13-mal überquert die S-Bahn die Sieg, ehe sie am Bahnhof Au (Sieg) ankommt. Doch was tut man dort? Eine (Selbst-)Findungsreise.
EndhaltestelleZu Besuch in Windeck-Au – Wo Rhein-Sieg, NRW und die Bahnlinie zu Ende sind
Die S-Bahn hält am Bahnhof Au, spuckt eine versprengte Gruppe an Fahrgästen hinein in den Tag, Endstation, bitte aussteigen. An einem Bahnhof, dem die Tannenwipfel des Siegerlands und die ersten vorsichtigen Hügel des Westerwaldes ihre Hände entgegenstrecken. In Au ist der Rhein-Sieg-Kreis zu Ende. Und ebenso das Bundesland, denn jenseits der Sieg beginnt Rheinland-Pfalz mit dem Landkreis Altenkirchen. 13-mal hat die S-Bahn auf ihrem Weg hierher die Sieg überquert. Ein Grenzort ohne Markung, ein Kap ohne Leuchtturm, ein Limes ohne Kontur. Was tut man hier, hat es einen erst einmal hierhin verschlagen?
An diesem Ort, wo der Rhein-Sieg-Kreis zu Ende ist, gibt es keine Kirche, keinen Supermarkt, keine Ampel jenseits des Ortsschilds. Was es aber gibt: einen Lebensmittelautomaten in gleich dreifacher Doppelausfertigung. Seit dem 17. Juni, schreit das darüber hängende Schild in weißen Lettern auf lilafarbenem Grund, bekommt die Äuscher Bevölkerung rund um die Uhr Produkte für jede Lebenslage: Wildfleisch und die Portion Curry-Ketchup gleich dazu; Chips und E-Zigaretten, die anfangs fälschlicherweise noch „Vibes“ statt „Vapes“ hießen. Dafür ist das Bier regional, es kommt aus einer Brauerei – von drüben.
Helmut weiß etwas über das Ende des Rhein-Sieg-Kreises zu berichten
Apropos drüben: Zwei Straßen führen aus der Abgeschiedenheit, tragen über das Wasser, hinein in die Fremde. Findet man dort, was man sucht? Zweifelt man an dem, was man zu wissen glaubte? Knapp 40 Meter Wasserlinie, doch auf der anderen Seite wirkt das Gras grüner. Existiert diese Grenze überhaupt wirklich, wo es doch eine Brücke gibt, sogar zwei, oder nur in unseren Köpfen, eine Hybris der Bürokratie, unsichtbar? Ein Fahrrad rostet in den Fluten vor sich ihn, als habe sich sein Besitzer im letzten Moment entschieden, dem Styx den Rücken zu kehren.
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Au. Ein Ort, der so heißt, wie es dem Landschaftsbild auf den nächsten mäandernden Flusskilometern entspricht. Wenn man fragt, wer über das Ende des Rhein-Sieg-Kreises etwas zu erzählen weiß, wird man zu Helmut geleitet. Ein großer, hagerer Mann mit weißem Rauschebart und Blaumann. Er blickt verdutzt, als man ihm erklärt, was einen hierher verschlagen habe. „Hier ist doch nichts“, sagt Helmut. Es gebe den Bürger- und Verschönerungsverein. „Aber der verschönert nicht so viel.“ Zumindest nicht negativ bewerte er die Automaten: „Hier liegt zwar viel Müll 'rum, aber von denen kommt der nicht“, stellt er klar.
Wie lange lebt er denn hier? „Ich bin in Au geboren“, antwortet Helmut, und das sei so lange her, da habe es am Bahnhof noch einen Wassertank für die Dampfloks gegeben. „Gelernt habe ich eigentlich nichts. Ich habe mal in Hamm in der Küchenmöbelfabrik gearbeitet und lange in der Schreinerei.“ Jetzt, mit 74 Jahren, engagiert sich Helmut in der Nachbarschaft, hilft dort, wo er gebraucht wird - immer im Blaumann.„Die Latzhose trage ich jeden Tag, nur sonntags nicht“, sagt er.
Der Winecker Au-Imbiss macht am Ende des Kreises guten Umsatz
Aber wie fühlt er sich denn nun, als Rheinländer gar? Als Westerwälder? „Dieses Kölschgedöns ist nichts für mich, eher nach Hamm hoch“, eruiert Helmut. „Aber als Windecker, das schon.“ Auch wenn die Gemeinde die Menschen in Au seiner Ansicht nach zu selten wahrnehme.
Mit einem Mal kommt er in Fahrt: „Auf Burg Windeck, da stellen sie eine Toilette für die Touristen hin, aber hier nicht. Die Leute verrichten ihre Notdurft in den Büschen.“ Und die giftigen Herkulesstauden bei Opperzau erst, um die kümmere sich niemand außer ihm. Ob er so etwas wie der Dorfsheriff sei? Ja, sagt Helmut zum Abschied, das könne man schon sagen. Eine letzte Frage noch: Kann man denn hier gar nichts erleben? „Doch, der Au-Imbiss läuft richtig gut“, antwortet Helmut.
Etwas mehr als 300 Einwohner leben in Windeck-Au
Der Au-Imbiss. Ein Palast der glückseligen Völlerei, ein Streiflicht des Konsums. Das Wellblechdach vermag sein Inneres zu kaschieren, doch um die Mittagszeit schwirren die Kundinnen und Kunden ein und aus wie in einem Bienenstock, vielleicht kommen sie sogar von drüben. Hälse reckend wählen sie aus den Angeboten, während sich der Drehspieß unermüdlich vor der Wärmeplatine dreht wie die Erde um die Sonne. Eine Spezialität des Hauses gebe es nicht, sagt Mohammed, der Inhaber. „Ich mache alles mit Liebe.“ Vielleicht hat der „Au-Burger“ das Potenzial, Au über seine Grenzen hinaus bekanntzumachen. Mohammeds Pizza jedenfalls ist käsig, wie eine Imbiss-Pizza sein muss. Scheinbar ist doch nicht alles fade in Au.
Doch was bleibt von diesem Ort mit etwas mehr als 300 Einwohnerinnen und Einwohnern, für die die wohltuende Monotonie und der Grenzverkehr zum Alltag gehören? Im Zweifel wenigstens der Weg zurück, mit der S-Bahn, die hier beginnt. Denn jedes Ende, so sagt man, bildet auch einen Anfang - und jedem Anfang wohnt schließlich ein Zauber inne.