gefüllt und Bedürftigen ins Haus gebracht. (Bir)
Flucht vor den Taliban
Nosratullah Gholami floh ebenfalls vor den Taliban. Der 28-jährige Afghane gehört zur Minderheit der Hazara, die unter den religiösen Fanatikern in Afghanistan leiden. „Ich fühlte mich nicht mehr als Mensch dort“, erzählt Gholami. Nachdem sie seinen Bruder entführt hatten, entschloss er sich, sein Heimatland zu verlassen, um irgendwann hoffentlich seine Frau und sein kleines Kind nachzuholen. Im Sommer 2015 floh er über den Iran, die Türkei, Griechenland, die Balkanroute nach Deutschland.
Am Anfang war er auf sich allein gestellt. Es war eine sehr harte Zeit. Er vermisst seine Familie sehr. In Köln hat er nette Menschen getroffen. „Ich fühle mich das erste Mal wie ein respektierter Mensch“, sagt der 28-Jährige. Auch wenn die Ungewissheit wegen seines seit vier Jahren laufenden Asylverfahrens immer da ist, geht es ihm heute recht gut. In der Abendrealschule will er bald seinen Abschluss machen und dann am liebsten Rettungssanitäter werden, um anderen zu helfen, wie er sagt. Aktuell macht Gholami seinen Führerschein. (dhi)
Von der Familie auf der Flucht getrennt
Jamshid Samandari, 26, aus Afghanistan kam 2015 ganz allein nach Deutschland: „Auf der Flucht bin ich in der Türkei von meiner Familie getrennt worden. Meine Eltern und meine drei Geschwister sind mit einem Schlauchboot in der Ägäis gekentert. Dabei ist der Sohn meines Bruders ertrunken. Meine Familie ist noch in der Türkei. Ich wohne seit fünf Jahren in Bergisch Gladbach und lebe immer noch in einer Gemeinschaftsunterkunft.
Zurzeit arbeite ich für ein Bauunternehmen, und ich hoffe auf meinen ersten festen Job. Irgendwie komme ich klar. Nur mit einem nicht, dass ich nicht mit meiner Familie zusammen sein kann.“
„Wir haben es ganz gut geschafft. Sogar besser als gedacht“, sagt Ingeborg Schmidt, Vorsitzende des Deutschen Roten Kreuz Rhein-Berg. Dies treffe insbesondere auf diejenigen Flüchtlinge zu, die mit guten Bildungsstandards hier angekommen und geblieben seien. Viele engagierten sich inzwischen selbst bei ehrenamtlichen Initiativen, berichtet Schmidt: „Sie wollen etwas zurückgeben, was sie bekommen haben.“ Flüchtlinge, die Begleiter haben, hätten es leichter, Fuß zu fassen. Auch mit guten Deutschkenntnissen sei es schwer, die oft ellenlangen Formulare des Jobcenters alleine auszufüllen, kritisiert Schmidt. (ub)