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TurmcenterWas aus der Siegburger Klangfabrik im Phrix-Turm wird

Lesezeit 4 Minuten
Durch ein großes Fenster sieht man den Innenhof des Turmcenters in Siegburg

Turmcenter auf dem alten Phrixgelände, Räume für die BW Fuhrpark Service GmbH

Unternehmer Hannspaul Egge mangelt es nicht an Ideen für das Turmcenter und die ehemalige Klangfabrik auf dem Siegburger Deichhaus.

„Das ist einfach nicht für Menschen gemacht“, sagt Hannspaul Egge über die alte Zellulose-Fabrik, die für den Immobilienentwickler seit 28 Jahren das wichtigste und größte Objekt ist. Und unablässig arbeitet er daran, genau das zu ändern. In die Wände der alten Hallen brach er Fensteröffnungen für Räume, in die noch nie natürliches Licht fiel. Wo früher bestenfalls ein paar nackte Stahltreppen zu Tanks und Becken führen, baute er großzügige Treppenhäuser und Zwischendecken ein.

Eine Betondecke in einem großen Raum des Siegburger Turmcenters

Raum mit Kassettendecke für die BW Fuhrpark Service GmbH

Doch überall ist in Egges Turmcenter – Miteigentümerin ist seine Ehefrau Bettina – noch die alte Industriearchitektur erkennbar: „Alle wollen Backstein“, stellt er fest, „vor ein paar Jahren noch hätten wir die weiß überstrichen.“ Früher sei das Areal rund um den sogenannten Phrix-Turm bei den Siegburgern nicht beliebt gewesen. Egge: „Aber das sieht man heute völlig anders.“

Stadt Siegburg ist unter den 50 Mietern

Auf 35.000 Quadratmetern Nutzfläche sind derzeit rund 50 Mieter untergebracht, eine bunte Mischung: Ins Turmcenter kommen Kommunalpolitiker zu den Ausschusssitzungen der Stadt, auch Ämter kamen unter, weil das Rathaus in der Innenstadt saniert wird. Seit Jahren bereits ist das Sozialpsychiatrische Zentrum (SPZ) des Arbeiter-Samariter-Bunds in loftartigen Räumen untergebracht. Das Tanzstudio Dancepoint und ein Fitnesscenter finden sich ebenso wie die Studiobühne mit ihrem Kinder- und Jugendtheater Tollhaus im Turmcenter, die jungen Mimen haben aus ihren Räumen einen fantastischen Ausblick auf Region und Siebengebirge.

Ein Mann, der Siegburger Unternehmer Hannspaul Egge, steht hinter einer Palette mit den  Resten der alten Turmuhren vom Phrixgelände

Turmcenter-Eigentümer Hannspaul Egge mit den Resten der alten Turmuhren

Die Post ist unter den Mietern, und auch für die Klangfabrik hat Egge bereits einen Nachnutzer, der die Räume für verschiedene Veranstaltungen anbieten will: Wie berichtet, war die Diskothek geschlossen worden, nachdem nach einer Messerattacke ein Toter und ein Schwerverletzter zu beklagen waren. Die schummrige Kelleratmosphäre wird aber dank neuer Fenster der Vergangenheit angehören. Die Stadt, daraus macht Egge keinen Hehl, schätzt er als Mieter und hätte die Stadtverwaltung auch komplett und auf Dauer an den Turm geholt, bis auf eine kleine Dependance für Publikumsverkehr in der Innenstadt: Seiner Meinung wäre das für die öffentliche Hand weniger kostspielig gewesen als die Sanierung des Rathauses aus den 60er Jahren.

Alte Rennräder hängen als Wanddeko in einem der Treppenhäuder des Turmcenters

Alte Rennräder hängen als Wanddeko in einem Treppenhaus des Turmcenters

Bei der Auswahl seiner Mieter sei er ansonsten konservativ: „Wenn ich ein Geschäftsmodell nicht verstehe, gehe ich kein Risiko ein.“ Trotz der überwältigenden Größe des Turmcenters stößt man an vielen Ecken und Enden auf Egges Liebe zum Detail. So hat er in einem Treppenhaus einen ausgedienten Formel-2000-Rennwagen als Deko an die Wand gehängt, in einem anderen Rennräder übereinander befestigt: „Die sind aus den 80er Jahren, ich habe sie einem Kölner Sammler abgekauft.“

Unternehmen des Bundes zieht von Troisdorf nach Siegburg

Im Treppenhaus einer Firma hängt eine auffällige Hängeleuchte aus 40 Gelenk-Schreibtischlampen, die an Stahlprofilen befestigt sind – gefertigt nach einer Idee Egges. Der nächste große Mieter wird die BW Fuhrpark, die mit ihrem Hauptsitz von Troisdorf ins Turmcenter zieht, Gesellschafter sind der Bund und die Deutsche Bahn. 5600 Quadratmeter Büroflächen bereitet Egge für die 350 Beschäftigten vor und investiert rund zehn Millionen Euro. Etwa in einen Raum mit einer Kassettendecke: Für jede der 1400 Fächer ist eine Lampe vorgesehen, die Holzverschalungen, um den Beton zu gießen, gab er bei einem Schreiner in Auftrag.

Auch er selbst habe eine gewisse Sammlermentalität, sagt er schmunzelnd. So kann er sich nicht von den Rippen des alten Sheddachs der Fabrik trennen, die im Innenhof lagern, und überlegt, was sich mit den alten Stahlteilen der alten Turmuhren anfangen soll, die auf Holzpaletten auf eine neue Verwendung warten: In der Höhe ticken bereits moderne Zeitmesser mit neuen Ziffernblättern. Um Ideen ist Egge nicht verlegen, „Viele wissen nicht, welches Potenzial es hier gibt.“

Bartheke im alten Laugentank

Im Keller hat er einen alten Laugentank aufschneiden lassen, in den er eine Bar für einen Clubraum einbauen will, daneben ragen mächtige Ventile aus der Wand – Industrieromantik pur. Weitgehend vorbereitet sind Kellerräume als Proberäume für Bands, das Ambiente ist beeindruckend. Denn im Tiefparterre sind die massiven stempelartigen Betonträger zu sehen, die einst die Last der Fabrik aushalten mussten. Egge geht nicht davon aus, dass er eine Fertigstellung des Turmcenters erleben wird: „Das ist ein Projekt, das nicht mit mir angefangen hat und auch nicht mit mir endet.“

Im Keller des Turmcenters stehen die verrosteten Reste eines alten Laugentanks

In einem alten Laugentank der Zelleulose-Fabrik plant Hannspaul Egge eine Bartheke


Düsteres Kapitel der Siegburger Stadtgeschichte

  1. Ende der 1920er Jahre begann der Bau der Zellulose-Fabrik Im Siegburger Ortsteil Deichhaus, doch der Betrieb nahm erst in der NS-Zeit wirklich Schwung auf: Die Kunstseide wurde unter anderem für Fallschirme gebraucht.
  2. Bis zu 3000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, vorwiegend aus Russland, Polen und der Ukraine , arbeiteten bei der Rheinischen Zellwoll AG (RZW), unter extrem gesundheitsgefährdenden Bedingungen
  3. 1955 fusionierte die RZW mit den Hamburger Phrix-Werken, 1968 übernahm die BASF die Produktion, die aber durch neue Technologien und internationale Konkurrenz zunehmend unwirtschaftlich wurde. 1600 Beschäftigte verloren ihre Arbeit, als das Werk 1971 stillgelegt wurde.