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Infografik

Infrastruktur NRW-Verkehr
So steht es um die Brücken im Rheinland

Lesezeit 6 Minuten
"Tausendfüßler" der A565 in Bonn.

Der sogenannte "Tausendfüßler" der A565 in Bonn muss in Teilen neu errichtet werden.

Tausende Brücken auf den Autobahnen und Eisenbahnstrecken müssen saniert, erneuert oder neu gebaut werden. Die Gründe für die zahlreichen Baumaßnahmen an den Brückenanlagen in NRW sind vielfältig.

Anfang Februar gab es eine positive Meldung für die Rheinlandregion: Das erste Teilstück der neuen A1-Rheinbrücke bei Leverkusen ist fertiggestellt und wurde für den Pkw- und Lkw-Verkehr wieder freigegeben. Die schlechte Nachricht: Es hat zehn Jahre gedauert seit der Sperrung für den Schwerlastverkehr. Und das zweite Teilstück wird wohl erst Ende 2027 fertig sein.

Ein Blick in Region zeigt: Viele Brücken auf den Fernstraßen und Bahnstrecken sind in keinem guten Zustand. Allein im Rheinland, Bergischen Land und Rhein-Sieg-Kreis sind viele Großsanierungen oder Ersatzneubauten an Straßen- und Eisenbahnbrücken in Planung (siehe Grafik). Stand 2023 hat Straßen.NRW in ganz Nordrhein-Westfalen (NRW) 205 Ersatzneubauten, 22 Brückenverstärkungen und 69 Instandsetzungen gelistet. Das NRW-Landesverkehrsministerium hat dafür einen Kostenrahmen von rund 1,8 Milliarden Euro angegeben. Die Deutsche Bahn teilte auf Anfrage mit, dass allein 2023 rund 1,73 Milliarden Euro in die Bahn-Infrastruktur in NRW investiert wurde, darunter auch die Modernisierung von 19 Brücken. Viele weitere Bauvorhaben sind angekündigt (siehe Karte). Warum stehen so viele Brückenprojekten in den kommenden Jahren an? Die Rundschau hat nachgefragt.

Was sind die Hauptgründe für die nachlassenden Brücken?

Von den mehr als 135 000 Brücken im Bundesfernstraßennetz, in den Kommunen und auf den Bahnstrecken ist über die Hälfte mehr als 50 bis 60 Jahre alt. Sie wurden damals für geringere Verkehrslasten und vor allem für viel weniger Lkw-Überfahrten ausgelegt, so Martin Claßen, Experte für Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen. In den nächsten zehn bis 20 Jahren sind rund 17 000 Brücken zu modernisieren oder zu ersetzen, wenn man die Schätzungen des Bundesverkehrsministeriums und des Deutsche Instituts für Urbanistik zugrunde lege.

Ein Vergleich der vom Kraftfahrt-Bundesamt zugelassenen Fahrzeuge in Deutschland zeige seit Erhebung der Daten im Jahr 1960 eine Verzehnfachung des Verkehrsaufkommens für Pkw. Für Lkw habe sich der Verkehr mehr als verfünffacht. Claßen: Während 1960 noch ein 28-Tonner der größte Lkw auf deutschen Straßen war, fahren heute 44-Tonner über die gleichen Brücken. Für diese Lasten, sowohl Anzahl als auch Intensität, wurden die Brücken nie ausgelegt. Dies bestätigt auch die Autobahn GmbH.

Warum sind so viele Brücken nahezu zeitgleich marode?

Die wirtschaftliche Entwicklung West-Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg verlangte in großer Zahl leistungsfähige Straßen. Weshalb die meisten, auch heute noch genutzten Brücken in den westlichen Bundesländern aus den Jahren 1960 bis 1985 stammen.

Leider seien die erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen in den letzten Jahren nicht ausreichend umgesetzt und Investitionen in die Brückeninfrastruktur vernachlässigt worden, kritisiert Claßen. Diese Politik war nicht nachhaltig. Denn dadurch seien einige Brücken heute im so schlechten Zustand, dass sie nicht mehr gerettet werden können. Es bleibe nur der Abriss und Neubau.

Die verkleidete Rodenkirchener Brücke.

Blick auf die verkleidete Rodenkirchener Brücke. Langfristig reichen Sanierungen nicht mehr aus. Sie muss komplett erneuert werden und soll in diesem Zuge jeweils eine Fahrspur mehr erhalten.

Die Autobahn GmbH erwidert auf Nachfrage, dass „Erhaltungsmaßnahmen nicht aufgeschoben werden“. Die Kombination von Erhaltung und Modernisierung der Brücken stehen für den Paradigmenwechsel, den die Autobahn GmbH vollzogen habe, so ein Sprecher.

Die Brücken im Rheinland

Die Brücken im Rheinland

Claßen beklagt, dass die aktuelle Lage deshalb bedauerlich sei, weil es grundsätzlich sehr wirksame Verstärkungs- und Instandsetzungsverfahren gebe, die viel kostengünstiger, ökologisch sinnvoller und mit viel geringeren Beeinträchtigungen für den Verkehr realisiert werden können. Es lohne sich daher, früh mit Instandsetzungen anzufangen.

Wie werden Brücken nach Schäden untersucht?

