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„Die Leute sind wie die Geier“So erleben Supermärkte und Cafés die Coronakrise

Lesezeit 4 Minuten

Hinter Glas arbeitet seit gestern Nachmittag Kassenkraft Marizol Cockx bei Edeka Klein-Heßling in Siegburg. Schutzwände aus Plexiglas hat ihr Chef bestellt und montieren lassen.

  1. Im Rhein-Sieg-Kreis steigt durch die Coronakrise die Wertschätzung für Supermarkt-Mitarbeiter.
  2. Doch es gibt auch Ausnahmen. Manche Kunden hamstern und zeigen wenig Verständnis für Gegenmaßnahmen.
  3. Aus diesem Grund sind holländische Speditionen aktuell sehr gefragt.

Rhein-Sieg-Kreis – „Wir haben noch unendlich viel“, versichert Iris Jung, die den Edeka-Markt in Ruppichteroth betreibt. Zurzeit ist die Chefin fast rund um die Uhr „auf der Fläche“, um nach dem Rechten zu sehen. „Ich spreche mit den Leuten.“ Am Mittwoch fehlte zum Beispiel zeitweise Mehl, weil eine Lieferung ausstand. Einem Kunden, der Kuchen backen wollte, empfahl Iris Jung daraufhin einen Blick auf 61 Backmischungen oder die 50 Fertigkuchen. Für eine Soße sei Speisestärke die Alternative zum Mehl oder die Riesenauswahl an Fertigsoßen.

Von Mangel könne überhaupt keine Rede sein, betont die Chefin. Das gelte im Übrigen auch für Kartoffeln oder Toilettenpapier. Dort will Jung jetzt Hamsterkäufen einen Riegel vorschieben. Zwei Packungen pro Einkauf – mehr gibt’s zurzeit nicht. Es könne ja nicht sein, dass Kunden, die nicht hamsterten, am Ende die Leidtragenden seien. „Man muss fair bleiben“, meint sie und fügt an: „Egoismus bringt uns nicht weiter.“

Coronavirus: Das Kassenpersonal wird stark belastet

Besonders belastet sei derzeit das Kassenpersonal. Das müsse immer wieder Kunden auf die Hygieneregeln hinweisen. Da gelte es, immer mal wieder das Miteinander einzufordern, das auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Ansprache beschworen habe. „Da hapert es ab und zu mal dran, und dann sage ich auch was, egal, ob mir das schlechte Rezensionen bei Google einbringt oder nicht.“

Iris Jung hat zwar nicht mehr viel Mehl in den Regalen, dafür aber 61 Backmischungen und 50 Fertigkuchen. Foto: Rohrmoser-von Glasow

Bereits bestellt hat Iris Jung höhere Plexiglasscheiben, die ihre Mitarbeiter schützen sollen. Das Kernproblem sei aber der Mangel an Fahrern, Spediteuren und Packern bei den Zulieferern.

Holländische Speditionen liefern Ware

„Die Versorgung ist im Moment schwierig“, räumt Günter Klein-Heßling ein, der in Siegburg, Lohmar und Troisdorf ebenfalls Edeka-Märkte führt. Das sei aber kein Zeichen von Mangel, betont er, sondern ein Logistikproblem: „Wir kriegen die Ware nicht aus den Lagern“, im Edeka-Zentrallager Meckenheim fehle Personal ebenso wie bei den Speditionen, deren ausländische Fahrer teilweise in ihre Heimatländer gereist seien. Inzwischen, so Klein-Heßling, lieferten holländische Speditionen, die im Nachbarland nicht ausgelastet seien, Ware aus Meckenheim zum Beispiel nach Siegburg.

„Die Leute sind wie die Geier“, beschreibt der Kaufmann die Reaktion mancher Kunden auf die vermeintliche Knappheit: Auch in seinen Märkten hat er Hamsterer beobachtet. Sie kauften Waren wie Toilettenpapier, „obwohl sie es vielleicht gar nicht brauchen“. Aber für begrenzte Abgabemengen bei einzelnen Produkten nehme das Verständnis inzwischen ebenfalls zu.

Supermärkte machen schlechte Erfahrung mit unfreundlichen Kunden

Auch Günter Klein-Heßling hat schon schlechte Erfahrungen mit unfreundlichen Kunden gemacht. „Da klebt man eine Abstandslinie auf den Boden und wird dann noch angemeckert“, erzählt er. Das habe er noch am Morgen erlebt. Es seien aber wenige Kunden, die unzufrieden seien „und dann auch meine Leute schlecht behandeln“.

Grundsätzlich nehme die Wertschätzung für die Beschäftigten zu, „das hat vielleicht auch mit der Rede von Frau Merkel zu tun“. Um seine Kassenkräfte vor infektiösen Tröpfchen zu schützen, hat Klein-Heßling gestern Nachmittag Plexiglaskonstruktionen montieren lassen. An den Bedientheken für Fleisch, Fisch und Käse halten Plastikkisten die Kundschaft auf Abstand.

Gesperrtes Café Voigt im Edeka Ruppichteroth.

Kunden, die kein Verständnis für geschlossene Cafés haben, gab es auch am zweiten Tag immer mal wieder in den Bäckereien und Backshops der Supermärkte. Sie sei gerade von einem älteren Herrn arg beschimpft worden, berichtet eine Mitarbeiterin. Eine Kollegin in einer anderen Filiale bestätigt, dass gerade die Zielgruppe, die geschützt werden solle, Menschen über 65, manchmal ungemessen reagierten. Insgesamt aber stießen die Maßnahmen auf Verständnis.

Cafés sollen Abstandsmarkierungen bekommen

„Wir haben schon am Montag in Hennef die Cafés geschlossen und das flächendeckend auf alle unsere Filialen ausgedehnt“, sagte Manuela Gilgen auf Anfrage dieser Zeitung. Große Beschwerden habe es nicht gegeben, berichtete sie nach einer Besprechung mit allen Verkaufsleitern. „Wir sind froh, dass wir arbeiten dürfen.“

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In den 43 Ablegern von Gilgen’s werden derzeit Abstandsmarkierungen auf dem Boden aufgebracht. „Es ist alles andere als Tagesgeschäft“, schildert Gilgen. „Uns fehlen viele Beschäftigte in den Filialen, die ihre Kinder betreuen müssen. Wir müssen jonglieren, um den Verkauf aufrechtzuerhalten.“