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Überraschende WendeAngeklagter im Mordfall Claudia Otto ist auf freiem Fuß

Lesezeit 4 Minuten
Überraschende Wende im Mordfall Claudia Otto Wegen unsauber bearbeiteter DNA-Spuren hat die Kammer des Bonner Schwurgerichts den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben.

Im Fall Claudia Otto gibt es eine Wende: Der für den Mord an der 23-Jährigen vor dem Landgericht Bonn angeklagte Mann, wurde nun freigelassen.

Seit November läuft in Bonn ein Prozess gegen einen bereits verurteilten Doppelmörder im Fall Claudia Otto. Die Lohmarer Wirtstochter wurde 1987 ermordet. Doch am Donnerstag kam der Angeklagte frei.

Mit einem Paukenschlag ging am Donnerstag der vierte Verhandlungstag im Prozess um den Mord an Claudia Otto aus Lohmar zu Ende. Schon kurz nach Beginn der Sitzung um 9 Uhr hob das Bonner Schwurgericht den Haftbefehl gegen den angeklagten Detlef M. (66) auf, er verließ den Sitzungssaal als freier Mann.

Der Grund für diese Anordnung der Kammer: Bei der Untersuchung von DNA-Spuren sei beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf und beim Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München nicht ordnungsgemäß gearbeitet worden.

Cold Case: Claudia Otto vor 35 Jahren in Lohmar getötet

Die 23-jährige Claudia Otto war am Morgen des 9. Mai 1987 in ihrer Wohnung über der Gaststätte „Naafshäuschen“, die ihren Eltern gehörte, tot aufgefunden worden, erdrosselt mit einer Krawatte, nackt, an Händen und Füßen gefesselt. Kriminaltechniker klebten die Leiche mit durchsichtiger Folie ab, um Fasern aufzunehmen. Diese Spurenträger wiederum wurden am Tatort mit Plastik verschweißt. Von DNA-Analyse wusste man damals nicht viel, auch ein Mundschutz gehörte nicht zur Standardausrüstung der Kripo.

Zum Kreis der Verdächtigen zählte der im Nachbarort wohnende Betonbauer Detlef M., der Stammgast im „Naafshäuschen“ war. Die Mordkommission nahm ihn ins Visier, weil er wegen Drogen- und Einbruchsdelikten vorbestraft war und hohe Schulden hatte. Bereits im Juni 1984 hatte es in seinem Umfeld ein Verbrechen gegeben. Ein dreijähriges Mädchen war entführt und getötet worden, das zuletzt lebend in seiner Wohnung gesehen worden war. Doch die Polizei konnte ihm, wie auch später im Fall Claudia Otto, nichts nachweisen.

Kurz nach ihrem gewaltsamen Tod zog die Familie M. ins Sauerland, wo der zweifache Vater in Eslohe bei Arnsberg 1988 einen 15 Monate alten Unternehmerssohn und dessen Großmutter ermordete. Er gestand dieses Verbrechen und wurde zu lebenslanger Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilt. Detlef M. saß noch in Haft, als die Justiz 2017 einen Anlauf unternahm, um nach 30 Jahren den Tod der Lohmarer Gastwirtstochter zu klären.

Erster Haftbefehl im Mordfall Claudia Otto bereits 2017 aufgehoben

Dank neuer DNA-Analyseverfahren hatte man einen genetischer Fingerabdruck gefunden, der Detlef M. zuzuordnen war. Ein Gericht erließ Haftbefehl gegen ihn. Da jedoch gleichzeitig eine zweite Spur eines Unbekannten entdeckt worden war, legte der Verdächtige Beschwerde ein, der Haftbefehl wurde aufgehoben. 2020 kam er nach 32 Jahren aus dem Gefängnis frei und lebte fortan in Detmold.

Bei einer erneuten Überprüfung gelang es, die Anhaftung des Unbekannten einem früheren LKA-Beamten zuzuordnen. Damit blieb nur eine tatrelevante Spur übrig. Detlef M. wurde im April in Detmold verhaftet.

Dieser Beweis, winzig wie ein Staubkorn, war das entscheidende Indiz, auf das die Staatsanwaltschaft ihre Anklage stützte. Zudem war in den Polizeiakten vermerkt, dass Beweismittel-Folien F42, F46 und F109 verschlossen seien. Von der Unversehrtheit dieser Spurenträger ging auch die Kammer bei Eröffnung des Hauptverfahrens aus.

Doch am 24. November, dem dritten Verhandlungstag, erläuterte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des LKA, dass bei der Untersuchung die Folien an mehreren Stellen beschädigt worden seien, und zwar durch je einen dreieckigen Schnitt in die obere Plastikschicht, um so an die darunterliegende, ebenfalls auf einer Folie haftende Faser zu gelangen.

Prozess in Bonn: DNA-Spuren kontaminiert

Der Vorsitzende Richter Klaus Reinhof hielt schriftlich sinngemäß fest, jedem Ermittlungsbeamten müsse klar sein, dass es bei einem solchen Vorgehen zu einer Kontaminierung des Befunds kommen könne. 1987 wurden außerdem Fasern von der Leiche und des Beschuldigten auf den selben Objektträger unters Mikroskop gelegt. In den Akten stand das Gegenteil. Oberstaatsanwältin Claudia Heitmann sprach gestern von einem „fragwürdigen Umgang mit Asservaten“.

Auch das rechtsmedizinische Labor der LMU, dessen Leiterin Professorin Katja Anslinger vor einer Woche erklärt hatte, eine DNA auf dem Opfer stamme von Detlef M., schnitt in die Probentütchen. Ob die auf den Folien sichergestellten Partikel des Angeklagten möglicherweise an Stellen genommen wurden, die das LKA mit einem Skalpell beschädigt hatte, ist nicht mehr feststellbar.

All das reichte dem Schwurgericht, um mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft den Haftbefehl gegen Detlef M. aufzuheben. Er gilt allerdings weiter als „hinreichend“ verdächtig, das Verfahren ist deshalb nur ausgesetzt. Nun sollen noch vorhandene ungeöffnete Leichenfolien auf DNA überprüft werden.

Nach Aufhebung des Haftbefehls – am Morgen war er in Handschellen in den Gerichtssaal gebracht worden – verließ der Angeklagte das Bonner Landgericht. In dem Mordfall Claudia Otto hatte er immer bestritten, der Täter gewesen zu sein. Auf der Straße ließ er sich von einem Verteidiger ein Handy geben und rief seine Lebensgefährtin an: „Holst du mich ab? Ich stehe vor dem Gericht.“