Es finden regelmäßige und engmaschige Brückenprüfungen nach DIN-Vorschriften statt, bei denen geschulte Experten die Brücken in Augenschein nehmen, Risse und Schäden dokumentieren, so der Experte. Bei der Bewertung von bestehenden Brücken werden neben dem Bauzustand auch die Kenntnisse zu den verbauten Werkstoffen sowie die gesammelten Erfahrungen zu Tragwerksart, Querschnittsform und Bauverfahren berücksichtigt.

Warum konnten dann Sofort-Sperrungen wie bei der Rheinbrücke Leverkusen oder Rahmedetalbrücke nicht vermieden werden? Laut der Autobahn GmbH traten hier „so gravierende Schäden wegen der statischen und dynamischen Beanspruchungen zutage, so dass ein unverzügliches Eingreifen erforderlich war“. Dies könne auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden.

Die Bahn inspiziert nach eigener Aussage alle drei Jahre sämtliche Eisenbahnbrücken. Bei Bedarf werden Gutachten von externen Sachverständigen eingeholt.

Blick auf die Baustelle an den Eisenbahnbrücken über die Deutz-Mülheimer-Straße.

Blick auf die Baustelle an der Mülheimer Brücke über die Deutz-Mülheimer-Straße. Aufgrund von Zugausfällen wegen Baumaßnahmen kommt es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in den kommenden Monaten.

Welche neuen Materialien werden eingesetzt?

Neue Entwicklungen in den Bereichen Materialien, Messverfahren und Bauweisen helfen, die aktuellen Probleme im Brückenbau zu lösen. Der Einsatz von nichtmetallischen Bewehrungen, zum Beispiel Carbon- oder Textilbeton, sei eine Lösung, so Claßen. Da diese im Gegensatz zur konventionellen Stahl-Bewehrung nicht roste, können schlankere Bauteile mit höherer Lebensdauer gebaut werden. Heute werde Carbonbeton bereits vielerorts für Fußgängerbrücken verwendet, auch erste Straßenbrücken seien damit bereits realisiert worden.

Was macht den Bau einer Brücke so teuer?

Da im Brückenbau alle Bauwerke individuell sind und keine Standardbrücken existieren, seien die Planungskosten neben den Kosten für Material und Lohn relativ hoch. Die Lohnkosten seien schon länger auf einem hohen Niveau. Die aktuellen Kostentreiber sind laut Claßen allerdings die seit Corona und den gestiegenen Energiepreisen erhöhten Materialpreise. Die Etablierung des modularen Bauens solle hier Abhilfe schaffen, allerdings seien die reinen Baukosten modularer Lösungen ohne Berücksichtigung der externen Kosten aktuell durch aufwendigere Planung, Transport und Montage der Fertigteile mit Spezialgeräten tendenziell etwas teurer.

Insgesamt resultieren die Kosten einer Brücke aus der Kombination großer Mengen an Baumaterial, einer Vielzahl an Arbeitskräften auf der Baustelle sowie den Ingenieuren, die an der Planung, Durchführung und Überwachung von Brückenbauwerken beteiligt seien.


Zahlen und Infos zu Brückenbauprojekten auf den Autobahnen

Das Bundesfernstraßennetz in Deutschland (Autobahnen, Bundesstraßen) verfügt laut dem Bundesverkehrsministerium (BMDV) insgesamt über etwa 40.100 Brücken. Diese sind je nach Bauweise in circa 52.400 Brücken-Teilbauwerke untergliedert. Hiervon gehören rund 28.000 Brücken-Teilbauwerke zum Netz der deutschen Bundesautobahnen.

Deutschlandweit müssen langfristig rund 8000 Autobahnbrücken (Brücken-Teilbauwerke) instandgesetzt, modernisiert oder erneuert werden, um in Zukunft den Verkehrsanforderungen gerecht zu werden.

Insgesamt hat das Bundesministerium in den vergangenen Jahren die Investitionen in die Erhaltung der Bundesfernstraßen (Strecken und Brücke) aufgestockt. Von derzeit rund 4,6 Milliarden Euro pro Jahr ist zur Umsetzung des Koalitionsvertrages seitens des BMDV eine weitere schrittweise Erhöhung der Erhaltungsmittel auf rund fünf Milliarden Euro im Jahr 2025 angestrebt. Für die Bauwerke sind davon jährliche Erhaltungsinvestition von circa 2,1 Milliarden Euro für die Jahre 2023 und folgende vorgesehen.

Die Dauer für die Umsetzung von Modernisierungsprojekten variiert stark in Abhängigkeit des Umfangs und der Komplexität der Maßnahmen und ist somit vom Einzelfall abhängig. Ein wesentlicher Zeitfaktor bei der Vorbereitung von Brückenmodernisierungsmaßnahmen ist unter anderem die Planung durch den Vorhabenträger, die dem Baurechtsverfahren vorgelagert ist. Wichtig sind die frühzeitige Einbindung und Abstimmung des Vorhabenträgers mit den zuständigen Behörden. Bereits nach geltender Rechtslage erfordert ein 1:1-Ersatzneubau einer Autobahnbrücke kein Genehmigungsverfahren und keine Umweltverträglichkeitsprüfung, was die Zeit bis zur Fertigstellung erheblich verkürzt.

Das Ziel des BMDV und der Autobahn GmbH des Bundes ist, überall wo die Anforderungen an die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit mit ausreichender Zuverlässigkeit erfüllt sind, Bauwerke möglichst zu erhalten. (BMDV)