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Handwerksgeschichte in MuchDie Reichensteiner Mühle besteht seit 350 Jahren

Lesezeit 4 Minuten

Ein Postkartenidyll: Die Mühle mit Saal (links), Café und Windmühle war ein begehrtes Ausflugsziel.

Much – „Die Reichensteiner Mühle ist (…) in Much mindestens seit 1670 nachgewiesen“, heißt es in einer Quelle des Landschaftsverbandes Rheinland von 2011. Somit stand in diesem Jahr der 350. Geburtstag der am südwestlichen Mucher Ortseingang gelegenen Mühle an.

Das malerische Gebäude war unter den Fittichen von Martin Eduard Ludwig, der es 1909 erwarb, auch deshalb bekannt, weil die Mühle „das beste Mehl weit und breit“ produzierte. Davon erzählt Günter Kindler, der in der Reichensteiner Mühle, übrigens eine von einst acht Mühlen im Wahnbachtal, von 1949 bis 1951 in die Lehre ging: „Es war sehr fein, wurde sechsmal gemahlen.“ Das wussten auch die Mucher Bäcker Frohn, Heimann und Hoffzimmer, die auf das Mehl von Müller Ludwig setzten.

Much und Umland wurden zum Ausflugsziel

Der war findig in Ideen, für die kinderreiche Familie ein Zubrot zu verdienen. So eröffnete er neben der Mühle 1928 ein Café. Die gerade fertiggestellte Wahnbachtalstraße hatte ihn zur Investition ermutigt. Denn mit der neuen Anbindung an Sieg und Rhein wurden Much und Umland zum Ausflugsziel. Er machte Nägel mit Köpfen, verwandelte das Mühlengelände in ein Gartenlokal, stellte Spielgeräte für die Kleinen auf und schmückte das Dach mit einem Windmühlenmodell.

Das Café 1928 bei der Eröffnung.

Haupterwerb der Familie Ludwig blieb die Mühle und sollte es nach Ansinnen des Betreibers lange bleiben. So „arbeitete“ der Müller lange daran, mit einem Stammhalter gesegnet zu werden. Doch achtmal in Folge brachte Ehefrau Gertrud Töchter zur Welt. Also legte Müller sich auf Tochter Maria als Nachfolgerin fest. Die schien dem nicht abgeneigt und „startete durch“.

Erste Meisterin im Bezirk

Sie erlernte den Beruf, erhielt am 2. Oktober 1940 den Gesellen- und rund zehn Wochen später den Meisterbrief. Einer Zeitungsmeldung zufolge soll sie die erste Müllermeisterin im Regierungsbezirk Köln und „die vierte überhaupt in ganz Deutschland“ gewesen sein. Ihr Vater erlebte den Erfolg der Tochter nicht mehr, er war im April 1940 gestorben.

Maria Ludwig, eine von acht Töchtern der Familie, übernahm den Betrieb und machte die Meisterprüfung.

Für die Reichspropaganda war der Meistergrad der Frau ein gefundenes Fressen. Eine parteinahe Presse-Bild-Zentrale schrieb Maria Ludwig an, lobte, „dass auch die Frau in der Heimat ihre Pflicht erfüllt und überall ihren Mann steht“, und empfahl sich mit „Heil Hitler“. Wobei man sich nicht entscheiden konnte zwischen der Anschrift „Maria Ludwig“ und der Anrede „Sehr geehrte Frau Much“.

Berühmte Gäste

Konrad Adenauer musste während der Zeit des Nationalsozialismus Köln häufiger verlassen und weilte zur Erholung im Mucher St.-Josephs-Haus. Oft kam er „auf ein Tässchen Kaffee in die Reichensteiner Mühle“, heißt es in einer Chronik. Einen Stammtisch hatten die „Schwarzen Husaren“. Das waren die Kölner Radrennfahrer Viktor Rausch und Gottfried Hürtgen, die um 1930 zu den erfolgreichsten Sechstage-Fahrern zählten.

Auch der Rennfahrer Wolfgang Graf Berghe von Trips zählte zu den Besuchern, schrieb eine Widmung ins Gästebuch. Der spätere Bundespräsident Theodor Heuss indes verfehlte beim Spaziergang das Café, was der Presse seinerzeit sogar eine Meldung wert war. (loi)

„Schöne, aber harte Lehrzeit“

Seinen Stolz, eine Chefin „in so einem schweren Männerberuf“ gehabt zu haben, verheimlicht Günter Kindler nicht: „Wer kann sich schon eine Müllerin als Chef leisten?“ Der 89-jährige Mucher erinnert sich an eine „schöne, aber harte Lehrzeit“, wobei auch andere Arbeiten selbstverständlich gewesen seien. Etwa wenn ihm am Samstagnachmittag, just zum Feierabend, der Auftrag ereilte, den Tanzsaal zu bohnern, den Martin Ludwigs Töchter Luise und Agnes anbauen ließen. Kindler: „80 Stunden die Wochen waren nix. Das war halt so.“

Der Begründer des florierenden Unternehmens, Martin Ludwig und Ehefrau Gertrud.

Der Saal diente auch als Kino und bis 1954 als Gotteshaus für die evangelischen Christen. Ein Großbrand legte den Saal 1958 dann in Schutt und Asche und beschädigte die Mühle schwer. Sie wurde wieder aufgebaut, der Saal nicht. In der am Mühlgebäude angrenzenden Gastwirtschaft stand Elisabeth Diederichs als Mädchen selbst am Zapfhahn. Die Mucher Steuerberaterin ist die Tochter Maria Ludwigs, verheiratete Strack.

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Mahlwerk blieb erhalten

Ihr Vater, Josef Strack, arbeitete nach der Hochzeit als Müller mit. Diederichs, die das Mühlenanwesen in Schuss hält und das Gelände regelmäßig für besondere Kulturveranstaltungen freigibt, berichtet mit strahlenden Augen von ihrer Jugend. Vom fleißigen Großvater, der „sehr erfindungsreich“ gewesen sei und seiner Frau einen mit Wasserkraft betriebenen Waschzuber gebaut habe, der ähnlich einer Waschmaschine funktionierte.

Am Zapfhahn in der Gaststätte stand Elisabeth Diederichs oft als Jugendliche.

Sie berichtet vom frühen Tod ihrer Mutter 1954, davon, wie sie bei den Tanten aufwuchs und im Service mitarbeitete: „Das prägte mein Leben.“ Der, wenn die Mühle arbeitete, „fürchterliche Lärm“ störte angesichts der „schönen Jugend in herrlicher Umgebung“ nicht.“

Ein alter Mühlstein zeugt bis heute von der Geschichte der Mühle und Gastwirtschaft.

Die Gastronomie wurde 1980 eingestellt, 20 Jahre nach dem Mahlbetrieb. „Die Großmühlen verdrängten die kleinen Mühlen“, sagt Kindler. Ein Mahlgang, der Schütz und Teile des Maschinenraums sind in der Reichensteiner Mühle bis heute erhalten.